Dokumentationsstelle

Sextourismus – das Geschäft mit der Kindlichkeit

1989 - 1999: 10 Jahre Engagement gegen Kinderprostitution

„Start ins Nachtleben von Manila. Erlebnisrunde in Manila mit natürlichen jungen Mädchen. Eine solche Nacht kostet einschließlich weiblicher Begleitung komplet [sic] mit Getränken etc. ca. DM 70,- - 90,-„

Dieser Auszug aus einem Reiseverlauf der PMW-Touristic ist in einer der Ausgaben des TERRE DES FEMMES-Rundbriefes aus dem Jahr 1989 nachlesbar, in dem der vollständige Reiseverlauf dieser „Spezialreise“ abgedruckt ist, um so die Unverfrorenheit des Reiseveranstalters offenzulegen. Dieser wird nicht müde wiederholt „traumhaft schöne und absolut natürliche Mädchen“, über die bis zum Brunch verfügt werden kann, anzubieten.[1]

„Viele dienstbare Geister‘ sorgen für Ihr Wohlbefinden“

TERRE DES FEMMES (TDF) beschwert sich empört beim Deutschen Reisebüroverband über diese frauenverachtenden Angebote: „Seit einigen Jahren wehren wir uns zusammen mit Frauenorganisationen vor Ort gegen Sextourismus und Frauenhandel.“ Als Mitverursacher dieses Problems werden die Reiseveranstalter genannt. Der Deutsche Reisebüroverband stellt zwar Anzeige gegen PMW, sieht sich aber weiter nicht in der Verantwortung.[2]

Nur: der Fall PMW ist leider keine Ausnahmeerscheinung in der Branche. Sextouristen aus den reichen Industrienationen gehören Ende der 1980er Jahre längst zum Bild „einschlägiger“ Viertel in Ländern wie Thailand, Sri Lanka und den Philippinen; aber auch in afrikanischen Ländern halten sie Ausschau nach immer jüngeren Mädchen und Jungen.

Als Konsequenz dieses erschütternden Phänomens wurde im Mai 1990 auf einer Tagung in Chiang Mai in Thailand die Internationale Kampagne ECPAT (End Child Prostitution in Asian Tourism) ins Leben gerufen.

 „Auf Sex ausgerichteter Tourismus in Asien und anderen Teilen der Dritten Welt hat die Kinderprostitution ausgeweitet und in einigen Fällen verursacht“ heißt es in der einstimmig verabschiedeten Abschlusserklärung.[3]

60 Prozent der Touristen in Thailand sind Sexkäufer

TDF wird sich dieser – zunächst auf drei Jahre angelegten – Kampagne anschließen, von 1994 bis Anfang 1999 sogar die Koordinationsstelle der Deutschen Arbeitsgemeinschaft von ECPAT innehaben und sich vehement mit zahlreichen Veranstaltungen und politischer Lobbyarbeit dafür einsetzen, Sextouristen das Handwerk zu legen.

Mit Transparenten wie „Stopp des Kindesmissbrauchs durch Touristen“ demonstrieren TDF-Frauen anlässlich des 25. Novembers 1990, dem Tag „NEIN gegen Gewalt an Frauen“, in Tübingen vor Reisebüros und fordern eine aktive Kooperation der Reiseveranstalter und – eine „strafrechtliche Verfolgung der Täter“. [4]

Es sind vor allem Japaner, US-Amerikaner und Europäer – allen voran die besonders reiselustigen Deutschen, die sich im Urlaub mit oft minderjährigen Prostituierten vergnügen. Die Armut ihrer Familien drängt immer mehr Kinder in die Arme reicher Touristen. So ging selbst die thailändische Regierung von etwa 200.000 Kinder aus, die ihren Körper feilboten. Die Käufer locken pädophile Fantasien, die Aussicht auf ungeschützten Geschlechtsverkehr – der ihnen in den heimischen Bordellen verwehr wird; junge, „unverbrauchte“ Körper lassen eine HIV-Ansteckung unwahrscheinlicher erscheinen. Mit fatalen Folgen für die Mädchen und Jungen.

Rechtsfreier Raum für westliche Sexkäufer

Prostitution war zwar in Thailand, Sri Lanka und den Philippinen verboten. Sie wurde aber gerade wegen des boomenden Tourismus toleriert. Christa Stolle, die Thailand 1990 als TDF-Delegierte bereiste, zitiert in einem im Schwäbischen Tagblatt erschienen Artikel den thailändischen Regierungssprecher: „Wenn es keinen Sex gäbe, gäbe es auch nicht so viel Tourismus“. Und vor diesem monetären Argument wird auch das Problem der Kinderprostitution von der thailändischen Regierung kleingeredet, in dem sie es mit dem des Drogenmissbrauchs in den USA gleichsetzt.[5]

Die vielen ausländischen Sextouristen müssen weder die Justiz im Gastland fürchten, noch eine strafrechtliche Verfolgung für ihr kriminelles Handeln in ihrem Heimatland.

Die Bestrafung sexualisierter Gewalt gegen Kinder im Ausland durch die deutsche Justiz gehörte über Jahre hinweg zu den Forderungen von TDF und den KampagnenpartnerInnen.

