• 20.05.2022

„Wäre ich Mafiosi, ich würde in Deutschland investieren“ - Kriminalkommissar a.D. Manfred Paulus im Interview mit TDF über Prostitution und Menschenhandel

Manfred Paulus war Kriminalhauptkommissar in Ulm und insgesamt 25 Jahre lang zuständig für Rotlichtkriminalität, Menschenhandel und Zuhälterei. Warum Deutschland ein Eldorado für Menschenhandel ist – ganz aktuell sind davon besonders Mädchen und Frauen bedroht, die vor dem Krieg aus der Ukraine flüchten mussten – und weshalb die Politik die organisierte Kriminalität sich selbst überlässt, haben wir im Interview mit ihm besprochen.

TDF: Herr Paulus, warum gibt es keine aktuellen Zahlen zu Gewalt an Prostituierten?

Manfred Paulus: Es ist unverständlich, dass das BKA in seinem jährlichen Lagebild die Prostituiertenmorde nicht (gesondert) veröffentlicht. Ich vermute, dass dies politisch unerwünscht ist, weil der Gesetzgebung entsprechend Prostitution ein Gewerbe bzw. eine Dienstleistung sein soll, so wie jedes andere auch (und deshalb auch so zu behandeln ist).                                                                                                                                                                       Andererseits ist zu sehen, dass eine Veröffentlichung der jährlich registrierten Gewalttaten an Prostituierten möglicherweise kontraproduktiv wäre, weil es die Machthaber im Milieu (entsprechend den ungeschriebenen Milieugesetzen und denen der Organisierten Kriminalität) nicht erlauben, dass solche Delikte nach außen dringen – Milieudelikte bleiben heute bis auf wenige Ausnahmen im Dunkelfeld, die Zahlen wären also sehr niedrig und damit nichtssagend oder gar ein Argument für diejenigen, die glauben, es gebe keine Gewalt im Milieu.

TDF: Welche Rolle spielt der Schutz der Prostituierten bei der Arbeit der Polizei?

Manfred Paulus: Der erforderliche Schutz kann m.E. derzeit nicht gewährt werden, weil dazu die gesetzlichen Voraussetzungen fehlen. Die Prostitutionsgesetzgebung und die Polizeigesetze der Länder lassen die erforderlichen Maßnahmen nur begrenzt zu. So kann und darf die Polizei entsprechende Objekte ( „Gewerbebetriebe“ ) nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen betreten  - im Milieu weiß man solche Gegebenheiten zu schätzen und zu nutzen. Ein Beleg des nicht vorhandenen bzw. nicht ausreichenden Schutzes: Der Stuttgarter Prozess gegen die Paradise-Betreiber – jahrelang als bundesdeutsche Vorzeigebordelle in Talkshows u.a. bewundert – in Wahrheit war Berichten zufolge Gewalt an der Tagesordnung – und niemand hat das wahrgenommen.

TDF: Besonders während der Corona Pandemie gab es viele illegale Prostituierte. Inwieweit steht der Schutz der Frauen auch bei illegaler Prostitution im Fokus?

Manfred Paulus: Das gleiche gilt natürlich auch für den Schutz Illegaler. Hier kommt die Gefahr hinzu, dass sie als Täterinnen gesehen und behandelt werden, während die eigentlichen Täter unbedrängt bleiben. Dieser nicht vorhandene oder zumindest nicht auseichende Opferschutz ist wiederum auf die Prostitutionsgesetzgebung zurückzuführen ( ein „normales Gewerbe“ ist nun einmal kein polizeiliches Betätigungsfeld oder gar Brennpunkt ). Weil der Bereich somit (gesetzlich verordnet) nicht oben auf der Prioritätenliste steht und die Möglichkeiten der Maßnahmen zudem begrenzt sind, kommt es ständig zu Überlagerungen durch andere (vermeintlich wichtigere) Kriminalitätsbereiche und der Schutz der Frauen in der Prostitution bleibt auf der Strecke ( was gar nicht so unrecht sein könnte, weil dadurch unangenehmen Wahrheiten im Dunkelfeld verbleiben).

TDF: Warum wenden sich nur verhältnismäßig wenige Betroffene aus der Prostitution an die Polizei und was müsste sich ändern, dass diese Frauen Gewalttaten öfter melden?

Manfred Paulus: Sie können sich nicht an die Polizei wenden! Das zu tun wäre Verrat und Verrat ist nach den ungeschriebenen Milieugesetzen (und denen der OK) die schlimmste und am härtesten zu ahndende Verfehlung. Drohungen wie „dein kleiner Bruder wird morgen früh seinen Schulweg an den drei Birken vorbei nicht mehr gehen, wenn du nicht…“ sind seit Jahren gängige Praxis. Die nach Deutschland gehandelten Frauen lernen das in ihrer ersten Lektion und die wird ihnen zumeist schon vor Betreten deutschen Bodens erteilt. Hier sind sie dann von ihren Ausbeutern vollkommen abhängig und hilflos ausgeliefert. Sie werden zudem nicht selten kriminalisiert (z.B. Drogen, illegale Einreise, gefälschte Papiere) und ihnen werden damit Ängste (vor der Polizei) vermittelt – Nigerianerinnen wird mit dem Tod oder mit dem Tod ihrer Angehörigen gedroht, würden sie die Polizei informieren… Dann stellt sich häufig die Frage: Wo sollen sie hin oder wo landen sie nach einem Kontakt mit der Polizei? Die Arme der Ausbeuter sind lang und reichen bis in die Heimatländer. Ziel muss sein, dass das Vertrauen in die deutsche Polizei irgendwann einmal gegenüber dem Druck und den Drohungen der Menschenhändler und Zuhälter überwiegt – davon aber sind wir heute meilenweit entfernt.

