• 31.08.2020

TERRE DES FEMMES im Gespräch mit Halina Bendkowski: "Säkularität bedeutet die Aufklärung ernst zu nehmen und die Macht der Kirchen und aller Religionen im öffentlichen Raum zurück zu halten"

Der Anlass: Säkularität und Berliner Neutralitätsgesetz

Anlässlich der aktuellen Diskussionen über das Neutralitätsgesetz in Berlin trafen wir die Agentin für Feminismus und Geschlechterdemokratie, einst kulturelle Kuratorin des feministischen FrauenKulturzentrums SCHOKOFABRIK in Berlin-Kreuzberg, Sprecherin  der Berliner FrauenfrAKTION und Gründungsfrau des Lesben- und Schwulenverband in Deutschland e. V. (LSVD), Halina Bendkowski. 

Im Gespräch erzählt uns die 71-jährige Feministin, dass sie als ungewolltes Kind aus einem Verhältnis ihrer katholischen Mutter mit einem jüdischen Mann im Nachkriegspolen hervorging.

Solange sie zurück denken kann, war sie mit Gewalt konfrontiert, die sie sowohl in Polen als  auch später im Nachkriegsdeutschland als furchtbar normal erlebte, denn niemand half, wie sie noch im Nachhinein vorwirft.

Hieraus entwickelte sich bei ihr das Bedürfnis, sich selber mit Suche nach Hilfe, aus der Gewaltspirale zu entziehen. Die feministische Lektüre und deren Aktivistinnen halfen ihr, ihre eigenen Erfahrungen und die der anderen konstruktiv zu verarbeiten. Es befähigte sie, sich u.a. engagiert für den Kampf gegen Gewalt einzusetzen. Heute ist Bendkowski eine angesehene Aktionsforscherin des Feminismus, der Männerforschung und der Lesbenbewegung. In der Debatte um das Berliner Neutralitätsgesetz sieht sie in der Frage um Gleichberechtigung die Pflicht des Staates, sich der Geschlechterdemokratie verpflichtet zu wissen und diese auch durchzusetzen. Gerade weil die Feministin von der Macht und deren Konventionen in den Religionen weiß – da deren Rollenbilder überall Ungleichheiten verursachen –, appelliert Bendkowski an die Fürsorgepflicht des Staates und fordert eine strikte Einhaltung der gebotenen Säkularität, d.h. Trennung von Staat und religiösen Anschauungen- jenseits des Privaten. 

Die folgende Transkription gibt unser Interview mit Halina Bendkowski in leicht gekürzter Form wieder. 

Frau Bendkowski, wie würden Sie Säkularität beschreiben?

Säkularität bedeutet die Aufklärung ernst zu nehmen und die Macht der Kirchen und aller Religionen im öffentlichen Raum zurück zu halten. Es waren und sind religiöse Traditionen, Konventionen und Familienbilder, die Mädchen und Frauen immer wieder daran hindern, ihren eigenen Lebensweg erforschen zu können und einen eigenen gewünschten beruflichen Weg einzuschlagen. Das aber muss die Aufgabe von demokratischer Schulung für alle sein.
 

Was hat es mit dem von Ihnen eigeführten Begriff der „Geschlechterdemokratie“ auf sich und warum bezeichnen Sie sich selbst als feministische Männerforscherin? 

Ich habe angefangen, mich in den frühen 80 ern des letzten Jahrhunderts, als erste feministische Männerforscherin zu bekennen, weil ich die Männer unbedingt  in den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen verbindlich einbeziehen wollte und das auch bei verschiedenen Veranstaltungen und internationalen Konferenzen durchgesetzt habe.  Es war mir klar, dass das Ziel des Feminismus gegen alle Geschlechter diskriminierenden Gepflogenheiten, eine zu entwickelnde Geschlechterdemokratie sein muss. Der Feminismus muss die Geschlechterdemokratie für Frauen und Männer ernst nehmen und diese als attraktiver erlebbar zu machen als eine asymmetrische Geschlechterhierachie, die  immer wieder nur mit Gewalt aufrecht erhalten werden kann, wie man überall, wo die Frauen als 2. Geschlecht behandelt werden, erkennen kann. Selbst wo die gleichen Rechte formell durchgesetzt waren, spiegelten die Zahlen der häuslichen Gewalt gegen Frauen und Kinder eine Realität , die den frauenmissachtenden Traditionen geschuldet war. Und genau deswegen habe ich den Begriff in den frühen 90ern offiziell seit „TEST THE WEST- Geschlechterdemokratie und Gewalt“ programmatisch für den Feminismus  in die öffentliche Debatte eingeführt.  Anders als von mir begründet, ist dieses Verständnis z.B. von der Heinrich Böll Stiftung für das Gunda Werner Institut  für Feminismus und Geschlechterdemokratie zwar als Orientierung übernommen worden, aber in der Folgezeit  zum gender mainstreaming entinhaltlicht  worden. Nebenbei, aber besonders wichtig auch für mich, hatte ich immer die Lesben und Schwulen und Queers im Blickwinkel, die ich mit Verständnis und Hilfe der Geschlechterdemokratie zu gleichen Rechten verpflichtet sah. Dieser Einsatz war besonders schwer, da im Austausch mit allen Kirchen, diese ihre Macht demonstrierten, uns als ‚ihre‘ Sünder, im Griff zu behalten, um uns menschenrechtlich  weiter zu desintegrieren. Diese Auseinandersetzungen habe ich als Vertreterin des LSVD als besonders beleidigend in Erinnerung. Warum heute der durch unsere Gleichstellungsarbeit stark gewordenen LSVD, nicht weiter für das Neutralitätsgesetz kämpft, ist ein Rätsel, das nicht weiter ungelöst bleiben darf.

