Interview mit fünf Mentorinnen für angehende Unternehmerinnen in Nicaragua
Die Unternehmerinnen diskutieren ihre Ideen mit den Mentorinnen. © TERRE DES FEMMES Die TDF-Partnerorganisation Asociación Proyecto MIRIAM hat seit 2020 ein Mentorinnen-Programm für angehende Unternehmerinnen aufgebaut. Allen Frauen, denen das Programm zugutekommt, ist gemein, dass sie ein eigenes Unternehmen gründen wollen oder bereits gegründet haben. Viele der Frauen haben bei MIRIAM Berufsbildungs- und Businessplanungskurse besucht. Doch meist fehlt es an Erfahrungswissen und positiven Vorbildern, die die Frauen unternehmerisch inspirieren, motivieren und ihr Selbstbewusstsein stärken. Hier berichten fünf Mentorinnen, warum sie Mentorinnen geworden sind, was das Programm bereithält und wie sie es bewerten.
Das Gespräch führte Birgitta Hahn von TDF mit Alison Moreno, Vilma Lopez, Marbely Ruíz, Leonor Castillo und Angélica Maria Rízo. Vor dem Gespräch fand ein Mentorinnen-Input zu digitaler Werbung und Marketing-Strategien statt, an dem 15 angehende Unternehmerinnen teilnahmen. Input-Geberinnen waren an diesem Abend Alison Moreno und Angélica Maria Rízo.
TDF: Seit wann kennst du MIRIAM und wie bist du auf das Mentorinnen-Programm aufmerksam geworden?
Mentorinnen Alison (links) und Angélica (rechts) gaben den Input zu digitaler Werbung und Marketing-Strategien © TERRE DES FEMMESLeonor: Ich kenne MIRIAM seit 15 Jahren. Mir hat immer gefallen, wie Frauen, die hierherkommen, miteinander umgehen, und was MIRIAM uns Frauen vermittelt. Wir haben gelernt, gewaltvolles Verhalten zu identifizieren, und uns selbst zu helfen. Erst 2021 habe ich selbst an einem Berufsbildungskurs für Schneiderei und Modedesign teilgenommen. Auf das Mentorinnen-Programm bin ich durch einen Anruf von MIRIAM aufmerksam geworden. Sie haben mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, selbst als Mentorin aktiv zu werden.
Alison: Ich kenne MIRIAM bereits seit meiner Kindheit. Meine Mutter hat als Lehrkraft für den Berufsbildungskurs Handarbeiten bei MIRIAM gearbeitet. Leider ist sie vergangenes Jahr an COVID gestorben. Seit ich 14 Jahre alt bin, durfte ich selbst bei Veranstaltungen mitmachen. Für mich ist der Gedanke des Frauen-Empowerments seit jeher wichtig. Ich habe viel von meiner Mutter gelernt. MIRIAM war ihre zweite Familie, sie hat hier sehr viel Zeit verbracht und einen Großteil ihrer Energie reingesteckt. Aus meiner Sicht ist die gegenseitige Unterstützung von Frauen essenziell. Genau das passiert hier bei MIRIAM. Oft fehlt es Frauen auch an Selbstbewusstsein, um etwas zu (er)schaffen. MIRIAM stärkt das Selbstbewusstsein der Frauen.
Auf das Mentorinnen-Programm bin ich durch MIRIAM aufmerksam geworden. Sie haben mich zu Hause besucht und mir erzählt, dass sie eine Vorauswahl für das Mentorinnen-Programm getroffen hätten und ich eine ihrer Favoritinnen wäre. Meine Mutter hat alle Frauen als Unternehmerinnen angesehen; und so hat sie den Frauen in ihren Kursen auch alle Techniken beigebracht. Da gab es keine Grenzen oder Einschränkungen, sie sollten Alles lernen. Seit meine Mutter nicht mehr da ist, bin ich umso motivierter, ihre Arbeit fortzusetzen und mich selbst für andere Frauen einzusetzen.
