• 24.04.2023

„Unter den Taliban leben, heißt in der Hölle leben“ – die systematische Unterdrückung der Frauen und Mädchen in Afghanistan

Verschleierte Mädchen sind auf dem Bild zusehen. Ein Mädchen mit einem roten Tuch schaut direkt in die Kamera
© ArmyAmber via Pixabay

„In meiner Provinz gab es Mädchen, die Sängerinnen, Lehrerinnen, Sportlerinnen oder Politikerinnen hätten werden können. Jetzt haben wir alles verloren. (...) Die meisten Mädchen werden nun dazu gezwungen zu heiraten. Dies ist ein Albtraum, den ich mir nie hätte vorstellen können.“ 

Dieses Zitat stammt von einer Lehrerin aus Afghanistan, die nach der Machtübernahme der Taliban wie so viele andere Frauen aus ihrem Amt entlassen wurde. Sie und neun weitere ehemalige Lehrerinnen wurden für eine von Naheed Farid (ehemalige afghanische Parlamentsabgeordnete) und Rangita de Silva de Alwis (UN-Expertin für Frauenrechte) erstellte Aufarbeitung der Situation afghanischer Frauen und Mädchen unter den Taliban interviewt, die im Januar 2023 im Auftrag der Princeton University School of Public and International Affairs veröffentlicht wurde. Die Interviewpartnerinnen wollten aus Sicherheitsgründen anonym bleiben. Denn wer Kritik an den Taliban ausübt, bringt sich und Angehörige in große Gefahr. Seit der Machtübernahme der Taliban hat sich das Leben der zehn Lehrerinnen fundamental verändert. Sie mussten mit ansehen, wie das de facto-Regime ihren Schülerinnen das Recht auf Bildung verwehrte, weiterführende Mädchenschulen geschlossen wurden und sie selbst ihre Arbeit und Einkommen verloren. 

Und die systematische Einschränkung der Rechte und Freiheiten der Frauen und Mädchen in Afghanistan geht noch weiter darüber hinaus: Seit ihrer Machtergreifung im August 2021 haben die Taliban durch Verbote und Verordnungen Frauen und Mädchen Schritt für Schritt vom öffentlichen Leben in ihre Häuser verbannt. In den Interviews mit den Lehrerinnen aus verschiedenen Regionen Afghanistans wird die Tragweite der Rechtsverletzungen deutlich: Sie führen dazu, dass Frauen und Mädchen durch Zwangsehen, Arbeitsverbote, den Ausschluss aus Schulen und Universitäten und die immer extremere Einschränkung ihrer Entscheidungs- und Bewegungsfreiheit wie Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Naheed Farid und Rangita de Silva de Alwis bezeichnen die gegenwärtige Lage in Afghanistan als „Gender Apartheid“. Die Forderung der Autorinnen ist deutlich: Die Internationale Gemeinschaft darf die Verstöße der Taliban gegen Frauenrechte nicht hinnehmen, sondern muss ihre bisherigen Anstrengungen vervielfachen, um die Frauen in Afghanistan effektiv zu unterstützen. TDF schließt sich dieser Forderung an – denn afghanische Frauenrechte sind Menschenrechte und unverhandelbar!

In der folgenden Liste haben Naheed Farid und Rangita de Silva de Alwis in chronologischer Reihenfolge alle Verbote und Anordnungen aufgeführt, die seit der Machtübernahme der Taliban im Hinblick auf Frauenrechte erlassen wurden: 

1. Anordnung an Imame, Listen aller unverheirateten Frauen zwischen 12 und 45 Jahren zu erstellen, sodass diese an Talibankämpfer verheiraten werden können (13.08.2022)

2. Temporäre Anweisung an alle arbeitenden Frauen zu Hause zu bleiben, da ihre Sicherheit nicht garantiert werden könne (25.08.2021)

3. Geschlechtertrennung im Schulunterricht, auch dürfen männliche Lehrer keine Mädchen mehr unterrichten (30.08.2021) 

4. Frauen werden von jeglichen Regierungspositionen ausgeschlossen (08.09.2021)

5. Weiterführende Schulen für Mädchen bleiben bis auf Weiteres geschlossen, faktischer Ausschluss der Mädchen von höherer Bildung (17.09.2021)

6. Schließung des Frauenministeriums, stattdessen Neueröffnung des Ministeriums für Verbreitung der Tugend und Verhinderung von Laster (17.09.2021)