Als feministische Männerforscherin habe ich mich dafür eingesetzt sowohl Mädchen als auch Jungen von ihren Geschlechternormen, die religiös dominierend, für beide absolut tyrannisch sind, befreien zu helfen. Für Jungen ist es wichtig, sich der Tyrannei einer Konvention zu widersetzen, die sie quasi anhält, machistisch aufzutreten und Mädchen bedroht.

Deswegen mein Appell: Meine Herren, Jung und Alt, befreien Sie sich! Nehmen Sie sich selber ernst zu lieben und geliebt zu werden, damit auch Ihre Partnerinnen sich einer Partnerschaft mit Ihnen erfreuen können!  Unterdrückung ist nicht nur unschön, sondern lästig und anstrengend und dem Menschen, Frauen wie Männern unwürdig. Ehre besitzt man nicht, schon gar nicht über andere. Ehre gebührt denen, die  Selbstverantwortung und Respekt für andere einzuhalten wissen.

Finden Sie, dass das Neutralitätsgesetz bundesweit gelten soll, oder sehen Sie Berlin in einer Sonderstellung?

Das Neutralitätsgesetz MUSS bundesweit gelten. Es ist ein Versagen, auch der Berlinerinnen und Berliner, gewesen, das Gesetz nicht immer wieder zur föderalen Aufgabe auszuweiten. Jetzt droht uns der Gegenschlag gegen die Aufklärung. Absolut bin ich dafür das Neutralitätsgebot und das nicht nur in Deutschland, sondern europaweit zur Voraussetzung der Kooperation zu regeln. Es ist eine Praxis geworden, inhaltsfrei von Werten zu sprechen und den Religionen dabei eine nicht befragte Moralität zuzusprechen,  mit der sie sich auch öffentlich  immer zu Wort melden. Werteorientiert zu sein, bedeutet aber genau auf Säkularität  als europäischen Wert zu bestehen ! Denn, alle Religionen bestehen aus Herrschaften.  Aus Herren, die Herrschaft ausüben – und diese waren nie soweit, die Interessen der Frauen zu vertreten. Aus diesem Gedanken heraus entwickelte sich das Prinzip der Säkularität. Zentral muss es sein, die Gleichberechtigung von Frauen und Männern geltend zu machen – und somit die freie Entwicklung von Frauen auch gegenüber den herrschenden Religionen, eben säkular zu verteidigen und zu retten.

Warum sind Vielfalt und Neutralitätsgesetz kein Widerspruch? 

Es besteht kein Widerspruch, weil das Neutralitätsgesetz erst die Vielfalt sichert. Eine Vielfalt, die aber darauf reduziert ist, Frauen und Mädchen auf eine Identität zu reduzieren und diese Identität durch das Kopftuch sichtbar macht, kann nicht als solche bezeichnet werden. Das Kopftuch entwertet Frauen und Mädchen und beschränkt sie in ihren Möglichkeiten sich frei zu entwickeln.  Die Forderung nach Demut und Bescheidenheit an Frauen insbesondere, verherrlicht den herrischen Mann, dieses von Frauen einklagen zu können. Eine beliebige Vielfalt, die multikulturell beschworen wird, um freundlich im allgemeinem Verständnis daherzukommen, ist im Grunde eine laisser-faire Haltung, die sich um die Nöte der aufbegehrenden Frauen für ihre Rechte, nicht verantwortlich fühlt. Somit betreibt sie genau das Gegenteil von dem was sie verspricht: Ungleichheit.

Wo sehen Sie die Gefahr, wenn religiöse Symbole in die Schule einziehen?  

Ich bin gegen alle religiösen Symbole in der Schule – und wie ich weiß, wohl auch die meisten Lehrenden und die Mehrheit der Bevölkerung, da bin ich sicher. 

Jetzt nach einer völlig falsch geführten Toleranzdebatte, haben wir die Situation, dass viele junge Frauen im Gegensatz zu ihren Müttern und Großmüttern, die gegen den Kopftuchzwang einfach ohne Kopftuch auftraten, nun gerade das Kopftuch als Zeichen ihrer Identität verstehen und sich damit auch abgrenzen wollen. Wenn sie das jugendlich experimentierend ausserhalb der Schule als fashionistas betreiben wollen, sei’s drum.  Moden kommen und gehen mit und/oder gegen den Zeitgeist.  

