• 26.08.2022

Wie weit geht Frauensolidarität heute?

Dieser Gastbeitrag von Bundesgeschäftsführerin Christa Stolle erschien in Auszügen am 26. August 2022 auf Cicero Online

TERRE DES FEMMES wurde vor über 40 Jahren gegründet, um Frauenrechte als Menschenrechte durchzusetzen. Ziel des Vereins ist es bis heute, Gewalt, die nur Mädchen und Frauen aufgrund ihres Geschlechts widerfährt, zu benennen, zu analysieren und zu bekämpfen. Eines der Gründungsthemen von TERRE DES FEMMES war der Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung, eine alte Tradition, die damals mit kulturrelativistischer Argumentation entschuldigt und geduldet wurde und heute als gravierende Menschenrechtsverletzung an Mädchen und Frauen anerkannt wird.

35 Jahre bin ich Mitfrau und Gestalterin des Vereins mit seinen ehrenamtlichen Gremien und der hauptamtlichen Geschäftsstelle. 1990 warb ich Mittel ein, um den Grundstein für eine Professionalisierung des Vereins zu legen. Seitdem bin ich hauptamtliche Geschäftsführerin, zunächst allein, aber schnell kamen weitere Mitarbeiterinnen hinzu. Heute sind es 40 Mitarbeiterinnen.

Hand in Hand mit dem Ausbau der Geschäftsstelle kam der Ausbau der Arbeit zu weiteren geschlechtsspezifischen Gewaltformen: Zwangsverheiratungen, Frauenhandel, Ehrverbrechen, häusliche und sexualisierte Gewalt betreffen überwiegend Mädchen und Frauen und wurden von der Regierung und der Gesellschaft kaum beachtet. Mit der dringenden Notwendigkeit, diese frauenspezifische Gewalt zu adressieren, kam die Notwendigkeit, sie als patriarchales, strukturelles Muster aufzudecken und der Politik fundierte Lösungsansätze und Forderungen zu unterbreiten. Nur so konnten langsam aber sicher patriarchale Machtstrukturen aufgebrochen und die Gleichberechtigung der Geschlechter vorangetrieben werden. Heute ist TERRE DES FEMMES eine professionelle Nichtregierungsorganisation und Ansprechpartnerin für Politik und Gesellschaft zu diesen Themen.

Mein Erfolgsrezept auf diesem Weg war immer, bei den Kernthemen zu bleiben, sich Expertise und Kompetenz in diesen Themen anzueignen, um dann selbstbewusst und beharrlich Forderungen zu stellen und konkrete Veränderungen voranzutreiben. Zuletzt waren wir mit dem Thema Zwangsverheiratungen genau auf diese Weise erfolgreich. 2017 trat das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen durch Festsetzung des Mindestheiratsalters auf 18 Jahre ohne Ausnahme in Kraft. Natürlich verschließt sich TDF nicht neuen gesellschaftlichen Problemen wie etwa Leihmutterschaft, denn diese stehen im Zusammenhang mit den satzungsgemäßen Zielen des Vereins. Vor acht Jahren haben wir uns einen gemeinsamen Wertekanon gegeben: unser feministisches Leitbild. Das ist die Basis unserer Arbeit, der Weg in eine gleichberechtigte Zukunft.

Dabei kann der TDF-Grundsatz ‚Frauenrechte sind Menschenrechte‘ per Definition keine Menschen ausschließen und gilt für alle Frauen. Jede Frau, die von Gewalt betroffen ist, erhält unsere Unterstützung. Jede Frau, die sich unseren Zielen anschließen möchte, ist herzlich willkommen. Gerade weil wir diesen menschenrechtlichen Ansatz in unserer Arbeit verfolgen, unterscheiden wir nicht unter Frauen: Patriarchale Gewaltstrukturen betreffen jede Frau, ungeachtet ihres sozialen, religiösen, kulturellen oder sexuellen Hintergrunds. Wir konzentrieren uns auf Frauen als Menschen und auf die Gewaltformen, die sie betreffen, weil sie Frauen sind.

Als langjährige Bundesgeschäftsführerin und Vorständin habe ich bereits mit den unterschiedlichsten Vorständinnen und Mitfrauen zusammengearbeitet. Wir haben immer trans Frauen im Verein willkommen geheißen, auch im Vorstand habe ich schon mit einer trans Frau gut zusammengearbeitet. Es hat das gemeinsame Ziel und nicht der unterschiedliche Hintergrund gezählt. Wir machen Politik mit Fakten und nicht mit Ideologien. Wir hören Betroffenen zu. Wir folgen der Verantwortung und nicht der Gesinnung. Das ist unser Weltverständnis.

Heute scheint die feministische Debatte sich an einer Frage aufgehangen zu haben: Was ist eine Frau oder wer soll gesellschaftlich als Frau gelten? Sie wurde auch vor vier Jahren in unseren Verein hineingetragen. Ich halte diese Debatte für kontraproduktiv, spalterisch und destruktiv.

Zu TERRE DES FEMMES kamen Frauen mit einseitigen, teilweise extremen Ansichten, die den Kurs unseres Vereins ändern wollen. Mit aggressiven rhetorischen Mitteln propagieren sie das Bild, dass TERRE DES FEMMES nur für biologische Frauen da sein darf. Doch unsere Satzung beschreibt unser Ziel und Zweck wie folgt: § 2 Ziel und Zweck TERRE DES FEMMES wendet sich gegen jede Form von Menschenrechtsverletzungen, die an Mädchen und Frauen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht, ungeachtet ihrer konfessionellen, politischen, ethnischen und nationalen Zugehörigkeit sowie ihrer sexuellen Identität begangen werden.

Darin kommt das Wort biologisch nicht als definierendes Adjektiv für Geschlecht vor. Desinformation und extremistische, teils diffamierende Begründungen werden von Gruppierungen herangezogen, um eine Trennung zwischen trans Frauen und Frauen herbeizuführen. Begleitet wird die Argumentation von männerhassenden Kommentaren und der Verallgemeinerung von Männern als Tätern. Es stimmt, auch die andere Seite ist nicht zimperlich. Das andere Extrem in der Debatte will die Geschlechter so stark dekonstruieren, dass sie bedeutungslos werden. Auf beiden Seiten ist die Toleranz gesunken und kein erkennbarer Wille für einen konstruktiven Dialog sichtbar; möglicherweise ein Ergebnis schneller und unbedachter Worte in den Sozialen Medien.

Doch Frau als exklusiv statt inklusiv zu definieren, wäre ein Bruch mit den TDF-Grundsätzen. Dabei würden wir uns von einem der Grundgedanken von TERRE DES FEMMES trennen: Anstatt sich für alle Frauen einzusetzen, würden wir eine selektive Frauensolidarität betreiben: Für Frauenrechte aber nicht für alle Frauen. Menschenrechte, aber nur für einen Teil der Frauen. Das ist nicht TERRE DES FEMMES. Wir haben uns schon immer gegen extremistische Strömungen gewehrt: Gegen extremistische Religionsausprägungen, gegen extremistische Parteien und gegen extremistische Ideologien jeglicher Art und von welcher Seite auch immer. Denn Extremismus schürt Hass und führt nicht selten genug zu Frauenhass. Der Weg von TERRE DES FEMMES war immer der Einsatz für Rechte und nicht gegen Menschen (auch nicht gegen Männer, übrigens). Als professionelle Frauenrechtsorganisation werden wir uns nicht von Extremismen leiten lassen und so auf das Niveau unserer Widersacher und Befürworter des Patriarchats sinken.

Christa Stolle

Bundesgeschäftsführerin von TERRE DES FEMMES e.V.

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