Ägypten

© UNICEF Data: Monitoring the Situation of Children and Women. 2019. Country Profile: Ägypten© UNICEF Data: Monitoring the Situation of Children and Women. 2019. Country Profile: Ägypten

Verbreitung

Mumifizierte Körper aus Altägypten bezeugen, dass weibliche Genitalverstümmelung (FGM - Female Genital Mutilation) seit mindestens dem Jahr 500 vor unserer Zeitrechnung praktiziert wurde. Durch diese Funde gilt Ägypten als Ursprungsland der weiblichen Genitalverstümmelung. Mit der aktuellen Prävalenzrate von über 87% wird Ägypten als Land mit einer der höchsten herrschenden sozialen Akzeptanz von FGM eingestuft. Die Verbreitung betrifft alle sozialen Schichten; sie wird in ländlichen sowie in städtischen Gebieten und unabhängig von der Religionszugehörigkeit praktiziert.

Die Prävalenzraten sind unter jungen Mädchen niedrig, doch steigen vom 9. Lebensjahr drastisch an, da die meisten mit dem Anfang der Pubertät oder während der Pubertät beschnitten werden.

Traditionell wurde die Genitalverstümmelung von Geburtshelferinnen -sogenannten Dayas -und Beschneiderinnen, die auch die Beschneidung an Jungenvornehmen, durchgeführt. Der Eingriff fand meist unter unhygienischen Bedingungen, ohne Anästhesie, mit einer Rasierklinge oder einem Messer statt. Inzwischen werden die meisten Genitalverstümmelungen durch ausgebildete medizinische Fachkräfte und unter Betäubung vorgenommen. Trotzdem finden 65% der Genitalverstümmelungen immer noch bei der Betroffenen zu Hause und 25% ohne den Gebrauch von Betäubungsmitteln statt. Mitunter sparen die ÄrztInnen auch trotz Einsatz von Narkosemitteln an fachkundigen AnästhesistInnen, so dass in den letzten Jahren wiederholt Mädchen durch die Betäubung zu Tode kamen.

Zahlen

Betroffene: 14% der Mädchen (1-14 Jahre) und 87% Mädchen und der Frauen (15-49 Jahre)
Religionen: sowohl muslimische als auch koptisch-christliche Religionszugehörigkeiten
Befürworterinnen: 54% der Mädchen und Frauen (15-49 Jahre),
Alter: 2% der Beschneidungen fanden vor dem 4. Lebensjahr statt, 24% zwischen dem 5. und 9. und nochmal 71% zwischen dem 10. und 14.Lebensjahr 
21% der Genitalverstümmelungen werden von traditionellen Beschneiderinnen, 78% von medizinischen Fachkräften durchgeführt (davon 12% von Gesundheitspersonal, 67% von ÄrztInnen)

Formen

In Ägypten werden die Typen I und II nach WHO-Klassifizierung praktiziert. Typ I (Klitoridektomie) bedeutet, dass der äußerlich sichtbare Teil der Klitoris und/oder die Klitorisvorhaut teilweise oder vollständig entfernt wird. Bei Typ II (Exzision) von FGM wird der äußerlich sichtbare Teil der Klitoris und die inneren Schamlippen mit oder ohne Beschneidung der äußeren Lippen teilweise oder vollständig entfernt.

Begründungsmuster

Viele glauben, den Mädchen durch FGM moralische und physische Reinheit sowie Enthaltsamkeit erst zu ermöglichen. Es wird auch als wichtiger Teil der Religion und Kultur angesehen. 46% der Mädchen und Frauen (15-49 Jahre) und 50% der Jungen und Männer (15-49 Jahre) sind davon überzeugt, dass FGM von ihrer Religion gefordert wird. Außerdem entspricht die beschnittene Vulva dem Schönheitsideal.

Durch diese Gründe erhält die weibliche Genitalverstümmelung eine wirtschaftliche Komponente, da die Eltern davon ausgehen müssen, dass ihre Tochter durch FGM bessere Heiratschancen hat und dadurch ein abgesichertes, sozial geachtetes Leben leichter möglich wird. 57% der Männer und 53% der Frauen glauben, dass ein Mann eher eine beschnittene Frau zur Braut nimmt. Dennoch stellt eines der problematischsten Gründe für FGM die Vermutung dar, dass Frauen ein unkontrolliertes Sexualverhalten hätten und die Praktik ihre sexuellen Triebe reduzieren würde: 48% der Männer und 43% der Frauen glauben, dass FGM Ehebruch verhindert.

Gesetzliche Lage

Der Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung begann in Ägypten in den 1920er Jahren (UNICEF). Die Bewegung beschränkte sich auf individuelle Initiativen mit kaum Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Organisationen oder der Regierung. Es erschien eine Proklamation von der Gesellschaft der Ärztinnen und Ärzte über die negativen Auswirkungen von FGM. Die Proklamation erhielt die Unterstützung des Gesundheitsministeriums, der Presse und der religiösen Gelehrten. Ende der 1950er Jahre erschien in einer populären Frauenzeitschrift die Empfehlung an Mütter, ihre Töchter nicht beschneiden zu lassen, wobei auch betont wurde, dass der Islam die weibliche Beschneidung nicht unterstützt. Daraufhin erließ das Gesundheitsministerium das Urteil Nr. 7, dass die Genitalbeschneidung in staatlichen Krankenhäusern und medizinischen Praxen verbietet, was dazu geführt hat, dass die praktizierenden Familien Unterstützung bei den nichtstaatlichen Krankenhäusern suchten. 1981 ratifizierte Ägypten CEDAW und 1990 die Kinderrechtskonvention.

Seit 2008 stellt die weibliche Genitalverstümmelung in Ägypten eine Straftat dar. Das ägyptische Parlament nahm FGM ins Strafgesetzbuch auf und verhängte laut Gesetz Gefängnisstrafen von bis zu zwei Jahren und 1,000$ Bußgeld bei der Ausführung von FGM. 2012 wurde versucht, dieses Gesetz gegen FGM rückgängig zu machen. Der Versuch ist an dem Engagement der NGOs, unter anderem auch der ägyptischen Gemeinschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe gescheitert.

Im Jahr 2014 fand in Agga der erste Prozess wegen eines Todesfalls während einem medikalisierten Falls von FGM statt. Der Arzt und der Vater der Verstorbenen wurden ohne Begründung freigesprochen, obwohl sowohl belegt war, dass eine Genitalverstümmelung praktiziert worden war als auch, dass das Mädchen daran starb.

Dieses Gesetz wurde somit bisher kaum umgesetzt, obwohl das Strafmaß 2016 zusätzlich erhöht wurde. Es ist schwierig, detaillierte Angaben zu einzelnen Fällen zu finden. Es gebe weder Hinweise auf den Ausgang der Gerichtsverfahren noch sonstige Angaben zur Durchsetzung der Rechtsvorschriften.

Haltung und Tendenzen

Über die Hälfte der Gesamtbevölkerung erachtet die Aufrechterhaltung der Praktik der weiblichen Genitalverstümmelung als wichtig. Allerdings ist zwischen 1995 (82%) und 2015 (60%) die Zahl der BefürworterInnen deutlich gesunken. Jungen und Männer (15-49 Jahre) sprechen sich zu mehr als 58% für die Fortsetzung von FGM aus, aber 28% sind auch eindeutig dagegen.

 

Links

Einzelfälle:

 

Stand 12/2019