Frauendemo am 25. November 1994 in Tübingen.
Foto: © TDF-Dokumentationsstelle„Sexualstrafdelikte werden immer noch geringer bestraft als Eigentumsdelikte. Manche Formen von sexueller Gewalt sind noch nicht einmal strafbar.“ Die Rede ist vom 1994 geltenden Sexualstrafrecht in der Bundesrepublik Deutschland. Nachzulesen in einem Brief, den TDF-Expertinnen vor 25 Jahren an die damalige Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger geschickt hatten. Denn die Bundesrepublik gehörte „zu den ganz wenigen europäischen Ländern, in denen Vergewaltigung und sexuelle Nötigung in der Ehe (§ 177, § 178) ausdrücklich von Strafe ausgenommen“ waren.
Der Justizministerin flatterten neben diesem Schreiben noch tausende Postkarten in den Briefkasten. TERRE DES FEMEMS hatte den 25. November, den Tag "Nein zu Gewalt an Frauen" zum Anlass genommen, eine bundesweite Postkartenkampagne zu initiieren, mit der das frauenfeindliche Sexualstrafrecht angeprangert wurde. Vergewaltigung ist ein Schwerverbrechen heißt es unumwunden auf den Postkarten, die auch an das Justizministerium und die GesetzgeberInnen der BRD adressiert waren und entscheidende Änderungen des Rechtes forderten.
Kernpunkt der Forderungen: Vergewaltigung in der Ehe muss auch als Straftat geahndet werden
Mit der Eheschließung endete die sexuelle Selbstbestimmung der Frau: vergewaltige ein Ehemann seine Frau, konnte dieser nur wegen Nötigung oder allenfalls Körperverletzung vor Gericht gestellt werden.
Die Diskussion um dieses überholte Sexualstrafrecht, das die patriarchale Vorstellung eines sexuellen Verfügungsrechts des Ehemannes über die Frau spiegelte, währte bereits seit den 70ern. Kein Wunder: Im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages saßen „die größten Verhinderer“ registrierte 1994 Renate Augstein, Regierungsdirektorin im Bundesfrauenministerium. Bis auf eine Frau seien dort nur Männer vertreten (taz vom 04.10.1994).
In Schweden war Vergewaltigung in der Ehe seit 1965 strafbar. In der Bundesrepublik müssten die „betroffenen Ehefrauen sogar mit dem Gewalttäter unter einem Dach leben“. Ungeachtet dessen, dass auch die Ehefrauen durch die Vergewaltigung traumatisiert würden, wird im Brief an die Justizministerin klargestellt.
„Wir fordern daher die Bestrafung der Vergewaltigung in der Ehe.“ TDF steht mit der Forderung einer Reform des Sexualstrafrechts nicht alleine da. Viele Organisationen unterstützten diese mit eigenen Unterschriftensammlungen und Presseerklärungen. Auch viele Politikerinnen sind dabei. Selbst die Justizministerin sieht Änderungsbedarf.
Bis zu einer Reform des Sexualstrafrechts sollte es noch lange dauern…
Klauseln zum Schutz der Ehe
1995 sahen auch die GesetzgeberInnen (wieder) Handlungsbedarf. Im Bundestag wurde die Forderung nach der Bestrafung der Vergewaltigung in der Ehe erneut debattiert und die Parteien und der Bundesrat legten ihre Entwürfe vor. Obwohl für vergewaltigende Ehemänner keine Strafmilderung mehr vorgesehen war, enthielten alle Entwürfe – bis auf den der PDS - jedoch Klauseln: So sah die SPD eine „Versöhnungsklausel“ und die CDU/CSU eine „Widerspruchsklausel“ für die Ehefrau während der Gerichtsverhandlung vor.
Beide Klauseln bürdeten der betroffenen Frau die Verantwortung für die Aufrechterhaltung der Ehe auf. Noch immer wurde die Institution der Ehe höher gehalten als das Wohl und die Würde der Ehefrau.
1994: Postkarten-Aktion gegen Vergewaltigung in der Ehe. Foto: © TDF-DokumentationsstelleDie „Widerspruchsregelung“ wurde auch von der Regierungskoalition übernommen und mit Langmut gegen die regen Prostete von Politikerinnen und Frauenrechtsorganisationen verteidigt.
TERRE DES FEMMES beteiligte sich an den Debatten mit eigenen Stellungnahmen, Presseveröffentlichungen, Podiumsdiskussionen, Informationsveranstaltungen; eine TDF-Experin nahm an einer Fernsehsendung teil; weitere Protestpostkarten wurden verschickt.
Im Mai 1997 war es schließlich soweit:
Die Hartnäckigkeit der Frauenrechtlerinnen trug am 15. Mai 1997 schließlich Früchte. Die Politikerinnen solidarisierten sich über Parteigrenzen hinweg und votierten für einen neuen Strafgesetzbuch-Paragraf 177, der Vergewaltigung in der Ehe als Verbrechen wertete. Das neue Gesetz wurde mit 470 von 643 Stimmen (bei 35 Enthaltungen) im Bundestag angenommen und trat am 1. Juli 1997 in Kraft.
Stand: November 2019