TDF: Was hat dich motiviert, Mentorin zu werden?
Die angehenden Unternehmerinnen ziehen viel Inspiration aus dem Input. © TERRE DES FEMMES Angélica: MIRIAM ist ein Teil meines Lebens. Ich bin schon seit 2002 mit MIRIAM verbunden. Damals war ich eine Studienstipendiatin. Dank der finanziellen Unterstützung von MIRIAM konnte ich Businessverwaltung studieren. Dafür habe ich mich freiwillig engagiert und z.B. sonntags bei MIRIAM gekocht, wenn sie große Veranstaltungen hatten, oder auch am Empfang gearbeitet. MIRIAM bringt uns Frauen Alles bei. Vor allem die Workshops zu unseren Menschenrechten sind aus meiner Sicht wichtig. Auch deshalb, weil sie elementare Werte vermitteln, die wir selbst in unseren Familien weitergeben und leben sollten. MIRIAM gibt dir Werkzeuge mit, um im Leben weiterzukommen, und gerade als Frau zu überleben. Als mir MIRIAM von dem Mentorinnen-Programm erzählte, habe ich mich direkt verliebt. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt schon länger keinen regelmäßigen Kontakt mit der Organisation mehr. 2012 war das letzte Jahr gewesen, in dem ich MIRIAM ehrenamtlich unterstützt hatte. Danach musste ich selbst viel arbeiten, habe eine Familie gegründet und war einfach mit anderen Sachen beschäftigt. Mentorin zu sein ist großartig, weil ich meine Erfahrungen teilen kann. Das ist so wertvoll! Ich habe viel in meinem Leben gelernt, gerade auch, mich gut zu organisieren, denn Arbeiten ist gar nicht so einfach, wenn man z.B. Kinder hat.
TDF: Was hast du zu Beginn von dem Mentorinnen-Programm erwartet?
Vilma: Ich habe ohne bestimmte Erwartungen an dem Programm teilgenommen, aber mit einer sehr großen Bereitschaft. Ich wollte andere Frauen unbedingt unterstützen, das hat mich angespornt.
Marbely: Ich hatte ebenfalls keine konkrete Vorstellung, als das Programm begann. MIRIAM hat uns das Prinzip dann aber nähergebracht. MIRIAM hat uns Alle unterstützt, jetzt will ich als Mentorin andere Frauen unterstützen; gerade, wenn ich sehe, dass die Frauen vorankommen wollen, aber nicht wissen, wie. Da gab es z.B. eine Teilnehmerin, die einen Lebensmittelladen eröffnen wollte, aber keine Idee hatte, wie sie das angehen sollte. Auch an Startkapital fehlte es. In solchen Fällen kann ich gut weiterhelfen, denn es braucht nicht immer viel Geld, um ein Unternehmen in Gang zu bringen. Wichtig ist, dass KundInnen ihre Zufriedenheit oder sagen wir generell positives Feedback weitertragen, FreundInnen und Bekannten davon erzählen. Das allein sorgt schon für gute Werbung und kann einem Business den nötigen Schwung verleihen.
TDF: Was ist deiner Meinung nach das wichtigste Ziel des Mentorinnen-Programms?
Alison: Den Teilnehmerinnen Werkzeuge an die Hand geben, mit denen ihr Geschäft wachsen kann.
Leonor: Die Frauen unterstützen und sie v.a. auch emotional stärken. Ich erinnere mich an eine Teilnehmerin, die bei einem Seminar nicht gegenüber einer Spiegelwand sitzen konnte, weil sie sich selbst nicht anschauen wollte. Die Workshops, die Sensibilisierungen, die MIRIAM den Frauen mitgibt, sind so wichtig, um Selbstliebe zu entwickeln und sich nicht mehr selbst abzuwerten.
