• 21.03.2023

Interview mit Frau Swaroopa, Leiterin der Frauenberatungsstelle im indischen Karimnagar

Frau Swaroopa mit der aktuellen Fallakte der Beratungstelle in Karimnagar © BHUMIKA Women’s Collective

Seit 2016 unterstützt TDF die Frauenrechtsorganisation BHUMIKA Women’s Collective, kurz BHUMIKA, in Indien. BHUMIKA berät gewaltbetroffene Frauen rechtlich und psychologisch, schult Polizei und Justiz zum Umgang mit geschlechtsspezifischer Gewalt, sensibilisiert an Schulen und in Dörfern und wirkt mit Lobbyarbeit auf notwendige Reformen und eine konsequente Bestrafung von Gewalt hin.

Straftaten gegen Frauen im Bundesstaat Telangana , zu dem Karimnagar gehört, wo die von TDF geförderte Beratungsstelle ihren Sitz hat, nahmen 2022 im Vergleich zu 2021 um 3,8 Prozent zu , Fälle von häuslicher Gewalt sogar um 8 Prozent. Besonderen Anlass zur Sorge gab jedoch der Anstieg der Fälle von Paargewalt, der bei 40 Prozent lag. In Reaktion darauf forderte die Nationale Frauenkommission NCW von der Polizei in Telangana einen detaillierten Bericht über die vom Staat unternommenen Schritte zur Gewährleistung der Sicherheit von Frauen.

Landesweit ist der Trend nicht gegenläufig : häusliche Gewalt war in Indien stets das am häufigsten gemeldete Gewaltverbrechen gegen Frauen. 2021 gingen bei der Polizei im ganzen Land Anzeigen von 137.956 Frauen ein - das entspricht etwa einer Anzeige alle vier Minuten und einem Anstieg um 27 Prozent gegenüber 2016.

TDF wollte von der Leiterin der Beratungsstelle in Karimnagar wissen, wie ihre tägliche Arbeit aussieht und warum es gerade in Karimnagar so viel Gewalt an Frauen gibt.

TDF: Wie viele Frauen finden wöchentlich den Weg in Ihre Beratungsstelle?

Beraterin: Pro Woche kommen rund 10 Frauen zur Erstberatung und 3-4 Frauen zu Anschluss-Beratungssitzungen zu mir.

Was sind die drei häufigsten Gründe, weshalb die Frauen sich an Sie wenden?

Gewalt im Zusammenhang mit Mitgift-Forderungen, v.a. zusätzlicher Forderungen, wenn die vereinbarte Mitgift bereits gezahlt wurde. Außereheliche Beziehungen des Mannes oder Anzweiflung des „Charakters“ der Frau durch den Mann, z.B. Untreue-Vermutungen. Alkoholabhängigkeit des Mannes und Verantwortungslosigkeit gegenüber der Familie, die sich oft in gewalttätigem Verhalten äußert.

Wie verhalten sich die Männer, durch die die Gewalt ausgeübt wurde oder wird, wenn sie in die Beratung einbezogen werden?

Wenn sie die Beratungsstelle betreten, entlädt sich meist ihre Wut auf die Frau, weil sie sich beschwert hat. Es braucht Geduld und Kommunikationsfähigkeiten ebenso wie eine gute Kenntnis unseres Rechtssystem und geltender Gesetze, um das Verhalten der Partner in den Griff zu kriegen.

Meist fordere ich den Mann auf, eine Zeit lang ruhig sitzen zu bleiben, Wasser zu trinken und sich zu entspannen. Nachdem er sich beruhigt hat, beginne ich mit ihm zu reden, um seine Version der Beziehungsprobleme oder Vorfälle zu erfahren. Manchmal sagt er zuerst das Eine und später das Andere bzw. widerspricht sich selbst, wobei er in der Regel versucht, die Frau wegen Kleinigkeiten zu beschuldigen oder die Dinge zu seinen Gunsten hinzustellen.

Während des Beratungsprozesses versuche ich dann, ihn zur Einsicht zu bringen, indem ich ihm die Situation der Frau und sein Verhalten ihr gegenüber verständlich mache. Diese analytische Herangehensweise macht Selbstreflexion und Sensibilisierung möglich. Manche Männer versuchen, ihr gewalttätiges Verhalten nachzuvollziehen, gestehen es sich ein und schämen sich dafür. Es gibt aber auch andere, die starr auf ihrem Standpunkt beharren und sich nicht wirklich auf ein Gespräch einlassen. Solche Männer schreien mich an, versuchen, ihre Frau während der Beratung zu schlagen, und stürmen mit der Ansage aus der Sitzung, dass man sich vor Gericht wiedersähe.

