"Als gewaltbetroffene Mutter ist man leider immer in der Beweispflicht."


Rechtsanwältin Dr. Farsana Soleimankehl-Hanke berät und vertritt MandantInnen in den verschiedenen Bereichen des Rechts, darunter das nationale sowie internationale Familien- und Kindschaftsrecht, das Vertrags- und Schadensersatzrecht sowie das Ausländerrecht. Ein besonderer Schwerpunkt ihrer Arbeit macht das Gewaltschutzverfahren und die Gewährung und Wahrung von Opferrechten aus. In diesem Kontext berät sie nicht nur Frauenhäuser, sondern schult und sensibilisiert die MitarbeiterInnen verschiedener Einrichtungen. Sie ist Dozentin und Herausgeberin des Buches “Killing the Good Girl“. Das Interview führte Johanna Wiest.

TDF: Was beschäftigt Sie bei Ihrer anwaltlichen Tätigkeit derzeit am meisten Frau Soleimankehl-Hanke?

F. Soleimankehl-Hanke: Momentan bearbeite ich viele Fälle von Frauen, die in einem Frauenhaus wohnen. Also Frauen mit Gewalterfahrung. Das prägt mein Tagesgeschäft. Viele meiner Mandantinnen haben Kinder, teilweise besteht auch ein Flucht- oder Migrationskontext. Bei diesen Fällen von Gewalt arbeite ich also an der Schnittstelle von Strafrecht, Familien- und Aufenthaltsrecht. Und an dieser Schnittstelle wird der Schutz von Frauen vor Gewalt nicht ausreichend gewahrt.

TDF: Wie empfinden Sie die rechtliche Situation dieser Frauen? Werden sie in Deutschland ausreichend vor Gewalt geschützt?

F. Soleimankehl-Hanke: Das kommt auf die Verfahrensart und die Situation der Frauen an. Wenn sie Kinder haben, steht in der Regel der Gewaltschutz auf der einen Seite und das Kindschaftsrecht auf der anderen Seite. Und dazwischen ist dann je nach Konstellation das Strafrecht. Wenn man einen Gewaltschutzantrag stellt, geht es tatsächlich nur um die Gewalt. Im Kindschaftsrecht ist die Gewaltkomponente aber nicht prägend, weil dort andere Aspekte eine Rolle spielen. Dann ergeben sich sorge- und/oder umgangsrechtliche Fragen und in vielen Fällen entsteht ein Konflikt zwischen dem Recht des Vaters auf Umgang mit den gemeinsamen Kindern und dem Anspruch der Mutter auf Schutz vor Gewalt und körperliche Unversehrtheit. Bei Frauen mit Flucht- und Migrationshintergrund ist es dann oft noch komplizierter, weil auch aufenthaltsrechtliche Fragen eine Rolle spielen. Wenn Frauen zum Beispiel über eine Familienzusammenführung nach Deutschland kommen, haben sie meist nur ein abgeleitetes Recht. Und das führt dazu, dass die Männer sich in einer überlegenen Position fühlen und mit einer gewissen Willkür mit den Frauen umgehen, weil sie von einer vermeintlichen Abhängigkeit der Frau ausgehen.

TDF: Wie gehen die Familiengerichte mit Fällen um, in denen eine Gewalttätigkeit des Vaters vorliegt? 

F. Soleimankehl-Hanke: Ein großes Problem ist, dass deutsche Familiengerichte das sogenannte Kindeswohl vom Wohlergehen der Mutter trennen. Das Recht auf Umgang des Vaters mit seinen Kindern wird gleichzeitig priorisiert. Aus der Gewaltausübung gegen die Kindesmutter werden keine Schlussfolgerungen auf den Charakter des Mannes gezogen und was beispielsweise seine Rolle als Vater anbelangt. Das wird an dieser Stelle einfach unterbrochen.

TDF: Wie ist das Verhältnis von Familienrecht und Strafrecht? Werden die Väter bestraft, wenn im familienrechtlichen Verfahren eine Gewalttätigkeit erkennbar wird?

