• 02.06.2020

Stellungnahme von TERRE DES FEMMES zum Schutz von geflüchteten lesbischen Frauen: Solidarität mit lesbischen Geflüchteten

Aufnahme

Lesbische Frauen sind nicht nur in vielen Herkunftsländern, sondern auch auf der Flucht besonders gefährdet, denn sie sind nicht nur von sexistischen sondern auch homophoben Diskriminierungen betroffen. Es droht ihnen u. a. sexuelle Belästigung bis hin zu Vergewaltigung, Verschleppung und Zwangsprostitution. Dies gilt sowohl unterwegs als auch in den überfüllten und männerdominierten Flüchtlingscamps, etwa in Griechenland.

Unterbringung und Beratung

In Deutschland gibt es bereits einige Anlaufstellen für LGBTI-Geflüchtete (siehe z.B. https://www.queer-refugees.de/anlaufstellen/). Es mangelt nach unserem Kenntnisstand allerdings nach wie vor an flächendeckenden, separaten Unterbringungsmöglichkeiten. Diese sind jedoch dringend notwendig, wie zahlreiche Berichte von LGBTI-Geflüchteten über die Zustände in Sammelunterkünften zeigen (siehe z.B. den Bericht (2016) einer lesbischen Frau aus Syrien über eine Notunterkunft in Hamburg: https://taz.de/Lesbische-Gefluechtete-aus-Syrien/!5344003/). Denn dort sind sie durch andere BewohnerInnen weiterhin schutzlos der Ächtung und Gewalt gegen LGBTI-Menschen ausgeliefert, die in ihren Herkunftsländern, aus denen sie flohen, zur sozialen und teilweise auch rechtlichen Norm gehören. Besonders extrem sind die Lebensbedingungen auf engstem Raum und ohne jegliche Privatsphäre u. a. in den ANKER-Zentren, wie sie in Bayern flächendeckend vertreten sind. Frauen sind dort besonders bedroht. Davon zeugen zahlreiche Berichte sowie eine Statistik des bayerischen Innenministeriums, die allein für das Jahr 2018 mehr als 700 Gewalt- und Sexualstraftaten gegenüber Frauen in bayerischen Asylbewerberunterkünften verzeichnet (BR Podcast „Frauen in Flüchtlingsunterkünften klagen über Willkür und Gewalt / die Dunkelziffer wird wesentlich höher geschätzt). Die Flucht in ein Frauenhaus wird als Ordnungswidrigkeit geahndet, bei mehrmaliger Wiederholung gar als Straftat, gem. Frankfurter Rundschau.

In Berlin gibt es seit 2016 eine Not- und Gemeinschaftsunterkunft für LGBTI-Flüchtlinge. TERRE DES FEMMES fordert, dieses Angebot auszubauen und die Finanzierung langfristig sicherzustellen. Eine separate Unterbringung innerhalb regulärer Sammelunterkünfte ist nicht zielführend, da dadurch LGBTI geoutet und noch stärker gefährdet werden. Es müssen eigene Gemeinschaftsunterkünfte oder eine dezentrale Unterbringung in Wohnungen oder Wohngemeinschaften gewährleistet werden.

Anerkennung

Die sexuelle Orientierung zählt zu den geschlechtsspezifischen Verfolgungsgründen. Dennoch werden regelmäßig Asylanträge von lesbischen Frauen abgelehnt, weil…

  • ihnen nicht geglaubt wird, dass sie wirklich lesbisch sind (z. B. weil sie aus Scham und Angst, insbesondere vor (potentiell) homofeindlichen DolmetscherInnen aus der eigenen Herkunftsregion, ihre Sexualität nicht gleich zu Anfang preisgeben)
  • die Situation in den Herkunftsländern der Antragstellerinnen verkannt wird;
  • die bloße Existenz eines strafrechtlichen Verbots homosexueller Handlungen in ihrem Herkunftsland nicht als ‚hinlängliche‘ Verfolgung anerkannt wird und/oder
  • nahegelegt wird, dass sie in vermeintlich weniger gefährliche Landesteile ziehen bzw. ihre Homosexualität in der Öffentlichkeit geheim halten könnten.

Solche Empfehlungen verstoßen oftmals gegen die europäische Rechtsprechung (vgl. EuGH 07.11.2013).

Selbst wenn es eine (lesbische) Frau im Rahmen ihres Asylverfahrens schafft, die geschlechtsspezifischen Verfolgungsgründe glaubhaft zu machen, wird zudem oftmals nur ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufentG ausgesprochen, statt ihr nach § 3 Abs. 1 AufenthG (wegen ihrer Verfolgung aufgrund der „Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe“) den Flüchtlingsstatus zuzusprechen.

TERRE DES FEMMES fordert, dass geschlechtsspezifische Verfolgungsgründe, inklusive solcher aufgrund der sexuellen Orientierung, umfassend geprüft und gewürdigt werden. Dazu gehört, dass:

  • Frauen frühzeitig über ihre Rechte und über die Bedeutung von geschlechtsspezifischen Fluchtgründen informiert werden;
  • sie über den rechtlichen Anspruch auf weibliche Anhörerinnen und Sprachmittlerinnen als auch auf eine Anhörung durch Sonderbeauftragte für geschlechtsspezifische Verfolgungsgründe informiert werden;
  • sowohl EntscheiderInnen als auch SprachmittlerInnen in sensibler Interviewführung geschult werden und LGBTI-Geflüchtete sich vor ihnen gefahrlos ‚outen‘ können.

AnhörerInnen/ EntscheiderInnen müssen:

  • ausreichende Kenntnisse über die rechtliche Lage sowie auch über die tatsächliche Lebensrealität in Bezug auf geschlechtsspezifische Gewalt in dem jeweiligen Herkunftsland haben;
  • geschult werden, Hinweise auf Folter und Traumatisierung zu erkennen, um daraufhin eine medizinisch-psychologische Untersuchung bzw. ein entsprechendes Gutachten durch speziell geschulte unabhängige GesundheitsexpertInnen zu veranlassen.

Berlin, den 02.06.2020

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