Das ist kein Staatsproblem, solange nicht Mädchen in Kitas oder gar im Kinderwagen und später in der Schule, von den Familien, unfähig zur Zustimmung, stigmatisiert werden. Auch hier gilt die Fürsorgepflicht des Staates.  Der Staat hat aber ausserhalb seiner Fürsorgepflicht für Unmündige und jenseits seines Repräsentationsbereiches  gegenüber allen religiösen Bekundungen neutral zu sein und diese gegen Diskriminierungen zu schützen. Nicht einfach, aber notwendig und immer wieder mit der FDGO = Freiheitlich Demokratische Grundordnung zu verteidigen.

Was würden Sie einer Frau empfehlen, die ein Kopftuch trägt und in Berlin Lehrerin werden möchte?

Ich würde ihr eindeutig sagen, dass ich es toll finde, dass sie Lehrerin werden möchte. Deswegen erwarte ich von ihr, dass sie die freiheitliche demokratische Grundordnung akzeptiert, welche die Freiheit und Gleichberechtigung von Frauen und Männern zum 3. Grundgesetz erklärt hat. Die Religionsfreiheit ist nach dem Gleichberechtigungsparagrafen Artikel, 3, Absatz 2, das nächste 4. Gesetz, also dem 3. Grundgesetz hintangestellt und schon damals !948/49 von den Gründungsmüttern, wie Elisabeth Selbert und drei weiteren Politikerinnen hart in Kooperation mit Frauenverbänden erkämpft worden. Damals wollten die Politiker wie die Religionsvertreter die Frauen nur mit dem Recht auf Gleichwertigkeit bescheiden. Wie wichtig das imperative Mandat auf Gleichberechtigung ist, sieht man in Ländern, wo Frauen z.B. das Recht auf Kopftuchfreiheit verwehrt wird. Wenn es den Lehrerinnen nicht wichtig genug ist, die Solidarität mit all den Frauen zu zeigen, die darauf angewiesen sind, ist das für mich eine Allianz gegen die Freiheit begehrenden Frauen, die in Ländern leben, in denen der Islamismus sich mit unvergleichlicher Radikalität und Härte der Unterwerfung der Frauen widmet. Und  damit diese Praxis nicht als hin nehmen bar gedeutet werden darf, sollte es ein Anliegen sein, insbesondere in Schulen nicht missverstanden zu werden. Wenn Frauen unter Lebensgefahr das Kopftuch ablegen wollen, sollte es Lehrerinnen in Deutschland zumutbar sein, dieses Fanal zur erneuten Reaktion, zwecks Unterdrückung von Frauen nicht mitzutragen. Es geht um die Notwendigkeit der Freiheit, sich nicht selbst behindern zu müssen. Unterstützt diese Freiheit. 

Wieso setzen Sie sich für ein allgemeines Kopftuchverbot an öffentlichen Bildungseinrichtungen ein und warum finden Sie die Petition „DEN KOPF FREI HABEN!“ unterstützenswert?

 

 

 

Ich finde reale Vielfalt wunderbar und eigentlich können sich alle Menschen kleiden, wie sie wollen. Vielfalt wird aber beeinträchtigt und verhindert durch eine religiöse Maßregelung allein Mädchen und Frauen gegenüber, die durch das erwünschte Stigma um die gleichen Chancen gebracht werden. Auf keinen Fall sollten Mädchen bis zum 14. Lebensjahr, also bis zur sog. Religionsmündigkeit – ein Kopftuch tragen müssen.

Das Kopftuch behindert Mädchen und Frauen in ihren Möglichkeiten sich frei zu entwickeln. Eine lange, leider wertfreie Debatte, nämlich die Freiheit von Mädchen so wichtig zu nehmen wie die der Jungen, hat nun den Effekt, dass viele Frauen und Mädchen es als ihre Selbstermächtigung ansehen, das Kopftuch selbstbewußt zu tragen. Gedankenlose Politik, die die Säkularität nicht ernst nahm, hat sich damit auf Kosten von Mädchen, nicht mit ihrer Freiheitsbildung auseinandersetzen wollen.  Aber in den Schulen muss der Freiraum gewährt bleiben, Neutralität aufrecht zu erhalten, damit sich die Mädchen nicht ständig mit irgendwas auf ihrem Kopf beschäftigen müssen, sondern diesen frei bewegen, um frei lernen zu können.

Religiosität ist nicht damit zu begründen und zu bestätigen, dass Frauen sich unterzuordnen haben. Das darf einfach nicht der Sinn von Schule sein- und auch nicht eines Lebens von Frauen und Männern danach.

Das sind wir ihnen schuldig.

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