F. Soleimankehl-Hanke: Grundsätzlich werden Verfahren im Familien- und Strafrecht unabhängig voneinander geführt. Folglich haben Familiengerichte keine Kenntnis über das Bestehen und den Ausgang eines Strafverfahrens. Im Rahmen familienrechtlicher Entscheidungen werden also keine strafrechtlichen Erkenntnisse zugrunde gelegt, es sei denn eine Partei trägt sie vor. Selbst ein verurteilter Straftäter kann das volle Sorge- oder Umgangsrecht erlangen. Zwischen Familiengericht und Strafgericht gibt es keinen Austausch von Amts wegen, wie etwa eine gemeinsame Datenbank. Es ist somit Sache der AnwältInnen darauf zu achten strafrechtlich relevante Aspekte vorzutragen und ggf. ihre Berücksichtigung im Kindschaftsrechtsverfahren einzufordern. Aber das ist nicht die gängige Praxis. Strafrechtliche Verfahren mit dem Schwerpunkt häusliche Gewalt werden meiner Erfahrung nach mit dem Verweis auf eine „Aussage-gegen-Aussage-Situation“ eingestellt. Das Bestreiten des Privatklageweges können sich die wenigsten gewaltbetroffenen Frauen leisten. Leider ist der vollumfängliche Schutz weder im Straf- noch im Familienrechtsverfahren gewährleistet. 

TDF: Wie wird bei diesen familienrechtlichen Verfahren mit den Müttern umgegangen?

F. Soleimankehl-Hanke: Als gewaltbetroffene Mutter ist man leider immer in der Beweispflicht. Der Vater braucht die Gewaltvorwürfe nur zu negieren und schon ist der Ball wieder bei ihr. Um überhaupt erstmal einen Gewaltschutzantrag durchzusetzen und Schutz zu bekommen, muss man eine eidesstattliche Erklärung abgeben, die strafrechtlich relevant ist. Damit ist man bereits in der Beweisführung. Und im Kindschaftsrecht besteht eben eine Beweispflicht. Wenn die Mutter zum Beispiel im Frauenhaus verbleiben muss, weil sie Gewalt ausgesetzt ist und dadurch den Umgang nicht sicherstellen kann, ist sie bereits zu Beginn des Verfahrens vorbelastet. Es wird dann nur gesehen, dass sie den Umgang nicht ermöglicht hat. Dass die Frau Gewalt erfahren hat, dass sie sich selbst finden muss, also sich ein Leben in einem Provisorium etablieren muss, wird in der Regel ausblendet. Gesehen wird in erster Linie, dass der Vater Kontakt zum Kind möchte, und die Mutter das nicht zugelassen hat. Daraus werden Narrative abgeleitet, die immer der Mutter zugeschrieben werden. Ermöglicht sie nicht den Kontakt von Vater und Kind- aus welchen Gründen auch immer- ist sie bindungsintolerant und versucht gezielt den Vater aus dem Leben des Kindes zu verdrängen.

Das der Vater gegen die Mutter gewalttätig war, wird fast ausgeblendet. Gewalt ist im Kindschaftsrecht eigentlich kein Thema. Es sei denn es geht wirklich um unmittelbare Gewalt gegen die Kinder. Aber psychische Gewalt, vermittelt durch die Anwendung unmittelbarer Gewalt gegen die Mutter spielt keine Rolle. Ich habe viele Verfahren begleitet und habe das Gefühl, dass sich dieser Trend verfestigt hat. Die Mutter ist dafür verantwortlich den Umgang sicherzustellen. Ob die Mutter jetzt grün und blau geschlagen worden ist und extreme Gewalt erfahren hat, spielt eigentlich keine Rolle.

TDF: Was du beschreibst, klingt für mich so, als gäbe es eine ungleiche Behandlung von Müttern und Vätern bzw. Männern und Frauen in diesen familienrechtlichen Verfahren. Würdest du dem zustimmen?