TDF: Wie werden die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Polizei ausgebildet und sensibilisiert?

Manfred Paulus: Hier erkenne ich Defizite und m.E. besteht bei Bund und Ländern Nachholbedarf. Wobei ich auch dabei Wert darauf lege, dass dieses am wenigsten der Polizei selbst anzulasten ist. Es sind politische Versäumnisse und Fehleinschätzungen und die daraus resultierenden Rahmenbedingungen, die dazu führen.

TDF: Inwiefern spielen Onlineplattformen und digitale Angebote für die Arbeit der Polizei in dem Milieu eine Rolle?

Manfred Paulus: Dazu kann ich wenig sagen, weil ich nicht mehr im Dienst bin. Ich denke aber, dass es da örtlich sehr unterschiedliche Gewichtungen gibt.

TDF: Was hat das Prostituiertenschutzgesetz im Hinblick auf Gewalt an Frauen gebracht?

Manfred Paulus: Ich halte die ganze Philosophie des Gesetzes für realitätsfern und das Gesetz für weitgehend nutzlos bis kontraproduktiv.

Beispiele: Anmeldepflicht – wird weitgehend ignoriert und wenn angemeldet wird, nützt das nichts, weil die Frauen im Rahmen des innerdeutscher Menschenhandel oft zeitnah wieder einem anderen Objekt/Milieu zugeführt werden.

Kondompflicht – die einzige Folge bisher: Man lacht nicht nur im Milieu (berechtigt) drüber und man macht sich lustig. Beratungen: In der Form sinn- und nutzlos ( ich begründe das gern näher ) oder § 26 Einsicht in Betriebskonzept – wie weltfremd !  Sie kann nur drei Worte deutsch, weiß nicht was ein Betriebskonzept ist, was sie damit anfangen soll und der Zuhälter steht noch daneben…

Oder §2(2) „Prostituierte sind Personen, die sexuelle Dienstleistungen erbringen“ (bei 95% hierher gehandelten Ausländerinnen und den bekannten Anwerbungsmethoden, Schleusungspraktiken und Machtverhältnissen in den deutschen Milieus mehr als fraglich).

Wir brauchen eine Prostitutionsgesetzgebung, die den tatsächlichen Gegebenheiten und gegenwärtigen Machtverhältnissen gerecht wird.  Dabei gilt es zu erkennen: Die deutschen Milieus im Rotlicht sind ein permanent umkämpfter Markt. Oben schwimmen immer die mit dem größten Einschüchterungspotenzial und der größten Gewaltbereitschaft – so lange, bis andere kommen, die mehr davon aufzuweisen haben.

Die Prostitution in Deutschland ist kein Gewerbe (wie jedes andere auch und wie der Gesetzgeber sich das wünscht) sondern sie ist heute in weiten Teilen einem boomenden Geschäftsfeld der Organisierten Kriminalität zuzuordnen.       

TDF: Warum ist Deutschland eine beliebte Destination für Menschenhandel und Zuhälterei?

Manfred Paulus: Kein anderes Land hat so eine realitätsferne und täterfreundliche Gesetzgebung. Allein die Sprache zeigt, wie verhängnisvoll falsch in diesem Bereich verfahren wird: Sexuelle Dienstleistungen sind in Wahrheit in weiten Teilen fortgesetzte sexuelle Gewalt. Das Gewerbe ist in Wahrheit in weiten Teilen einem Geschäftsfeld der OK zuzuordnen.

Prostituierte sind in Wahrheit in hohem Maße Kriminalitätsopfer….

Kein anderes Land räumt diesem Geschehen zudem so große Freiheiten ein.  Und weil andere (Nachbar-)Staaten längst erkannt haben, wie verhängnisvoll dieser Weg ist und z.B. das Nordische Modell einführten, bleibt Deutschland (mit Österreich und der Schweiz) das ideale Spielfeld für Menschenhändler- und Zuhälter(banden) aus aller Welt.

In Schweden wurde der OK 1998 der Boden unter den Füßen weggezogen – das ist kein interessanter Markt mehr – also wendet man sich dahin, wo die benötigten Freiheiten noch bestehen – nach Deutschland.

Der italienische Mafia-Staatsanwalt Roberto Scarpinato: „Wäre ich Mafiosi, ich würde in Deutschland investieren – und so schlau wie ich sind die auch…“

Bücher von Manfred Paulus:

Zuhälterei gestern und heute.
Über Hurenwirte, Kiezkönige und die Sexsklaverei der Maffia
Pro Media, Wien 2022, 224 Seiten, 19,90 €
Lesen Sie unsere Buchbesprechung

Menschenhandel und Sexsklaverei.
Organisierte Kriminalität im Rotlichtmilieu
Pro Media, Wien 2020, 208 Seiten, 19,90 €

 

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