Die Heirat gegen den eigenen Willen

Wenn mindestens einer der Eheleute durch die Ausübung von Gewalt oder durch Drohungen zum Eingehen einer formellen oder informellen (also durch eine religiöse oder soziale Zeremonie geschlossenen) Ehe gezwungen wird, sprechen wir von einer Zwangsverheiratung.

Oben: Video "Mein Herz gehört mir" - ein TERRE DES FEMMES Video gegen Zwangsheirat

Eine mögliche Weigerung einer der Eheleute hat entweder kein Gehör gefunden oder der/die Betroffene hat es nicht gewagt, sich zu widersetzen. Auch die Bedrohung der Betroffenen mit existentiellen finanziellen Konsequenzen kann zu einer Zwangsverheiratung führen.

 

Eine Zwangsehe liegt dann vor, wenn sich Personen aufgrund von Sanktionen aus ihrem Umfeld, insbesondere der Familie, dazu gezwungen sehen, eine bereits geschlossene Ehe gegen den eigenen Willen aufrecht zu erhalten. Personen, die sich nicht trennen können, leben in einer Zwangsehe, auch dann, wenn die Ehe ursprünglich freiwillig geschlossen wurde.

Wichtig: Eine arrangierte Ehe ist per se nicht mit einer Zwangsverheiratung gleichzusetzen. Bei einer arrangierten Ehe werden zwar potenzielle Ehegatten durch bspw. Familienmitglieder vorgestellt, beide Seiten haben jedoch zu jeder Zeit die Möglichkeit, die Eheschließung abzulehnen – und zwar ohne Sanktionen fürchten zu müssen. Als Außenstehender ist es kaum möglich zu beurteilen, ob die Ehe arrangiert wurde oder doch Zwang vorlag. Es gilt die Betroffenenperspektive.

Die Gründe für eine Zwangsverheiratung

Die Gründe, die zu einer Zwangsverheiratung führen können, sind vielfältig. Zu ihnen gehören die Wahrung der sog. Familienehre, gesellschaftliche Normen, Traditionen, „Jungfräulichkeitskult“, Armut, aufenthaltsrechtliche Aspekte oder auch das Bestreben der Eltern, den Sohn oder die Tochter „wieder auf den richtigen Weg“ zu führen. Zu Letzterem kann daher auch (eine vermutete) Homosexualität zählen.


Gesetzeslage

Laut einer Untersuchung der Universtität Nottingham gibt es in 99% aller Länder weltweit nationale Rechtsvorschriften, die die Themen „ausbeuterische Ehe“ oder „nicht-einvernehmliche Ehen“ behandeln. Allerdings betont diese Studie auch, dass kein Land der Welt alle Facetten von „Zwangsheirat“ in ihren Gesetzestexten adressieren würde. So hätten 41% der UN-Mitgliedsstaaten keine rechtlichen Sanktionen für diejenigen etabliert, die andere zu einer Ehe zwingen. Oder 27 % bzw. 52 Staaten verfügten über keine gesetzlichen Bestimmungen, die das Recht auf Einwilligung zu einer Eheschließung schützen. [1]

Darüber hinaus muss man generell die offizielle Gesetzeslage von der Anwendung der Gesetze in der Praxis unterscheiden: Viele Frauen werden trotz eines gesetzlichen Verbotes zu einer Heirat gezwungen, zum Beispiel auch aus Unkenntnis über die Gesetzeslage oder aus Angst vor Sanktionen aus dem Umfeld. Darüber hinaus ist eine Strafverfolgung von Seiten des Staates in vielen Ländern unzureichend.

In Deutschland ist Zwangsheirat nach § 237 StGB ein eigener Straftatbestand und wird mit einer Freiheitsstrafe  bis zu fünf Jahren bestraft. Gleichermaßen werden Heiratsverschleppungen ins Ausland bestraft, auch wenn es dann nicht zu einer Zwangsheirat kommt. Allein der Versuch ist strafbar.

Unabhängig vom lokalem Recht ist eine Zwangsverheiratung auch im Ausland strafbar, wenn der Täter zur Tatzeit Deutscher ist oder wenn die Tat sich gegen eine Person richtet, die zur Zeit der Tat ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat.

 

Mehrere Menschenrechtsverletzungen auf einmal

Eine Zwangsverheiratung verletzt eine Vielzahl grundlegender Menschenrechte – insbesondere bei Frauen und Mädchen.

