Als Vorbereitung für die Bundestagswahl 2021 bat TERRE DES FEMMES die Parteien CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE und FDP um Antworten zu den sogenannten Wahlprüfsteinen, denen zentrale Ziele zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen und zur Gleichstellung der Geschlechter zu Grunde gelegt sind. Darin werden die zentralen Themen der Arbeit von TERRE DES FEMMES aufgegriffen und die Fragen konkret gestellt, wie z.B.: Wird sich Ihre Partei für einen Nationalen Aktionsplan zur Prävention und Abschaffung von weiblicher Genitalverstümmelung einsetzen? Wird sich Ihre Partei für die Einführung des Sexkaufverbots gem. Nordischem Modell in Deutschland sowie die Finanzierung von Ausstiegsprogrammen und Unterstützungseinrichtungen für Prostituierte stark machen? TERRE DES FEMMES macht anhand der Wahlprüfsteine die Ziele und Lösungsansätze der Parteien für alle Wählerinnen und Wähler besser sichtbar – und nach der Wahl überprüfbar -, um Frauen- und Mädchenrechte zu verbessern und Deutschland als sicheren, gewaltfreien Ort für Frauen und Mädchen zu gestalten.
Bei drei von acht Fragen stimmen die Parteien den Positionen und Forderungen von TERRE DES FEMMS überhaupt nicht oder nur wenig zu und sind sich in ihrer Haltung nahezu einig.
Keine der Parteien wird die Einführung eines Sexkaufverbots gem. Nordischem Modell voranbringen, Verbote möchte die CDU/CSU lediglich für Schwangere und Personen unter 21 Jahren einführen. Mehrheitlich soll jedoch der Ausbau von Beratungsangeboten und Ausstiegshilfen gefördert werden, ein gesichertes Aufenthaltsrecht unabhängig von einer Zeugenaussage wollen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und DIE LINKE umsetzen.
Ein Verbot religiöser Voraustrauungen für Volljährige oder die Strafbarkeit religiöser und sozialer Zwangsverheiratungen nach §237 StGB lehnen ebenfalls alle Parteien mit Ausnahme DIE LINKE ab. DIE LINKE steht jedoch der Einführung des §237 StGB im Jahr 2011 kritisch gegenüber, würden doch die Opfer nicht wirksamer geschützt als dies bereits mit dem vorherigen Tatbestand der schweren Nötigung gegeben gewesen sei. Eine Ahndung religiöser Ehen als schwere Nötigung wiederum wird begrüßt.
Keine der Parteien wird sich für eine bundesweite gesetzliche Regelung des sogenannten Kinderkopftuchs an öffentlichen Bildungseinrichtungen oder für die bundesweite Ausdehnung des Neutralitätsgesetzes einsetzen. Auch die Einführung von „Ethik“ als Pflichtfach an öffentlichen Schulen findet keine Beachtung, Ethikunterricht soll lediglich als Zusatzangebot oder Ersatzunterricht angeboten werden.
Unterschiedliche Haltungen haben die Parteien zu den Themen Schwangerschaftsabbruch, der Einführung eines Aktionsplanes zur Abschaffung weiblicher Genitalverstümmelung und eines gesetzlichen Rechtsanspruchs auf Hilfe bei Gewalt. Während sich CDU/CSU klar zur bestehenden Regelung des Schwangerschaftsabbruchs im Strafgesetzbuch und gegen eine Streichung der Paragrafen 218/219 aus dem Strafgesetzbuch und des §12 aus dem Schwangerschaftskonfliktgesetz bekennen, wollen SPD und FDP zumindest den Paragrafen 219a StGB streichen. Lediglich Bündnis 90/Die Grünen und DIE LINKE setzen sich für eine Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen ein und fordern die Streichung der Paragrafen 218/219 StGB.