Marbely: Nehmen wir mein Beispiel. Ich war früher sehr schüchtern und hatte Schwierigkeiten, mich selbst so anzunehmen, wie ich war. Seit ich die Berufsbildung in Handarbeiten bei MIRIAM besucht habe, ist das anders. Jetzt will ich meine Erfahrung weitergeben und andere Frauen unterstützen.
TDF: Wie bereitest du dich als Mentorin auf einen Input vor?
Auch ältere Unternehmerinnen nutzen digitales Marketing © TERRE DES FEMMESAngélica: Zuallererst bereite ich mich mental darauf vor. Wenn wir Frauen gegenüberstehen, die noch keine größere unternehmerische Erfahrung haben oder vielleicht generell noch nicht im Berufsleben aktiv waren, müssen wir die richtigen Worte finden. Worte, die die Frauen verstehen und die sie abholen. Ich frage mich vor jeder Veranstaltung: wer nimmt daran teil, für wen mache ich diesen Input? Die Themenauswahl machen wir als Mentorinnen alle gemeinsam. Danach entscheiden wir, welche Mentorin welchen Kurs im Einzelnen übernimmt. Das hängt von der eigenen Erfahrung und den persönlichen Stärken ab. Oder wir übernehmen Kurse zusammen. Mein Schwerpunkt ist z.B. die Verwaltung, aber ich habe auch große Freude an der Werbung. Es braucht Informationen, die für die Frauen leicht zugänglich sind, und die sie wirklich erreichen und weiterbringen. Manchmal ist die Informationsauswahl für mich herausfordernd. Früher haben wir mit Büchern gearbeitet, da war die Auswahl begrenzt, heute recherchieren wir alle primär digital. Da gibt es sehr viel Auswahl und wir müssen uns erst einen Überblick verschaffen, was brauchbar ist. Auch müssen die Informationen, die wir vortragen, kondensiert werden. Wir müssen uns auf wenige wichtige Botschaften fokussieren. Für diesen Input heute haben Alison und ich uns drei Stunden vorbereitet.
TDF: Was hat dich als Unternehmerin zum Erfolg geführt und was bedeutet Erfolg für dich?
Leonor: Erfolg bedeutet für mich, glücklich zu sein mit dem, was ich mache, und es mit Liebe zu tun. Die eigene Zufriedenheit spiegelt sich meiner Erfahrung nach in den KundInnen wider. Was mich erfolgreich gemacht hat? Ich denke, vor allem meine Geduld. Ein Business wird nicht von jetzt auf gleich groß oder trägt sich von allein. Wir müssen langfristig denken.
Marbely: Für mich ist Erfolg gleichbedeutend mit zufriedenen KundInnen. Meinen Erfolg verdanke ich meiner Beharrlichkeit – ich habe Schritt für Schritt gekämpft, um meinem Ziel näher zu kommen. Außerdem sollte man immer positiv bleiben. Rückschläge kann es immer wieder geben, aber es gilt, das Positive zu sehen und rauszuholen. Das beste jüngste Beispiel dafür war die Corona-Pandemie. In solchen Zeiten dürfen wir nicht aufgeben.
TDF: Was ist deine bisherige Erfahrung mit dem Mentorinnen-Programm?
Auch Reflexionen und Auflockerungsübungen gehören zu jedem Input dazu © TERRE DES FEMMES Angélica: Meine Erfahrung ist eine sehr positive. Ich lerne selbst eine Menge bzw. vertiefe mein Wissen oder schöpfe neue Erkenntnisse aus dem Austausch mit den Teilnehmerinnen. Wenn die Teilnehmerinnen zufrieden sind, ist das besonders schön. Mit manchen Teilnehmerinnen identifiziere ich mich mehr als mit anderen. In zwei Fällen könnte ich mir auch eine individualisierte Unterstützung vorstellen. Ich spüre, dass diese Frauen wirklich vorankommen wollen. Sie sind hoch motiviert und stehen praktisch in den Startlöchern. Mir ist es ein Anliegen, dass diese Frauen verstehen, wie wichtig wirtschaftliche Unabhängigkeit ist, gerade in der aktuellen Wirtschaftskrise. Nur so können wir frei und autonom sein als Frauen. Wir müssen unsere Abhängigkeiten reduzieren. Wir müssen unsere eigenen Probleme lösen, das kann niemand sonst für uns tun. Meine Mutter warf mir einmal vor, ich sei stolz, weil ich mein eigenes Geld verdienen und es auch selbst verwalten wolle. Für mich hat das Nichts mit Stolz zu tun. Es geht um Unabhängigkeit und gegenseitigen Respekt in der Partnerschaft.