  • Artikel 16: Recht auf freie Eheschließung
    „Eine Ehe darf nur bei freier und uneingeschränkter Willenseinigung der künftigen Ehegatten geschlossen werden.“
    Bei einer Zwangsverheiratung ist diese freie Zustimmung nicht gegeben – die Betroffenen befinden sich in einer Situation, aus der sie meist von verschiedenen Seiten Druck, Gewalt oder Drohungen erfahren. Die Gewalt kann sowohl physische als auch psychische Formen umfassen. Studien zeigen auf, dass mehr als die Hälfte der Betroffenen mit Gewalt zu einer Zwangsverheiratung gezwungen wurde. 27 % wurden sogar mit Waffen und/oder mit Mord bedroht.[2]
    Zur emotionalen Erpressung oder verbalen Gewalt gehören bspw. Drohungen, aus der Familie ausgestoßen zu werden, das Ansehen der Familie zu ruinieren oder dafür verantwortlich zu sein, wenn die Eltern sich etwas antun.[3]
     
  • Artikel 2: Recht auf Gleichbehandlung und Verbot von Diskriminierung
    „Jeder hat Anspruch auf die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach […] Geschlecht, Sprache, Religion, […] nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand.“
    Zwangsverheiratungen betreffen überwiegend Mädchen und Frauen. Je nach Studie liegt der Anteil weiblicher Betroffener bei über zwei Drittel [4] bis zu 93%. [5]
    Zwangsverheiratungen sind demnach Ausdruck struktureller Diskriminierung von Frauen und weiterhin weltweit vorherrschender patriarchaler Normen und Werte. Die Folgen einer Zwangsverheiratung beziehen sich zumeist auf das gesamte Leben und gehen mit einer Vielzahl weiterer Diskriminierungen und Einschränkungen einher. Gesellschaftliche Normen, in denen Frauen den Männern tendenziell untergeordnet sind, werde auf diese Weise weitergegeben.
     
  • Artikel 3: Recht auf Freiheit und Sicherheit der Person
    „Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.“

    sowie
     
  • Artikel 12: Freiheitsspäre des Einzelnen
    Niemand darf willkürlichen Eingriffen in sein Privatleben, seine Familie, seine Wohnung und seinen Schriftverkehr oder Beeinträchtigungen seiner Ehre und seines Rufes ausgesetzt werden.“
    Eine Zwangsverheiratung geht häufig mit einer eingeschränkten Bewegungsfreiheit sowie starker (familiärer) Kontrolle einher. Insbesondere Mädchen und Frauen werden in ihren sozialen Interaktionen streng überwacht oder sogar isoliert. [6]
    11 % der Mädchen und Frauen wurden für die Zwangsverheiratung gekidnappt bzw. gegen ihren Willen ins Ausland gebracht. [7] 
    Zudem wird das Recht auf Selbstbestimmung und das Recht auf freie PartnerInnenwahl gravierend verletzt.
     

  • Artikel 4: Verbot der Sklaverei
    „Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden; Sklaverei und Sklavenhandel sind in allen ihren Formen verboten.“
    Bereits 1956 wurde im „Zusatzübereinkommen über die Abschaffung der Sklaverei, des Sklavenhandels und sklavereiähnlicher Einrichtungen und Praktiken“ die Verheiratung von Frauen gegen „Geld- oder Naturalleistungen“ als  „sklavereiähnliche Praktik“ beschrieben. [8]
    Weiter gefasst wird diese Definition durch neuere Untersuchungen zu sog. „moderner Sklaverei“. Zu dieser gehört laut Organisationen wie der International Labour Organisation (ILO) neben der Zwangsarbeit auch Zwangsheirat bzw. Zwangsehe. Denn in einer Zwangsehe können Verhältnisse existieren, die einer Sklaverei stark ähneln, wie bspw. fehlende Selbstbestimmung über Körper, Beruf, Gesundheit, Lebensführung. Zudem könne man sich aus dieser Lage nicht mit eigenen Mitteln befreien. Eine Zwangsheirat kann daher auch als „lebenslange Freiheitsstrafe“ beschrieben werden. [9]
     
  • Artikel 25: Recht auf Wohlfahrt
    „Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet, […] . Mütter und Kinder haben Anspruch auf besondere Fürsorge und Unterstützung.“
    Wer zu einer Ehe gezwungen wurde, ist einem höheren Risiko von sexueller Ausbeutung und Gewalt ausgesetzt. [10]
    Dies kann mit psychischen Erkrankungen, Vergewaltigungen in der Ehe oder ungewollten Schwangerschaften einhergehen [11]
     