7. Erneute Aufforderung an Frauen, nicht zu arbeiten (20.09.2021)

8. Verbot für Frauen, an öffentlichen Universitäten zu studieren oder zu unterrichten, bis ein geschlechtergetrennter Unterricht umgesetzt werden könne (29.09.2021)

9. Verbot für Frauen in Theatern, Seifenopern oder Entertainmentshows aufzutreten. Weibliche Nachrichtensprecherinnen müssen Kopftuch tragen (22.11.2021) 

10. Anordnung, dass eine Heirat mit dem Einverständnis der Frau erfolgen müsse. Fehlende Umsetzung sowie die generelle Haltung der Taliban gegenüber Frauenrechten lassen dieses Dekret jedoch als wenig mehr als ein auf internationalen Druck hin erfolgtes Lippenbekenntnis erscheinen (03.12.2021)

11.  Taxifahrer dürfen keine Frauen ohne Hijab transportieren (26.12.2021)

12.  Verbot von Reisen über mehr als 72km Entfernung für Frauen ohne Begleitung eines männlichen Verwandten (29.12.2021)

13. Schließung öffentlicher Schwimmbäder für Frauen (29.12.2021)

14. Verbot eines Cafébesuchs von Frauen ohne männlichen Verwandten (05.01.2022) 

15. Anordnung für Frauen im öffentlichen Dienst zum Tragen eines Hijabs (02.02.2022)

16. Verbot für Frauen, Gesundheitszentren oder Arztpraxen ohne Begleitung eines männlichen Verwandten aufzusuchen (02.03.2022) 

17. Geschlechtertrennung von Personal in Gesundheitszentren (13.03.2022) 

18. Weiterführende Schulen für Mädchen bleiben entgegen zuvor gemachten Versprechungen geschlossen (24.03.2022)

19. Verbot von Flugreisen für Frauen ohne männlichen Verwandten (27.03.2022)

20. Geschlechtertrennung für Parkbesuche. Frauen dürfen Parks nur noch von Sonntag bis Dienstag betreten (06.04.2022) 

21. Geschlechtertrennung in akademischen Institutionen durch separierte Arbeitsschichten (29.04.2022) 

22. Verbot zur Ausstellung von Führerscheinen an Frauen (05.05.2022)

23. Anordnung zur Gesichtsverschleierung von Frauen in der Öffentlichkeit (07.05.2022)

24. Verbot für Parkbesuche von Frauen in Herat, Geschlechtertrennung in Restaurants (12.05.2022)

25. Anordnung zur Gesichtsverschleierung für Nachrichtensprecherinnen und andere Frauen im Fernsehen (19.05.2022)

26. Verbot für Frauen, öffentliche Verkehrsmittel ohne Begleitung eines männlichen Verwandten zu nutzen (29.05.2022) 

27. Kaufverbot von Filmen und Musik für Frauen ohne Begleitung eines männlichen Verwandten (02.06.2022) 

28. Verbot von Taxifahrten für Frauen ohne Begleitung eines männlichen Verwandten. Verbot für Frauen, neben dem Taxifahrer zu sitzen (09.06.2022)

29. Verbot für männliche Schneider, Kleider für Frauen zu nähen (10.06.2022) 

30. Verbot für Frauen in Herat, Anklage gegen Männer zu erheben (16.06.2022)

31. Verbot für Frauen in Herat, Moscheen zum Freitagsgebet aufzusuchen (17.06.2022) 

32. Aufforderung an alle Frauen im Finanzministerium, ihren Job an einen Mann zu übergeben (18.06.2022)

33. Zwangsverheiratung zahlreicher Frauen im Distrikt Balkhab mit Talibankämpfern (11.07.2022)

34. Interaktionsverbot zwischen männlichen und weiblichen Angestellten des Gesundheitszentrums in Ghazni (21.07.2022)   

35. Verbot des Universitätsbesuch für Frauen (20.12.2022) 

36. Verbot der Arbeit in NGOs für Frauen (24.12.2022) 

37. Das Arbeitsverbot für Frauen in NGOs wird auf Mitarbeiterinnen der UN ausgeweitet (dieses Verbot wurde von den Taliban gegenüber der UN am 04.04.2023 kommuniziert und wurde in dieser Liste von der TDF-Redaktion ergänzt)

Stand 04/2023

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