Welcher Ihrer Fälle ist Ihnen zuletzt besonders nachgegangen?

Vor ein paar Monaten kam eine Frau in die Beratung, die seit 13 Jahren verheiratet ist und zwei Töchter im Alter von 9 und 12 Jahren hat. Anlass für die Beratung war die Affäre ihres Ehemannes. Einmal hatte ihr Mann sein Handy zu Hause vergessen, und die ältere Tochter bemerkte beim Spielen mit dem Gerät, dass ständig Anrufe und Nachrichten von derselben Nummer eingingen und ihr Vater darauf antwortete. Einige Monate darauf wurde der Mann von Verwandten mehrfach mit einer anderen Frau gesehen. Als die Frau ihren Mann damit konfrontierte, gab er die Affäre zu. Ab diesem Tag schikanierte er seine Frau und die beiden Töchter jedoch bei jeder Gelegenheit. Er übernahm keine familiäre Verantwortung mehr und kam schließlich nicht einmal mehr nach Hause. In der Beratung machte ich dem Mann klar, wie sich sein Verhalten auf die Kinder und die gesamte Familie auswirkt. Die ältere Tochter forderte ihn auf, mindestens drei Tage pro Woche nach Hause zu kommen, wozu er sich bereit erklärte. Aber er hielt sich nicht daran und kam nur einmal pro Woche. Während dieser Besuche misshandelte er seine Frau körperlich und seelisch brutal. Die Frau suchte mich daraufhin erneut auf. Meine anschließende Beratung fokussierte ich darauf, die Frau und ihre Töchter emotional zu stärken. Durch kontinuierliche Ermutigung konnten sie Selbstvertrauen gewinnen und das Gefühl der Niedergeschlagenheit überwinden.

Die Frau entschied sich schließlich dafür, ihre Familie selbst zu versorgen. Sie sagte, sie habe den Mut gefasst, zu kämpfen. Sie möchte unbedingt, dass ihre Töchter später studieren. Sie sagt, sie wolle sich nicht mehr an einen Menschen binden, der keine Fürsorge und Liebe für sie übrig habe. Sie arbeitet seit vielen Jahren als Schneiderin und setzt all ihre Einnahmen für die Familie ein. Jetzt strengt sie sich an, noch etwas dazu zu verdienen: sie verbringt ihre Abende damit, Blumengirlanden zu basteln, und legt das Geld aus dem Verkauf für die Ausbildung ihrer Kinder zurück. Vor Gericht hat sie Klage gegen ihren Mann eingereicht. Ich unterstütze die Frau und ihre Kinder weiter – mit telefonischer Beratung und Hausbesuchen.

Warum machen Sie diese Arbeit? Was empfinden sie dabei als herausfordernd?

Ich arbeite leidenschaftlich gern mit Frauen zusammen, vor allem, wenn es um die Stärkung der Rolle der Frau geht. Wenn Paare mit Familienstreitigkeiten kommen, ist meine Rolle bei der Krisenintervention sehr wichtig. Oft frage ich mich eingangs, auf welche Weise Gewalt ausgeübt wird, wen sie trifft und wie die Einstellungen und das Verhalten der Männer sind. Ich denke auch viel über patriarchale Normen und Muster in unserer Gesellschaft nach. Als Beraterin ist es meine Aufgabe, einfühlsam mit den Überlebenden von Gewalt umzugehen – in meinem Fall sind das fast ausschließlich Frauen. Ich versuche immer, ihre Perspektive einzunehmen, und anderen Beratungsteilnehmenden zu vermitteln, wie wichtig es ist, die Situation der Betroffenen zu erkennen und verstehen. Ich bin zufrieden, wenn ich eine Einigung zwischen beiden Seiten erzielen kann.