  • Artikel 26: Recht auf Bildung
    „Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung. […] Der Grundschulunterricht ist obligatorisch. Fach- und Berufsschulunterricht müssen allgemein verfügbar gemacht werden, und der Hochschulunterricht muss allen gleichermaßen entsprechend ihren Fähigkeiten offenstehen.“
    Eine Zwangsheirat geht insbesondere bei Mädchen und Frauen häufig mit einem Schul- und Ausbildungsabbruch einher. Laut einer Studie des Bundesfamilienministeriums gaben 68% der Zwangsverheirateten an, dass die Schule oder Ausbildung im Zuge der Zwangsheirat abgebrochen wurde. 52% der Personen, die noch nicht verheiratet waren, befürchteten einen Schul- oder Ausbildungsabbruch. Frauen sind davon signifikant höher betroffen als Männer. [12]
    Langfristig werden den Mädchen und Frauen auf diese Weise Chancen auf ein (finanziell) unabhängiges, selbstverantwortliches Leben genommen.

 

Situation in Deutschland

Im Jahr 2011 wurde (die bislang einzige) bundesweite  Studie – unter der Mitarbeit von TERRE DES FEMMES – zum Thema „Zwangsverheiratung in Deutschland" veröffentlicht. Für das Untersuchungsjahr 2008 wurden damals in Deutschland 3.443 Personen erfasst, die sich bezüglich einer angedrohten oder bereits vollzogenen Zwangsverheiratung beraten ließen - 93% von ihnen Mädchen und Frauen. Ein knappes Drittel der Betroffenen war minderjährig. Die größte Gruppe der von Zwangsverheiratung Bedrohten oder Betroffenen war 18-21 Jahre alt (40%).

Im Mai 2022 führte TERRE DES FEMMES eine eigene, nicht repräsentative Umfrage unter Lehrkräften und SchulsozialarbeiterInnen durch. Insgesamt wurden 1.847 Fälle (inkl. Verdachtsfälle) von angedrohten oder vollzogenen Früh- und Zwangsverheiratungen an deutschen Schulen durch teilnehmende Lehrkräfte bzw. SchulsozialarbeiterInnen angegeben.
Hier finden Sie die vollständige Auswertung der Umfrage.

Viele Betroffene oder Bedrohte trauen sich nicht, sich Hilfe zu holen oder sie wissen nicht, dass es Beratungsstellen gibt. Es ist daher von einer hohen Dunkelziffer auszugehen.

 

Quellen

[1] University of Nottingham: Major new database reveals severe shortcomings in efforts to eliminate forced marriage, press release, 11 December 2024. Online unter: https://www.nottingham.ac.uk/news/forced-marriage-database Letzter Abruf 30.09.2025.

[2] Mirbach, Thomas/ Schaak, Torsten/ Triebl, Katrin: Zwangsverheiratung in Deutschland: Anzahl und Analyse von Beratungsfällen. Hamburg, 2011, S. 129.

[3] International Labour Organization (ILO) / Walk Free / International Organization for Migration (IOM) (Hg.): Global Estimates of Modern Slavery: Forced Labour and Forced Marriage, Genua 2022, S. 69

[4] Vgl. ebd., S. 5.

[5] Bundesfamilienministerium: Zwangsverheiratung bekämpfen – Betroffene wirksam schützen. 5. Auflage, Berlin 2022, S. 9.

[6] „Vgl. Mirbach/Schaak/Triebl, Zwangsverheiratung in Deutschland, S. 111; Scottish Government: Forced Marriage Practitioner Guidance - update 2014, online unter: https://www.gov.scot/publications/forced-marriage-practitioner-guidance-update-2014/pages/5/  Letzter Abruf: 26.09.2025

[7] ILO, Modern Slavery, S. 69.

[8] UNO: Zusatzübereinkommen über die Abschaffung der Sklaverei, des Sklavenhandels und sklavereiähnlicher Einrichtungen und Praktiken. Genf 1956, Teil 1, Artikel 1.

[9] Vgl. ILO, Modern Slavery, S. 1/2, S. 5.

[10] Vgl. ILO, Modern Slavery, S. 5.

[11] Vgl. Scottish Government, Forced Marriage. Letzter Abruf 26.09.2025

[12] Mirbach/Schaak/Triebl, Zwangsverheiratung in Deutschland, S. 103.

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