F. Soleimankehl-Hanke: Das ist völlig zutreffend. Hier zeigen sich etablierte, patriarchalische Denkmuster, die diesen Entscheidungen subtil zugrunde gelegt werden. Wenn ein Vater mal etwas tut, was den normalen Rahmen des im Patriarchat sprengt, wird das sehr positiv betrachtet. Das ist dann etwas ganz Besonderes. Wenn er zum Beispiel mal für die Kinder kocht. Das würde eigentlich schon reichen, um den Vater als einen Helden darzustellen. Es gibt keinen Raum für Bemühungen der Mutter oder für das, was die Mütter machen. Die Frauen in den Frauenhäusern sind ein gutes Beispiel. Trotz allem versuchen sie den Lebensstandard der Kinder aufrechtzuerhalten. Es ist nicht so, dass sie dann die Kinder nicht mehr zur Schule bringen. Egal in welcher Verfassung sie sind, sie kümmern sich um ihre Kinder. In der Regel sind die Mütter auch die Bezugspersonen der Kinder. Die traditionellen Rollenmuster sind immer noch sehr ausgeprägt. Meist arbeiten die Mütter zumindest in den ersten Lebensjahren Teilzeit, weil sie mit den klischeehaften Aufgaben der Mutter betraut sind. Das wird so vorausgesetzt und darauf ruhen sich die Väter aus. Wenn der Vater einen Umgangsrechtsantrag stellt, wird ihm allein das schon angerechnet. Damit zeigt er seinen guten Willen. Zur Überprüfung der Erziehungsfähigkeit des Vaters kommt es nur in extremen Fällen, also bei Gewalt gegen die Kinder oder massiver Gewalt im Beisein der Kinder. Drogen könnten noch eine Rolle spielen. Wenn der Vater zum Beispiel im Beisein der Kinder konsumiert, könnte das ein Anlass sein, um an der Erziehungsfähigkeit des Vaters zu zweifeln. Aber die Nachweispflicht liegt in der Regel bei der Mutter. Also der Maßstab, den die Mütter zu erfüllen haben, ist ungleich viel höher und da werden dann psychologische Gutachten eingeholt, was die Frage der Erziehungsfähigkeit angeht.

TDF: Die gesellschaftliche Realität der Ungleichheit zwischen Mann und Frau wird also in diesen Verfahren nicht berücksichtigt?

F. Soleimankehl-Hanke: Meiner Erfahrung nach nicht. Man will den Vätern die gleichen Rechte zusprechen, aber die tatsächlichen Verhältnisse gestalten sich eben anders. Mütter sind sehr viel mehr involviert in der Kindererziehung, vor allem in den ersten Jahren. Das führt in den meisten Fällen zu einer finanziellen Benachteiligung der Frau. Für Mütter ist es sehr viel schwerer sich der Verantwortung für die Kinder zu entziehen. Väter hingegen können zu nichts gezwungen werden. Wenn sie sich nicht um ihre Kinder kümmern und keinen Unterhalt zahlen, kann man dagegen kaum etwas tun. Sobald sie aber Umgang mit dem Kind wollen, aus welchen Gründen auch immer, werden sie mit allen Mitteln unterstützt. Wie gering die Bemühungen des Vaters auch sind, sie finden hohe gesellschaftliche Anerkennung. Ich würde sagen, dass es sich hier um ein systemimmanentes Problem handelt.

TDF: Was ist die Motivation der Väter diese aufwändigen und kostspieligen Verfahren zu führen?

F. Soleimankehl-Hanke: Ich erlebe in meiner Arbeit des Öfteren, dass gewalttätige Männer das Kindschaftsrecht instrumentalisieren, um die Nähe zur Kindesmutter herzustellen. Das trifft vor allem dann zu, wenn sich die Frau im Frauenhaus aufhält. Ich kann mal ein Beispiel eines aktuellen Falls nennen. Die Frau ist mit beiden Kindern ins Frauenhaus geflüchtet, während der Mann die große, gemeinsame Wohnung behalten hat. Der Vater gibt den Kindern noch nicht mal ihre Kleidung heraus und sagt aber im Verfahren, was für ein toller Vater er ist. Und da sagt noch die Anwältin des Mannes: “Wir wären doch gar nicht hier, wenn er kein toller Vater wäre“. Sein Einsatz wird folglich an dem bloßen Umgangsbegehren festgemacht, ungeachtet seiner Intentionen. Dabei leben die Frau und die Kinder von Spenden im Frauenhaus, während der Mann, der ja so ein toller Vater ist, die große Wohnung für sich allein behält, seine Frau mit zwei Kindern im Frauenhaus belässt, sich nicht erkundigt hat, ob es den Kindern gut geht und ob sie Kleidung und Essen haben und nicht einmal Unterhalt zahlt. Warum ist dieser Mann ein guter Vater? Das ist aber die Struktur. Im Verfahren hat er behauptet, er werde ihr bei der Wohnungssuche helfen, aber die einst gemeinsame Wohnung werde er nicht überlassen. Macht er das? Nein, natürlich nicht. Diese Verfahren sind so emotional und von persönlichen Rachegelüsten gewalttätiger Väter überschattet. Und leider geht es den Antragstellern ausgehend von meinen Erfahrungen in den seltensten Fällen um das Wohlergehen der Kinder.

