Dokumentationsstelle

Die Bescheidenheit ist vorbei

1986 – 1988: Die Auseinandersetzungen mit einem Textilriesen um menschenwürdige Arbeitsbedingungen

Mit „unverschämt günstigen Preisen“ warb die Bekleidungsfirma Adler 1986 – erfolgreich – um Kundschaft. So billig konnte das im baden-württembergischen Haibach ansässige Unternehmen, mit 36 Filialen in der Bundesrepublik, Österreich, Luxemburg und der Schweiz seine Ware anbieten, weil es in Südkorea produzieren ließ. Den tatsächlichen Preis für die billige Ware zahlten die ArbeiterInnen der Zuliefererfirma Flair Fashion in Iri, Südkorea.

Diese ausbeuterischen Zustände in den Textilstätten veranlasste die Korean Democracy Labour Movement im Oktober 1986 zu einem Bericht, den sie an deutsche Öffentlichkeit adressierte. Übersetzt von der Koreanischen Frauengruppe Berlin, erreicht diese Post auch die TERRE DES FEMMES-Frauen, die das aufklärenden Schreiben sofort in ihrem Rundbrief veröffentlichen.

Der hohe Preis billiger Kleidung

Die Ausführungen der koreanischen Organisation sind mehr als ernüchternd:
In der von Ausländern geleiteten Flair Fashion lägen die Löhne selbst unter der von der regierungsnahen Gewerkschaft geforderten Bezahlung. Dabei würden zusätzlich zu den 12 Arbeitsstunden ein bis zwei Überstunden pro Tag erzwungen werden.
Beim Verlassen des Werkes würde man peinlich genauen Leibesvisitation unterzogen werden; die zumeist deutschen Abteilungsleiter seien herablassend und verletzend im Umgang mit den – in der Mehrzahl -  weiblichen Arbeitnehmern; um Vorarbeiterin oder Schichtleiterin werden zu können, müssten die Frauen sexuelle Beziehungen zu den deutschen Abteilungsleitern eingehen; fände ein deutscher Leiter Gefallen an einer Arbeiterin, müsste diese seinen Wünschen entgegenkommen – oder um ihre Stelle bangen1.

Erschüttert wendet sich TDF an den Adler-Gesamtbetriebsrat, der bleibt eine Antwort schuldig. Dafür trifft eine Einladung an TDF aus Korea ein, die Verhältnisse bei Flair Fashion vor Ort, in Iri, zu überprüfen.

Ein erstes Treffen mit den Herren von Adler

TDF lehnt zunächst ab, im Dezember 1986 nehmen aber drei Frauen in Begleitung von zwei Aktivistinnen der koreanischen Gruppe an einer Firmenkonferenz in Dietlikon bei Zürich teil. Das von TDF verfasste Protokoll von dem dreistündigen Treffen mit den sechs Männern der Adler-Führungsriege vermittelt die überlegene und aggressive Haltung, mit der ihnen begegnet wird:

„Während der ganzen Konferenz blieben die Herren immer belehrend und onkelhaft, bezeichneten uns einmal sogar als Hinterwäldler und versuchten, uns als sachlich nicht kompetente Idealistinnen, die irgendwelchen Fehlinformationen aufgesessen waren, darzustellen.“2

Ihre Techniker in Iri dürften sich gar nicht mit Arbeiterinnen einlassen, denn bei Zuwiderhandlung drohe ihnen eine fristlose Kündigung. Als die Frauendelegation ihnen die Namen von betroffenen koreanischen Arbeiterinnen verweigern, lässt die Antwort von Fürchtegott Adler tief in seine sexistischen Abgründe blicken: „Dann könnten auch wir behaupten, Sie hätten gestern mit einem Pferd geschlafen.“3

Obwohl sie Vorwürfe abstreiten, sichern die Herren von Adler eine koreanische Untersuchungskommission bei Flair Fashion zu.

Solidarität mit dem Arbeitskampf in Iri

Gescheiterte Tarifverhandlungen münden im April 1987 in einer Vollversammlung bei Flair Fashion und in Streiks, die brutal aufgelöst werden, 12 Gewerkschaftsmitglieder werden entlassen4.

