• 06.12.2022

#UNHATEWOMEN „Da ist ein dunkler Schatten, der sich durch dein Leben zieht. Eiskalte Ohnmacht, die durch deine Venen fließt“

Mit der #UNHATEWOMEN Kampagne machte TERRE DES FEMMES Gewalt gegen Mädchen und Frauen im Alltag und in unserer Sprache sichtbar. Von frauenverachtenden Kommentaren und Posts in sozialen Medien, bis hin zu Songtexten, die unzensiert schlimmste Herabwürdigungen, Diskriminierungen und Sexismus beinhalten - alle hören und sehen Gewalt gegen Frauen. Der Hass scheint Normalität zu sein, er wird übersehen, akzeptiert und reproduziert.Es ist höchste Zeit das zu ändern und den Teufelskreis zu durchbrechen. Während viele MusikerInnen ihre Songs mit solcher scheinbar alltagstauglichen diskriminierenden und sexistischen Sprache füllen, versuchen andere der Gewaltspirale aktiv entgegenzuwirken, indem sie wichtige, empowernde und bewegende Inhalte durch ihre Musik in die Gesellschaft tragen.

Hip-Hop ist weltweit eine dominierende Jugendkultur und hat enormen Einfluss auf das Leben von Jugendlichen. Rap Texte prägen deshalb derzeit in hohem Ausmaß die Menschheit in Bezug auf ihre Werte, Ideale und Ziele mit. Artists sollten sich ihrem Einfluss auf junge Menschen bewusst sein. Ich denke aber auch nicht, dass sie die alleinige Verantwortung für das Allgemeinwohl tragen. Die Gesellschaft, das Umfeld und die Familie müssen auch hier in die Verantwortung genommen werden“ sagt der Berliner Rapper LMNZ im Gespräch mit TERRE DES FEMMES.

Markus Gram, als Künstler bekannt unter dem Namen LMNZ, ist Musik- und Videoproduzent, studierter Tontechniker und Rapper. Darüber hinaus hat er in den letzten acht Jahren über 1000 Rap- & Video-Workshops gegeben, fast immer im Bereich Antidiskriminierung und politische Bildung. Für ihn ist Musik eine Möglichkeit den eigenen Gefühlen Ausdruck zu verleihen und Brücken zu bauen. Am 2. Dezember hat LMNZ seine EP "MG" rausgebracht. MG steht zum einen für seinen bürgerlichen Namen "Markus Gram" und zum anderen für "Mentale Gesundheit". Das Album ist sehr intim und ehrlich und behandelt sexualisierte und physische Gewalt, Traumata, Vergänglichkeit, sowie sichtbare und unsichtbare Leiden.

„Ich versuche weder im Gespräch noch in meinen Raps zu diskriminieren und die diskriminierende Sprache, mit der ich selbst unbewusst aufgewachsen bin, zu reflektieren und abzulegen. Im Rap geht es für mich um authentisches Ausdrücken von dem, was in einem vorgeht. Das möchte ich vorleben. Wird diskriminierende Sprache in meinen Workshops genutzt, spreche ich mit den Teilnehmenden darüber, was sie dazu bewegt, diese Worte zu verwenden und was sie sich davon erhoffen. Ich suche ein Gespräch auf Augenhöhe. Oft kann man dann z.B. bei Gesprächen über eigene Diskriminierungserfahrungen eine Brücke zur Empathie für andere diskriminierte Gruppen schlagen, sodass die Motivation diese Sprache nicht mehr zu verwenden dann von den Teilnehmenden selbst kommt.“

„Da ist ein dunkler Schatten, der sich durch dein Leben zieht

Eiskalte Ohnmacht, die durch deine Venen fließt“

Sein neuer Song „Dunkler Schatten“ thematisiert sexualisierte Gewalt, Vergewaltigung und Missbrauch. Diese Themen treiben LMNZ schon seit etlichen Jahren um, seit sich ihm gegenüber Partnerinnen, Kolleginnen und Freundinnen bezüglich ihrer persönlichen Gewalterfahrungen geöffnet haben: In keinem der Fälle wurden die Täter belangt. Es sind Väter, Verwandte, Arbeitskollegen der Eltern, Nachbarn - fast immer also bekannte, sogar vertraute Menschen aus dem nahen Umfeld der betroffenen Frauen. Und immer hatte es gravierende Auswirkungen auf das gesamte Leben der Betroffenen und ihre Umgebung. Im Gespräch mit TERRE DES FEMMES erzählt LMNZ, dass er nach solchen Erzählungen teilweise tiefen Hass auf die Täter gespürt habe und es ihm schwerfiel, diese schreiende Ungerechtigkeit und den Schmerz, den die betroffenen Frauen in seinem Umfeld erlebten, als Beobachter auszuhalten. Musikalisch war es für ihn nicht einfach einen konstruktiven Weg zu finden, sexualisierte Gewalt zu thematisieren. 