TDF: Wie geht es den Müttern, die du vertrittst, in diesen Verfahren?

F. Soleimankehl-Hanke: Das Tragische für mich ist, dass sich Frauen über bestimme Dinge schon gar nicht mehr beschweren, weil das alles so selbstverständlich ist. Dass sie immer auf dem Prüfstand sind, dass sie immer eine Vorbildrolle als Mutter übernehmen müssen. Das haben sie akzeptiert und verinnerlicht. Meine Mandantinnen befinden sich in einer ständigen Verteidigungssituation. Was sehr ungerecht ist, weil die Frauen Gewalt erfahren haben. Aber im Bereich des Kindschaftsrechts ist es immer ein Angriff und immer eine Verteidigung. Warum hat sie diesen Termin nicht ermöglicht? Er hat doch aber gesagt, er möchte die Kinder sehen. Es geht immer darum, sich gegen Bilder zu wehren, die darzulegen versucht werden. Also das Bild der schlechten Mutter, der egoistischen Mutter, die gar nicht an das Wohlergehen der Kinder gedacht hat. Und der Aspekt, dass wir es mit Frauen zu tun haben, die Gewalt erfahren haben, die psychisch sehr viel durchmachen mussten und vor allem auch Lebensmodelle aufgeben mussten, spielt keine Rolle. Deswegen empfinden es die Frauen, denke ich, schon als eine Ungerechtigkeit. Es kommt sehr selten vor, dass die Frauen das Verfahren im Gesamtpaket als gerecht erachten. Aber zufrieden sind sie unter den gegebenen Umständen vielleicht.

TDF: Zufrieden, weil es auch schlimmer hätte kommen können?

F. Soleimankehl-Hanke: Die größte Befürchtung ist der Verlust der Kinder. Dazu kann es bei diesen Verfahren durchaus kommen. Oft leben die Frauen ja auch im Frauenhaus und sind finanziell ganz anders gestellt. Das alles führt dazu, dass man mit einem Vergleich, einem Regelungsmodell zufrieden ist, trotz der Angst vor dem Gewalttäter und der gerichtlich erzwungenen Fortführung des Kontakts.

TDF   Was müsste sich ändern? Was wären deine Forderungen?

F. Soleimankehl-Hanke: Ich wünsche mir, dass die Situation von Opfern von Gewalt, die in der Regel meistens Frauen sind, anerkannt wird. Das die Situation auch im Kindschaftsrecht nicht ausgeblendet wird. Dass Frauen nicht per Beschluss dazu gezwungen werden, sich aufzuopfern, um das Wohlergehen des Vaters, aber auch der Kinder zu sichern. Natürlich könnten auch Mütter Umgangsrechtsanträge stellen, um einen verpflichtenden Umgang des Vaters mit den gemeinsamen Kindern herbeizuführen. Aber in der Rechtspraxis ist es eher selten, weil Frauen die Kernaufgaben zumeist von Hause aus immer tragen und sich dafür verantwortlich fühlen. Und das findet die Fortführung auch in den Gerichtsverfahren.

Ich würde mir wünschen, dass patriarchalische Denkmuster gesprengt werden. Ich würde mir wünschen, dass eine Prämisse oder ein Konsens darin besteht, dass Rechte und Pflichten auch für Väter Hand in Hand gehen. Das müsste die Grundlage der Entscheidungen im Sorge- und Umgangsrechtsverfahren sein. Denn sonst schließen wir zwar die Verfahren mit einem Ergebnis ab, sind aber weit von einer gerechten Lastenverteilung von Vater und Mutter entfernt.

Vor allem würde ich mir wünschen, dass die Richterinnen und Richter geschult und für die Situation gewaltbetroffener Frauen sensibilisiert werden. Und dass der Aspekt Gewalt einfach viel mehr honoriert wird. Es darf nicht sein, dass Gewalttäter in einem Strafprozess belangt werden, aber zugleich in einem Kindschaftsrechtsprozess als erziehungsfähig befunden werden, ohne Berücksichtigung ihres gewalttätigen Verhaltens. Das erachte ich als ein untragbaren Wertungswiderspruch.

 

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