Protestmarsch für die Mütter der getöteten Studenten/innen. Foto: © Álvaro Cantillano RoizSeit dem Sturz der Somoza-Diktatur und Machtantritt des sandinistischen Revolutionärs Daniel Ortega 1979 galt Nicaragua die meiste Zeit als politisch stabil. Nach dem Contra-Krieg in den 1990er Jahren konnte das Land fast durchgängig wirtschaftliches Wachstum verzeichnen. Sozialreformen trugen zu Frieden und Sicherheit bei. Seit 2010 belegte Nicaragua immer bessere Plätze im Ranking des UN-Index für menschliche Entwicklung. Mit einer Ausnahme: Der Einhaltung und dem Schutz der Menschenrechte von Frauen. 2012 wurde das Gewaltschutzgesetz nach einer Dekade frauenrechtlichen Kampfes maßgeblich erweitert, nur um ein Jahr später wieder beschränkt zu werden. Häusliche Gewalt bis hin zu Feminizid gehört zu den häufigsten Todesursachen von Frauen in Nicaragua. Dazu kommt ganz akut eine humanitäre Krise unabsehbaren Ausmaßes
Politischer Hintergrund
Am 18. April 2018 kündigte Präsident Ortega eine Kürzung staatlicher Rentenzahlungen an. Eine Sparmaßnahme, mit der die Bevölkerung nicht gerechnet hatte und nicht einverstanden war.
Im ganzen Land entbrannten Unruhen, die von den Regierungstruppen und der Polizei brutal niedergeschlagen wurden. Es gab zahlreiche Tote. Die Demonstrationen sind seitdem nicht abgeklungen. RegierungsgegnerInnen ziehen mit selbst gebauten Mörsern und Raketenwerfern in den Kampf. Längst geht es nicht mehr nur um die Rentenversicherung, sondern um staatliche Repression und Korruption. Seit sich die nicaraguanische Bischofskonferenz, die Organisation Amerikanischer Staaten und der UN-Hochkommissar für Menschenrechte auf die Seite der Protestbewegung geschlagen haben, scheint selbst ein Regierungssturz denkbar (siehe Nicaragua-Standpunkt „Am Rande des Abgrunds“ von Ole Jansen/Heinrich-Böll-Stiftung).
Mittlerweile wird von über 300 Toten ausgegangen. Krankenhäuser dürfen Menschen nicht behandeln, die bei Streiks verletzt werden. Wahllose Festnahmen vor allem von Studierenden, die die größte Gruppe der RegierungsgegnerInnen darstellen, sind gängig. Ende Mai wurde ein Protestzug für die Mütter getöteter Studierender mit Schusswaffen attackiert.
Präsident Ortega nennt die Unruhen „terroristische Attacken“ und lässt die Straßen um sein Anwesen in Managua kilometerweit absperren. Politische Gefangene rufen zu Hungerstreiks auf - unter ihnen auch viele Frauen, die in Gefängnissen in besonderem Maße Gewalt ausgesetzt sind. Die Organisation für wirtschaftliche und soziale Entwicklung Nicaraguas, FUNIDES, spricht von bis zu 215.000 verloren gegangen Arbeitsplätzen seit Beginn der Demonstrationen. Nicaragua befindet sich inmitten einer schweren humanitären Krise.
Plädoyer unserer Partnerorganisation MIRIAM
Davon betroffen ist auch unsere Partnerorganisation Proyecto Asociación MIRIAM, die sich seit 1989 gegen Gewalt an Mädchen und Frauen einsetzt. Wir wollen wissen, wie es ihnen als Frauenrechtsorganisation in dieser schwierigen Lage geht und was jetzt das Wichtigste für die Frauen in Nicaragua ist. MIRIAM berichtet:
„Viele Frauen bleiben in diesen Tagen zu Hause. Sei es aus Angst um ihre Familien oder weil sie keinen Job mehr haben.“ Denn die meisten Restaurants, Hotels und Geschäfte mussten wegen Kundenmangel, Raub oder politischer Verfolgung schließen. MIRIAM’s Ziel ist in dieser Zeit wichtiger denn je: „Wir fordern die Einhaltung und den Schutz der Rechte von Frauen und Mädchen auf Gewaltfreiheit und Bildung.“ Gerade jetzt sind Frauen schutzlos Gewalt ausgesetzt. Sie sind es, die vor den Gefängnissen auf die Befreiung ihrer Angehörigen warten, Gerechtigkeit für ihre ermordeten Söhne oder Ehemänner fordern und für die Aufklärung von Vermisstenfällen kämpfen.
Der Unterricht macht Spaß. MIRIAM als Ankerpunkt in der Krise. Foto: © Itzel Chavarría.„Die Krise ist eine große Herausforderung für uns. Nun lautet die Maxime: Weitermachen und den Prozess der politischen und wirtschaftlichen Partizipation der Frauen stärken.“, sagt uns die Projektleiterin Angela Peralta Gonzalez von MIRIAM. „Es ist unverzichtbar, vor Ort präsent zu sein. Wir entwickeln gerade Maßnahmen, die die Frauen in ihren persönlichen Ressourcen stärken und ihnen ermöglichen sollen, sich selbst in der Krise zu versorgen und zu schützen. Wir suchen gemeinsam Wege, wie sie mit ihrem Leben weitermachen können.“
MIRIAM bietet bereits Berufsbildungskurse sowie rechtliche und psychologische Beratung für Frauen an. Dies ist auch bitter nötig, denn es gibt immer weniger Wege für Frauen, ihre Rechte geltend zu machen. MIRIAM ist die einzige lokale Organisation in Estelí und eine der wenigen in Managua, die Frauen auch temporär Schutz bieten kann und sich klar für Frauenrechte in jeglicher Situation positioniert. „Für die Frauen sind wir ein Ankerpunkt in der Krise“, bestätigt Angela Peralta Gonzalez.
Trotz der Unruhen vertraut MIRIAM weiter auf das gesellschaftliche Miteinander: „Wir glauben fest daran, dass es diese Krise nicht geben sollte und dass das Gespräch zwischen Menschen in jeder Lebenssituation der Weg zu langfristigen Verbesserungen ist. Der nationale Dialog, der nun beginnt, ist gut und wichtig, um Lösungen für die Probleme Nicaraguas zu finden. Denn wir lehnen jede Form der Gewalt ab, ob emotionaler, körperlicher oder sexueller Natur.“
Wie sich die politische Lage in Nicaragua weiterentwickelt, ist momentan völlig unklar. Eins ist jedoch sicher: MIRIAM wird weiter für die Rechte und die Verbesserung der Lebensbedingungen von Frauen und Mädchen kämpfen.
Bitte unterstützen Sie die Arbeit von MIRIAM besonders jetzt! Spenden Sie, damit Frauen in Nicaragua weiterhin Chancen auf ein gewaltfreies Leben haben.