TDF: Wie empfindest du die Interaktion mit den Teilnehmerinnen?
Leonor: Mich motiviert, wenn eine Frau sich selbst übertreffen will. Eine der Teilnehmerinnen hatte in ihrem bisherigen Berufsleben z.B. immer Wäsche für andere Leute gewaschen. Dann lernte sie bei MIRIAM das Schneidern. Sie wollte einfach „mehr sein“ als immer ausschließlich Wäscherin. Diese Teilnehmerin hat mich über den Kurs hinaus beschäftigt. Ich habe auch zu Hause über sie nachgedacht. Ihre Ziele spornen mich an.
TDF: Kannst du als Mentorin auch etwas von den Teilnehmerinnen lernen?
Marbely: Ja, wir Mentorinnen lernen ganz sicher von den Teilnehmerinnen. Etwa wie sie selbst Werbung für ihre Produkte machen. Da sind viele inspirierende Ideen dabei. Außerdem erhalten auch wir Mentorinnen stärkende Impulse – in den anfänglichen Mentorinnen-Workshops habe ich z.B. viel über reproduktive Gesundheit und Selbstfürsorge gelernt. Oder heute in der Fortbildung, dass wir für ein Werbefoto auf den Hintergrund achten müssen. Es gilt alles Störende zu entfernen, so dass sich die späteren BetrachterInnen ganz auf das Produkt konzentrieren können.
TDF: Was gefällt dir am Mentorinnen-Programm und was würdest du gerne ändern?
Angélica: Mir gefällt Alles an dem Programm! Lídia ist eine tolle Koordinatorin und es fällt leicht, mit ihr zusammenzuarbeiten. Außerdem bringt sie immer wieder ihre Ideen und Vorschläge mit ein. Das ist hilfreich. Das einzige Problem ist, dass wir in den Veranstaltungen nie genug Zeit haben. Wir möchten so Vieles vermitteln, die Zeit ist aber immer begrenzt. Vielleicht wäre es gut, mehr Veranstaltungen anzubieten.
Leonor: Auch ich wünsche mir eine zusätzliche Input-Einheit – 1,5 Stunden sind so kurz! Ob die Kurse selbst länger dauern sollten, hängt sicher auch von der Thematik ab, die vermittelt werden soll. Mir gefällt besonders, dass unsere Arbeit für die Frauen eine Hilfe darstellt: gleichermaßen physisch wie psychisch und auf familiärer Ebene. Es geht immer um Empowerment und ich denke mir oft, diese Frauen und ich, wir sprechen die gleiche Sprache. Wir machen das Gleiche durch. Ich bin dankbar, ihnen weiterhelfen zu können.
TDF: Welche Botschaft würdest du den Teilnehmerinnen für ihre Zukunft als Unternehmerinnen mitgeben?
Marbely: Dass sie es schaffen können! Mit einem erreichbaren Ziel, Schritt für Schritt, und auch mit wenig Geld. Außerdem, dass sie positiv bleiben sollen!
Angélica: Dass sie Alles, was wir ihnen mitgeben, versuchen sollen, praktisch anzuwenden. Und dass sie den Input, der von uns kommt, ernst nehmen und Empfehlungen ausprobieren sollen. Nicht zuletzt sind auch Beharrlichkeit und Geduld wichtig.
TDF: Vielen Dank für das Gespräch!
Stand: 11/2022