DIE LINKE sowie die FDP sagen klar JA zu einem Aktionsplan zur Abschaffung weiblicher Genitalverstümmelung. SPD und Bündnis 90/Die Grünen benennen zwar Maßnahmen, sprechen jedoch nicht deutlich von der Unterstützung eines Aktionsplanes. Sehr vage bleiben CDU/CSU indem sie das Problem lediglich beschreiben und es stärker in den Fokus rücken wollen.
Einen Rechtsanspruch auf Hilfe bei Gewalt wollen SPD und Bündnis 90/Die Grünen einführen. FDP und DIE LINKE verweisen auf die Umsetzung der Istanbul-Konvention und sprechen sich u.a. für eine bundeseinheitliche Finanzierung von Frauenhäusern aus – ein Rechtsanspruch wird jedoch nicht erwähnt. CDU/CSU wollen zwar sicherstellen, dass alle Frauen Hilfe und Unterstützung bekommen, die Gewalt erleiden, wie dies jedoch konkret umgesetzt werden soll bleibt offen und es wird auf die Zuständigkeit der Bundesländer verwiesen.
Alle Parteien möchten in im Rahmen bilateraler Verhandlungen in der Internationalen Zusammenarbeit Menschenrechtsstandards einfordern. Unterschiede ergeben sich in der expliziten Anprangerung von Frauenrechtsverletzungen sowie in der Stärkung und Sichtbarkeit von Frauenorganisationen, hier gehen CDU/CSU, SPD und DIE LINKE nicht weit genug. Die FDP hingegen möchte auf die Umsetzung und Einhaltung wichtiger internationaler und regionaler Frauenrechtskonventionen hinwirken und frauenspezifische Menschenrechtsverletzungen gezielt bekämpfen. Bündnis 90/Die Grünen haben gar eine feministische Außenpolitik zum Ziel, setzen sich für eine Frauenteil von 50 Prozent in internationalen Verhandlungen ein und betrachten Geschlechtergerechtigkeit als zentrale Querschnittsaufgabe.
Nahezu alle Parteien befürworten eine Datenerhebung und Forschung von Femiziden, eine Strafverschärfung der Täter sowie Fortbildungen von Polizei und Gerichtswesen. CDU/CSU möchte zwar die Gewalt beim Namen nennen, äußert sich jedoch nicht zu einer Strafverschärfung und bezieht sich auch nicht auf eine konsequente Umsetzung der Istanbul-Konvention. Alle anderen Parteien möchten die Istanbul-Konvention umsetzen, allerdings geht nur DIE LINKE noch einen Schritt weiter und fordert, dass Tötungsdelikte, die aufgrund des hierarchischen Geschlechterverhältnisses begangen werden, als Femizide anzuerkennen sind.
Insgesamt sind die Antworten der Parteien ernüchternd. Es fehlt an vielen Stellen der politische Wille zur Umsetzung konkreter Maßnahmen und Gesetze zum Schutz von Mädchen und Frauen vor Diskriminierung, Ausbeutung und Gewalt. Geschlechtsspezifische Gewalt ist in Deutschland alltäglich und die Corona-Pandemie hat uns schonungslos gezeigt, dass Mädchen und Frauen in Krisenzeiten noch einmal um ein Vielfaches häufiger und stärker von Gewalt betroffen sind.
Zur nachhaltigen Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt und der Durchsetzung von Frauenrechten braucht es daher weitaus mehr, als die Parteien in ihren Antworten auf unsere Wahlprüfsteine vorgelegt haben. TERRE DES FEMMES wird auch nach der Wahl nicht lockerlassen und sich bei den im Bundestag vertretenen Parteien dafür einsetzen, Frauen- und Mädchenrechte zu verbessern.
* TDF legt die Wahlprüfsteine nicht der AfD vor, weil wir uns für ein modernes, zukunftsorientiertes Frauenbild einsetzen. Das steht im Gegensatz zu dem rückwärtsgewandten, von der AFD propagierten Frauenbild.