In Deutschland erfahren die koreanischen NäherInnen, SchneiderInnen und BüglerInnen  – nicht nur durch TDF – zunehmend Unterstützung: Demos werden vor Adler-Märkten organisiert, Flugblätter verteilt, die Medien auf Stand gebracht.

Bei einer Aktion in Neckartenzlingen reagiert die Firmenleitung rabiat gegen die Demonstrierenden; die von ihr selbst gerufene Polizei muss den aufgebrachten Adler-Chef davon überzeugen, dass „Pressefreiheit und freie Meinungsäußerung“ in der Bundesrepublik auch auf einem öffentlichen Parkplatz gelten.

Selbst eine fünfseitige dementierende Stellungnahme aus Iri, die Fürchtegott Adler im Mai vorstellt, in der die entlassenen WortführerInnen des Streiks als „notorische Randalierer und Störenfriede“, dargestellt werden, kann den Sympathiebekundungen für die ArbeiterInnen keinen Abbruch tun:

Die Christliche Arbeiterjugend startet im Juni eine Unterschriftenkampagne und sammelt Spenden für die Entlassenen, der Bayerische Mütterdienst initiiert eine Briefaktion an die Adlerzentrale, die Koordinationsstelle Korea von ai legt eine Presseschau vor.

Das ZDF beschäftigt sich in der Sendung WISO mit dem Fall Adler/Flair Fashion.
In Frankfurt konstituiert sich ein breites Aktionsbündnis, das von autonomen Frauen über Ortsgruppen der Gewerkschaft Textil und Bekleidung sowie Handel, Banken und Versicherung reichte.

Der starrköpfige Kurs der Adler-Verantwortlichen beginnt allmählich zu bröckeln.

Die Anschläge der Roten Zora und der Amazonen

Eine richtige Kehrtwende sollten aber die Brandanschläge der feministischen Untergrundbewegung Rote Zora bringen. Nachdem am 23. Juni 1987 ein feuchter Sprengsatz einen Anschlag auf das Haibacher Verwaltungsgebäude vereitelte, ließ die Rote Zora am 15. August in acht Bekleidungsmärkten Zündsätze hochgehen.

Adler bezifferte den Schaden auf 30 Millionen DM. Und – passend zu seinem bisherigen Geschäftsgebaren, bietet einige Tage später die Brandware verbilligt an5.

Das Vorgehen der Roten Zora wird von den Flair-Fashion-Solidaritätsgruppen strikt abgelehnt. Auch TDF distanziert sich, befürchtet eine Diskreditierung ihres gewaltfreien Engagements.

Am 21. August 1987 bemühen sich die Adler-Männer zu einem zweiten Gespräch mit TDF nach Tübingen. In dem vierstündigen Gespräch wird TDF vorgeworfen, „mit ihrem Engagement den Boden fruchtbar gemacht zu haben für Gewaltakte“.

Nach einem weiteren Anschlag der Amazonen, den Schwestern der Roten Zora, verspricht Adler schlagartig die Erfüllung sämtlicher Forderungen und lässt über die Medien verkünden:
„Das Unternehmen beugt sich damit der Gewalt terroristischer Gruppen, weil es keine andere Möglichkeit sieht, sein Werk in Südkorea und die Märkte in der Bundesrepublik ohne Gefahr weiterzuführen.“6

Adler kann sein Gesicht wahren und in seinem Märtyrertum sogar noch Sympathien gewinnen.

Die Reise nach Korea

Bislang hatte es nur männliche Delegationen nach Korea gegeben. Nun entsendet TDF mit Ute Koczy und Christa Stolle zwei Frauen, gemeinsam mit Jaisin Pak von der Koreanischen Arbeitsgruppe in das „Schwellenland, das sich ohne Rücksicht auf menschliche Opfer der Industrialisierung und dem Wachstum verschrieben“7 hatte. Finanziert wird die Reise durch verschiedene Einrichtungen sowie aus eigenen Mitteln.