Unter dem Slogan ,,Kinderprostitution: Kein Urlaubsvergnügen - ein Verbrechen" bringen TDF-Frauen am 25. November 1992 mit einer Plakat-Aktion das Thema erneut in die Öffentlichkeit. Am 20. September 1993, am Tag des Kindes, organisiert TDF eine erfolgreiche Aktion gegen sexuelle Ausbeutung von Kindern vor einem großen Reisenternehmen in Stuttgart. Dieses verpflichtet sich schließlich, in seinen Vertragshotels das Verbot von Kinderprostitution durchzusetzen und alle ReiseleiterInnen und KundInnen über das Problem aufzuklären.[6]

Seit September 1993 wird sexualisierte Gewalt an Kindern im Ausland auch in Deutschland bestraft

1993 kann TDF-Mitfrau Ute Kreckel, die die Koordinationsstelle der Deutschen Arbeitsgemeinschaft von ECPAT leitet, erste Erfolge aufzählen:

In Australien, Thailand und den Philippinen werden Gesetze erlassen, die sexuellen Kindesmissbrauch ahnden. Durch intensive Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit bei PolitikerInnen war endlich auch ein Durchbruch in Deutschland gelungen: Deutsche Touristen, die im Ausland Kinder sexuell missbrauchen, müssen mit einer Haftstrafe bis zu zehn Jahren rechnen. Der Besitz kinderpornografischer Darstellungen wird ebenfalls unter Strafe gestellt.[7]

1997 kann ein weiterer Erfolg gemeldet werden: Schwerer sexueller Missbrauch gegen Kinder und Verbreitung von Kinderpornografie wird jetzt nicht nur als Vergehen, sondern als Verbrechen eingestuft und mit 15 Jahre Haft bestraft.[8]

2022 – Kinderhändler profitieren vom Ukrainekrieg

Der am 24. Februar in der Ukraine entfachte Krieg hat allzu viele Menschen in die Flucht getrieben. Die meisten von ihnen sind Frauen und Kinder. Ihre Wehrlosigkeit und Hilfsbedürftigkeit hat Menschenhändler auf den Plan gebracht. ECPAT ruft dazu auf, das Leben dieser Kinder vor dem Krieg und seinen Folgen zu schützen. Unter den Flüchtlingen befänden sich zahlreiche unbegleitete Kinder: „Unbegleitete und vermisste Kinder sind besonders anfällig für Menschenhandel, Missbrauch und sexuelle Ausbeutung. Ihre Sicherheit und ihr Schutz muss Priorität haben!“[9]

Quellen und weiterführende Literatur:

PMW-Tourisitc GmbH: Reiseverlauf einer Spezialreise auf die Philippinen. In: TERRE DES FEMMES-Rundbrief 3/1989, S. 21

„Der Sextourismus hat die Kinderprostitution ausgeweitet.“ Organisationen aus Asien, Westeuropa, Japan und den USA starteten Kampagne gegen die „heutige Form der Sklaverei“. Artikel aus der Frankfurter Rundschau vom 07.05.1990. In: TERRE DES FEMMES-Rundbrief 2/1990, S. 33 ff.

Tourismus mit Folgen. Frauendemonstration gegen sexuelle Ausbeutung. Artikel aus dem Schwäbischen Tagblatt vom 25.11.1990. In: TERRE DES FEMMES-Rundbrief 4/1990, S. 7

Aufruf zur Beteiligung an einer Kampagne gegen Kinderprostitution im Zusammenhang mit Sextourismus in Südostasien. In: TERRE DES FEMMES-Rundbrief 1/1991 S. 35 f.

Christa Stolle: Sie schaffen an für ihr Land. Wenn Sex zur Quelle der Reiselust wird/ Mädchen werden zur Prostitution gezwungen. Artikel erschienen im Schwäbischen Tagblatt vom 03.08.1990. In: Tourismus mit Folgen. Frauendemonstration gegen sexuelle Ausbeutung. Artikel aus dem Schwäbischen Tagblatt vom 25.11.1990. In: TERRE DES FEMMES-Rundbrief 3/1990, S. 38 ff.

Ute Kreckel: Neues aus der Kampagne gegen Kinderprostitution. TERRE DES FEMMES-Rundbrief 3/1993, S. 41

Monika Gerstendörfer: „Der ganz normale Mann?“ Sexuelle Ausbeutung von Kinder durch Touristen. In: TERRE DES FEMMES-Rundbrief 1/1994, S. 17

Arbeitsgemeinschaft gegen Kinderprostitution im Sextourismus (ECPAT Germany): Maßnahmen gegen sexuellen Mißbrauch. In: Menschenrechte für die Frau - TERRE DES FEMMES 2/1998

ECPAT in EUROPA: Wir müssen das Leben der Kinder aus der Ukraine vor dem Krieg und seinen Folgen schützen! EUROPA, 7. März 2022 -

https://ecpat.de/wp-content/uploads/2022/03/ECPAT-Europe-statement-on-Ukraine.pdf
Abruf am 06.04.2022, 16:00 Uhr

Kampagne gegen Kinderprostitution im Sextourismus (Hrsg.): Kinderprostitution und Tourismus. Die deutsche gegen Kinderprostitution im Sextourismus 1991 – 1994.

Stand: April 2022

[1] TERRE DES FEMMES-Rundbrief 3/1989, S. 21
[2] TERRE DES FEMMES-Rundbrief 3/1989, S. 23 f.
[3] TERRE DES FEMMES-Rundbrief 2/1990, S. 17
[4] TERRE DES FEMMES-Rundbrief 4/1990, S. 5 ff.'
[5] TERRE DES FEMMES-Rundbrief 3/1990, S. 38 ff.
[6] TERRE DES FEMMES-RUNDBRIEF 3/1993, S. 41
[7] ebd.
[8] Menschenrechte für die Frau - TERRE DES FEMMES 2/1998, S. 12
[9] https://ecpat.de/wp-content/uploads/2022/03/ECPAT-Europe-statement-on-Ukraine.pdf

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