Julia Legge ist Trainerin für Konfliktbearbeitung und Erwachsenenbildnerin. Sie hat Veranstaltungen der Reihe moderiert und die Workshops durchgeführt.
TERRE DES FEMMES : Warum ist gerade die Aufklärungsarbeit an Schulen zu Weiblicher Genitalverstümmelung (FGM) so wichtig?
JULIA : Bei der Umsetzung der Workshops habe ich mitbekommen, dass an vielen Schulen mittlerweile das Thema Globales Lernen angekommen ist, weshalb auch ein Interesse für Themen wie FGM da ist. Je früher und breiter das Thema Aufmerksamkeit bekommt, desto besser. Deshalb ist es ein wichtiger Schritt dieses Thema an die Schulen zu bringen. Über weibliche Sexualität und Gewalt im globalen Kontext zu sprechen, kann die Perspektive und das Handeln von Jugendlichen auf die Welt verändern und eine Enttabuisierung des Themas bei Jugendlichen bewirken. Gleichzeitig ist es herausfordernd, solche Themen in Schulen zu besprechen, wo es an Fachpersonal dazu mangelt und wo sich SchülerInnen meist nicht frei für Inhalte entscheiden können.
Besonders wichtig für die Workshops ist aber die Freiwilligkeit. LehrerInnen sollten das Thema in einem Fachbereich wie Politik- und Soziologie in einen Kontext setzen und SchülerInnen dazu einladen, an dem Workshop teilzunehmen. Wenn sie aus eigenem Interesse mitmachen, hat der Workshop eine ganz andere Wirkung.
TERRE DES FEMMES : Geht es bei dem schulischen Workshop auch darum, von FGM bedrohte Mädchen im Inland zu schützen?
JULIA : Auf jeden Fall. In jeder der Veranstaltungen geht es darum, FGM als globales Problem und globale Gewaltpraxis zu verstehen. Burkina Faso ist eben das konkrete Länderbeispiel mit Rakieta Poyga als Referentin, da es keinen Sinn macht, das Thema abstrakt zu besprechen. Es ist aber in allen Workshops sehr wichtig, das Thema nicht zu exotisieren, sondern zu fragen, was es eigentlich mit uns zu tun hat. Zum einen ist FGM eine Menschenrechtsverletzung und damit sind wir alle als Menschen betroffen. Zum anderen gibt es inzwischen viele Mädchen und Frauen in Deutschland, die FGM erlebt haben oder gefährdet sind. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns hier in Deutschland alle mit dem Thema beschäftigen und darüber nachdenken, wie wir dazu beitragen können, Menschen vor dieser Gewalt zu schützen. Im Workshop besprechen wir zum Beispiel in kleinen Gruppen Szenarien, in denen das Thema an die Schule kommt. Wie kann ich als MitschülerIn, FreundIn oder als LehrerIn reagieren, wenn ich mitbekomme, dass ein Mädchen von FGM bedroht sein könnte? Ein erster Schritt ist die Aufmerksamkeit für das Thema.
TERRE DES FEMMES : Im Rahmen der Veranstaltungsreihe fand ein Workshop mit HeRoes Duisburg statt, eine Initiative, die mithilfe von männlichen Multiplikatoren an Schulen und Jugendeinrichtungen ein Bewusstsein für Themen wie Gleichberechtigung schaffen möchte. Warum muss die Arbeit gegen FGM auch Männer in Deutschland miteinbinden? Wie lief der Workshop ab?
JULIA : Für mich war der Workshop besonders. Er war der erste dieser Art und hat mich inspiriert. Männlich gelesene Personen mit einzubeziehen ist notwendig, weil FGM in einer patriarchalen Gesellschaftsstruktur verwurzelt ist. Es ist weiterhin wichtig, Betroffene zu schützen und zu bestärken. Dennoch muss es auch ganzheitlich betrachtet werden, da FGM eine Praxis ist, die aus männlicher Perspektive und für Männer gemacht wurde. Rakieta sagt immer, FGM kann sich nur ein Mann ausgedacht haben. In jedem Workshop mit ihr geht es auch um die körperliche Erfahrung – die Ahnung, was für einen Schmerz und Traumatisierung FGM bedeutet, was für Männer ohne Klitoris und Vulva natürlich schwieriger ist.
Der Workshop war einer der emotionalsten Workshops. Die Jungs von HeRoes, alle People of Color (Anmerkung: Selbstbezeichnung von Menschen, die aufgrund ihrer Hautfarbe Rassismus erfahren), sind sehr engagiert in der Bildungsarbeit für Menschenrechte. Im Fokus des Workshops stand zum Beispiel auch das Thema Ehre. Der Austausch zwischen ihnen und Rakieta, die als Schwarze Frau über solch ein sensibles Thema so offen und selbstbewusst spricht, war etwas Besonderes. Die HeRoes, die selbst in Schulen gehen und über sensible Themen sprechen, fühlten sich von Rakieta gestärkt und inspiriert.
TERRE DES FEMMES : Wie bewertest du den Erfolg der Reihe bezüglich Teilnehmer*innenzahl, Partizipation und Zielgruppen? Die Reihe ist noch nicht abgeschlossen, aber hast Du schon ein Zwischenfazit?
JULIA : Ich bin begeistert von der Resonanz und der Vielfalt der Veranstaltungen. Wir hatten kleine Veranstaltungen: Workshops mit circa 10 Menschen, die mir persönlich wegen dem intensiven Austausch besonders gefallen haben. Dann gab es auch Veranstaltungen mit um die 200 TeilnehmerInnen, wie die in München. Das Interesse an dem Thema ist beeindruckend. Veranstaltungen haben verschiedene Ziele: sollen möglichst viele Menschen erreicht werden, oder liegt der Fokus eher darauf, einen Lernprozess auf emotionaler Ebene anzustoßen? Um sich mit dem Thema nicht nur kognitiv auf einer Aufklärungsebene, sondern auch emotional zu beschäftigen, braucht es aber einen geschützten Raum, Austausch in kleineren Gruppen und einen abgesteckten Rahmen. Auch welche Zielgruppe wir ansprechen ist unterschiedlich: wir haben Workshops für an dem Thema Interessierte durchgeführt (an denen fast ausschließlich Frauen teilnahmen) oder Veranstaltungen für Fachpersonal. Dort werden dann vor allem medizinische und administrative Fragen gestellt. In München tauschten die TeilnehmerInnen zum Beispiel Adressen aus. Wir freuen uns immer, wenn bei einer Veranstaltung Menschen ihre Expertise miteinbringen und eine Vernetzung stattfindet.