Vom 11. November bis zum 9. Dezember 1987 können sich die Frauen ein Bild von den Zugeständnissen von Adler bei Flair Fashion machen und sich in Seoul mit Vertreterinnen der Frauen- und Arbeiterinnenbewegung austauschen.

In Iri verbringen sie vier Tage und treffen u.a. die entlassenen Männer und Frauen, eine Sozialarbeiterin, Beschäftigte bei Flair Fashion und die Geschäftsleitung.

Inzwischen hat sich tatsächlich einiges getan: So gibt es seit September eine freie, direkt gewählte Gewerkschaft; sieben der entlassenen Frauen haben eine hohe Abfindung bekommen, zwei weitere erkämpften sich ihren Arbeitsplatz zurück. Adler ist den Lohnforderungen nachgekommen.

Mit der Nachtarbeit, in anderen Firmen Südkoreas unüblich, ist ein Problem geblieben: Nach tradiertem konfuzianistischem Verhaltenskodex ist es Frauen verboten, sich nachts draußen aufzuhalten. Aber auch das System, mit dem die Arbeitsleistungen wertend auf öffentlichen Listen in verschiedenen Farben festgehalten würden, beschäme und erniedrige die Arbeitenden, setze sie unter Druck. Auch die Abschaffung des unübersichtlichen Lohnsystems, das unterschiedliche Prämien für Einzel- und Gruppenakkordarbeit beinhaltet, wird weiterhin eingeklagt.

Zurück in Deutschland wurde eine ausführliche Dokumentation zusammengestellt, die sowohl die Entwicklung bei Flair Fashion nachzeichnet, aber auch den Geschehnissen in Deutschland Rechnung trägt.
Zeitungsartikel, Flyer, Presseerklärungen, Korrespondenzen unterlegen die Dokumentation.

Die Arbeitsbedingungen in Südkorea mögen sich gebessert haben, aber auch heute gilt nach wievor: Augen auf beim Kleiderkauf!

Stand: Dezember 2021

Quellen:

Ute Koczy (TERRE DES FEMMES); Stolle Christa (TERRE DES FEMMES); Pak, Jai Sin (Koreanische Frauengruppe): Die Bescheidenheit ist vorbei. Koreanische Frauen wehren sich gegen Ausbeutung und ungerechte Weltwirtschaftsstrukturen. Das Beispiel Flair Fashion/Adler

Epd – Entwicklungspolitik III/88 Materialien, herausgegeben vom Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik e.V., Frankfurt am Main, 1988

TERRE DES FEMMES: Rundbrief 3/86, Tübingen, 1986

TERRE DES FEMMES: Rundbrief 2/87, Tübingen, 1987

TERRE DES FEMMES: Rundbrief 4/87, Tübingen, 1987

TERRE DES FEMMES: Protokoll vom 05.12.86 - Treffen mit dem Adler Management in Zürich/Dietlikon, Tübingen 1986

Christa Stolle: Freiwild in der Freihandelszone, die tageszeitung vom 22.12.1986

Dirk Messner: Deutscher Multi fährt einen brutalen Kurs, die tageszeitung vom 11.04.1987

Christa Stolle und Ute Koczy: Abschied von der Fügsamkeit. Die Zugeständnisse der Firma Adler/Reisebericht aus einem „Billiglohnland“, Südwest Presse/Schwäbisches Tagblatt vom 06.02.1988

1 TERRE DES FEMMES-Rundbrief 3/86
2 Protokoll vom 05.12.86 Treffen mit dem Adler Management in Zürich/Dietlikon
3 Protokoll vom 05.12.86, sowie „Freiwild in der Freihandelszone“, taz vom 22.12.86
4 Deutscher Multi fährt brutal“, taz 11.07.1987
5 Die Hauptgemeinschaft des Deutschen Einzelhandels kündigt darauf gerichtliche Schritte gegen Adler an (Aus: Die Bescheidenheit ist vorbei, S. 46)
6 Die Bescheidenheit ist vorbei, S. 48
7 Die Bescheidenheit ist vorbei, S. 50

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