Das Schwierigste an meiner Arbeit ist der Umgang mit Männern, die ein großes Ego haben und versuchen, Macht zu demonstrieren. Es ist herausfordernd, Fälle zu begleiten, in denen der Mann nicht kooperiert, der Beratung oder der betroffenen Frau keine Aufmerksamkeit schenkt, auf seine Unfehlbarkeit beharrt, schreit oder versucht, die Frau körperlich zu verletzen (Letzteres passiert selten). Ich nehme mir dann Zeit, um die Situation zu analysieren, eine Art Skizze der Beratung in meinem Kopf anzufertigen und schließlich den Beratungsprozess fortzusetzen. Ich versuche, Vertrauen aufzubauen, und beide Seiten dazu zu bringen, die Gefühle der jeweils anderen Seite nachzuvollziehen und ruhig darauf zu reagieren.

Es ist auch herausfordernd, den Stress auszuhalten, denn es kommen sehr viele Frauen zu mir. Auch ist es wichtig, dass ich selbst nicht traumatisiert bin. Der Ausgang einer Beratung ist besonders entscheidend. Wenn es noch eine zweite Beraterin hier in Karimnagar gäbe, könnten wir uns die Arbeit aufteilen und unseren Stress besser abbauen, indem wir miteinander über die Fälle sprechen. Das BHUMIKA Women’s Collective gibt mir Ideen zum Stressabbau an die Hand und ich kann mich auch mit anderen Leitungsfrauen am Telefon austauschen. Die Beamtinnen in der Polizeistation, an die unsere Beratungsstelle angegliedert ist, sind immer verfügbar, um bei Bedarf sofort Unterstützung zu leisten.

Was haben Sie (persönlich und/oder beruflich) aus der Beratung von Frauen, die Gewalt überlebt haben, gelernt?

Persönlich habe ich mein Selbstvertrauen, analytisches Denken und meine Bewältigungsmechanismen weiterentwickelt. Ich bin nun auch sehr geübt im Erstellen von Sicherheitsplänen, im Aufbau von Unterstützungssystemen und in der Beförderung von Veränderungen bei KlientInnen. Mein Einfühlungsvermögen gegenüber Überlebenden von Gewalt ist gereift, aber auch das Lesen von Körpersprache und Erklärungen in einfachen Worten fallen mir heute leichter als zu Beginn meiner Tätigkeit.

Beruflich konnte ich meine Fähigkeiten in den Bereichen Beratung, Beratungstechniken, Wissen über Unterstützungssysteme, Frauenrechte und frauenrechtlich relevante Gesetze, Qualifizierungsmöglichkeiten für Frauen in staatlichen und nichtstaatlichen Einrichtungen und Koordination mit der Polizei ausbauen und vertiefen.

Was brauchen die Frauen, die sich an Sie wenden, außer Beratung noch, um in der Lage zu sein, gewalttätige Beziehungen tatsächlich zu verlassen?

Sie sollten Zugang zu Bildung, Lebenskompetenzen, wirtschaftlicher Unabhängigkeit und Kinderbetreuung haben. Ganz elementar sind auch das Selbstwertgefühl, Selbstvertrauen und die Selbstachtung der Frauen sowie ein Verständnis von gesunden Beziehungen. Kenntnisse über eigene Rechte, vor allem das Recht auf Eigentum, und staatliche Programme helfen ebenfalls sehr.

Am wichtigsten ist aus meiner Sicht aber, dass die Frauen Stereotypen durchbrechen und das Patriarchat überwinden, das sie in die Unterordnung drängt.

Wie nachhaltig ist die Wirkung der Beratung durch BHUMIKA? Sehen Sie viele Frauen oder Paare nach einigen Monaten wieder?

Nach der Beratung ist es für beide Seiten wichtig, die Verständigung untereinander aufrecht zu erhalten, und dafür zu sorgen, dass es nicht erneut zu Gewalt kommt. Gelingt ihnen das, kommen sie nicht in die Beratungsstelle zurück, bleiben aber in Kontakt mit mir. Es gibt wenige kritische Fälle, in denen Paare wiederkommen, etwa in Fällen von Bigamie (Schließung einer weiteren Ehe ohne vorheriges Auflösen einer bereits bestehenden Ehe) oder außerehelichen Beziehungen.

Bei vielen der gewalttätig gewordenen Männer, die an Alkoholsucht leiden, kann ich nach meiner Beratung und einer anschließenden Behandlung in der Suchtberatungsstelle eine Veränderung feststellen. Ich freue mich, dass das Selbstvertrauen, das die Frauen während der Beratung entwickeln, oft erhalten bleibt, so dass viele motiviert sind, ihr Leben in der Familie selbstbestimmt oder unabhängig von einem Mann zu gestalten.