„Mit einer Betroffenen, die mir sehr nahesteht und anonym bleiben möchte, habe ich sehr viel und detailliert über ihre Geschichte gesprochen. Sie ist durch die Hölle gegangen. Diese Frau ist extrem reflektiert und hat mich - mit ihrer Art mit dem Erlebten umzugehen - sehr inspiriert. Sie hat auch selbst ein Gedicht geschrieben, in dem sie sexuellen Missbrauch thematisiert. Auf diesem Gedicht und den vielen Gesprächen basiert dieser Song.“

Als Künstler, aber auch ganz besonders in seiner Rolle als Mann versucht LMNZ mit seiner Musik, hier ganz besonders mit dem Song „Dunkler Schatten“ auf die Situation von Betroffenen und ihrer Angehörigen aufmerksam zu machen. Musik als ein Mittel also um komplexe und vielschichtige Emotionen und Geschichten in unsere Gesellschaft zu tragen. Denn geschlechtsbasierte Gewalt gibt es überall und sie geht uns alle etwas an. Sexualisierte Gewalt betrifft nicht nur diejenigen, die diese erleben und ertragen müssen, sondern es betrifft auch ihre Familien und ihr ganzes Umfeld, wie LMNZ deutlich macht: „Ich empfinde es wichtig, dass Bildungsarbeit auf breiter Front erfolgt. Wenn man sich die Zahlen zu sexualisierter Gewalt anschaut, ist es definitiv ein Thema, was uns alle angeht und wo vor allem Angehörige schauen sollten, dass sie den Betroffenen in ihrer unglaublich schweren Lage nicht noch unnötig zusätzliche Steine in den Weg legen oder indirekt verlangen, dass die Betroffenen nun auch noch ihren Schmerz mitschultern müssen. Auch für Angehörige ist es schwer, mit der Situation umzugehen, vor allem wenn die sexualisierte Gewalt – wie meist – aus dem direkten Umfeld kommt. Da wird die Lage schnell extrem verfahren. Das soll deshalb auch keinerlei Vorwurf sein. Wenn wir alle präventiv besser informiert wären, was gute Verhaltensweisen wären, sowie besser mit unseren eigenen Gefühlen umgehen könnten, würden diese extrem belastenden und überfordernden Situationen evtl. etwas einfacher durchstanden werden.“

Jede und jeder einzelne in dieser Gesellschaft, die so durchdrungen ist von einer toxischen Männlichkeits- und Gewaltkultur, muss aktiv daran arbeiten, eben diese patriarchalen Muster zu durchbrechen. Genau deshalb ist solche Arbeit und Kunst wie die von LMNZ so wichtig. Er erzählt Geschichten, die so wahr sind, dass es wehtut, und thematisiert dadurch das eine so weitreichende Problematik wie sexualisierte Gewalt nicht nur mit viel Empathie, sondern vor allem mit der intensiven Entschlossenheit diese gesamtgesellschaftlich zu bekämpfen.

„Wir Männer müssen da mehr Verantwortung für uns, unser Verhalten, unsere Gefühle, Unsicherheiten und auch andere Männer übernehmen und uns von Grund auf reflektieren, patriarchische Rollenbilder hinterfragen und schädliche Muster durchbrechen. Wir können uns da alle gut selbst an die Nase fassen. Auch ich habe sicherlich in meinem Leben schon dafür gesorgt, dass sich Frauen unwohl gefühlt haben - z.B. durch einen etwas zu langen Blick - und ich muss daran arbeiten, dass das nicht mehr passiert.“ – LMNZ, im Gespräch mit TERRE DES FEMMES.

Die Wurzel des Problems liegt in den ur-patriarchalen Strukturen, die unsere Gesellschaft durchziehen – doch diese „Gesellschaft“ ist nicht einfach ein unförmiges, willenloses, abstraktes Konstrukt. Nein, sie besteht aus Individuen, aus einzelnen Menschen, die durch die aktive Entscheidung sich selbst und ihr eigenes Verhalten zu bessern, eben diese festgefahrenen Grundstrukturen Stück für Stück verändern können. In diesem Zuge ist es zum Beispiel die Aufgabe der Politik, Präventionsarbeit zu leisten, damit Männer gar nicht erst zu Tätern werden, die sich der Körper von Frauen mit einer Selbstverständlichkeit bedienen, die Leben zerstört. Die patriarchischen Denkmuster, die zu sexualisierter und geschlechtsbasierter Gewalt führen, müssen von klein auf durchbrochen werden, damit gegenseitiger Respekt und Wertschätzung diesen Kampf gegen die Gewalt gewinnen kann.

Es ist, wie LMNZ in diesem letzten Zitat betont: Wir alle können und müssen ein Teil der Lösung sein.

Unterstützung für Betroffene von sexualisierter Gewalt

Weißer Ring e.V.

Hilfetelefon- Gewalt gegen Frauen

Links zu LMNZ

LP – „MG“

LMNZ auf Youtube

LMNZ Website

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