Ich führe auch regelmäßig Hausbesuche und wöchentliche Telefongespräche zur Nachsorge durch, um den betroffenen Frauen das Vertrauen zu geben, dass sie über ein Unterstützungssystem verfügen und im Bedarfsfall jederzeit wieder Hilfe bekommen.

Warum glauben Sie, dass es in Karimnagar eine so hohe Rate an Gewalt gegen Frauen gibt?

Karimnagar ist eine schnell wachsende Stadt und eine Region mit vielen natürlichen Bodenschätzen. Gleichzeitig ist das Bestreben der Familien auf dem Land groß, wirtschaftlich Erfolg zu haben. Daher gibt es eine starke Zu- und Abwanderung. Menschen aus Karimnagar ziehen nicht nur in andere Bundesstaaten, sondern auch in andere Länder (vor allem in die Golfstaaten), um Arbeit zu finden. Andere wiederum ziehen nach Karimnagar, um auf Baustellen, in Ziegelbrennereien usw. zu arbeiten.

In der Beratungsstelle werden viele Fälle von Gewalt gemeldet, die auf Alkoholabhängigkeit zurückzuführen sind. In solchen Fällen sind die Frauen meist physischer, psychischer und sexualisierter Gewalt ausgesetzt. Zudem wird oft eine zusätzliche Mitgift eingefordert. Auch aufgrund der gesellschaftlichen Akzeptanz patriarchaler Vorstellungen und Verhaltensmuster kommt es häufiger zu Gewalt gegen Frauen und Mädchen, da Männer und Ältere von einer Frau bzw. einem Mädchen erwarten, dass sie stets unterwürfig ist.

Wie hat sich die Zusammenarbeit von BHUMIKA mit der Polizei über die Jahre entwickelt?


Frau Swaroopa mit BeamtInnen der Polizeiwache, an die die Frauenberatungsstelle angegliedert ist
©BHUMIKA Women’s Collective

Die Zusammenarbeit mit der Polizei ist bemerkenswert. Der stellvertretende Polizeipräsident unterstützt mich sehr. Obwohl es früher auch Probleme gab, sind die derzeitigen BeamtInnen sehr kooperativ. Da die Beratungsstelle in der Frauenpolizeistation angesiedelt ist, reagiert die Polizei sofort, wenn Hilfe benötigt wird, z.B. wenn ein Mann, der gewalttätig geworden ist, mit zur Beratung kommt, oder in kritischen Fällen weiter beobachtet werden soll. Eine neue Initiative der Polizei ist die Kontrolle gewalttätig gewordener Männer. Die Polizei führt Buch über ihre Entwicklung. Einmal pro Woche sind die Männer angehalten, die Polizeistation aufzusuchen, um ihr Verhalten nach der Beratung überprüfen zu lassen.

Die Polizei steht an vorderster Front, um Überlebende von Gewalt auch bei der Beschaffung ihrer Zeugnisse, Kleidung und von weiterem Besitz zu unterstützen. Die Polizei steht auch mir zur Seite, wenn es während der Beratung zu Störungen kommt oder wenn der Verdacht besteht, dass es zu Störungen kommen könnte.

Die Arbeit der Beratungsstelle wird einmal pro Monat überprüft. Dabei tauschen sich die Leitungspersonen mit mir aus und analysieren Fälle auch ihrerseits. Ich werde zu allen Treffen mit den weiblichen Polizeibeamten und zu staatlichen Veranstaltungen eingeladen.

Während der Feierlichkeiten zum Frauentag 2023 wurde ich von der Polizei auf Bezirksebene für meine Dienste ausgezeichnet, die ich als Beraterin des BHUMIKA Women's Collective für gewaltbetroffene Frauen geleistet habe.

Herzlichen Glückwünsch zu Ihrer Auszeichnung und vielen Dank für das Gespräch!

Stand: 03/2023

  • Beratung für Frauen in Not - das A und O für einen gewaltfreien Neuanfang. © BHUMIKA Women's Collective
  • Frau Swaroopa mit der aktuellen Fallakte der Beratungstelle in Karimnagar © BHUMIKA Women’s Collective
  • Frau Swaroopa mit BeamtInnen der Polizeiwache, an die die Frauenberatungsstelle angegliedert ist © BHUMIKA Women’s Collective
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