• 20.10.2022

FEMIZIDE: Maximale Macht Mord

Zweimal hat Svenja Becks Ex-Partner versucht sie umzubringen. 2013 wollte er sie mit dem Auto überfahren, ein paar Jahre später hatte er die Hände um ihren Hals, wollte sie erwürgen. Der Raum ist still vor Entsetzen. Gänsehaut. Die Worte von Svenja Beck lassen die Zahlen lebendig werden. Jeden Tag versucht irgendwo ein Mann in Deutschland eine Frau zu töten. Jeden dritten Tag gelingt es. Jeden dritten Tag wird irgendwo in Deutschland eine Frau getötet, weil sie eine Frau ist. Wie viele Einzeltäter müssen es sein, bis erkannt wird, dass es keine Einzeltäter sind? Geschlechtsspezifische Gewalt ist strukturell. Sie hat System.

Die Realität dieses Grauens droht irgendwo zwischen den Zeilen verloren zu gehen. 139 Frauen wurden 2020 von ihren aktuellen oder ehemaligen Partnern getötet. Diese Zahlen aus der Polizeilichen Kriminalstatistik tauchen in unserer Arbeit bei TERRE DES FEMMES beinahe alltäglich auf. Und immer wieder erinnern wir daran, dass diese Zahlen so viel mehr als Zahlen sind. Es sind Menschen, es sind Frauen, echte, reale Frauen aus Fleisch und Blut, wie du und ich, Frauen wie Svenja Beck, mit Sorgen und Ängsten, Hobbies und Talenten, Freunden, Kindern und Familien. Frauen mit Wünschen, Plänen, Hoffnungen, und Träumen für die Zukunft.

 

An jedem dritten Tag enden ihre Geschichten. 

Nicht mal ihre Namen bleiben.

Ihre Namen werden zu Zahlen.

Zahlen, die nicht gezählt werden.

Es wird zu „schon wieder"

 

Schon wieder eine Stimme die verstummt.

Schon wieder ein Körper mehr im Untergrund.

Schon wieder klebt ihr Blut an seiner Hand.

Schon wieder wird es nicht beim Namen genannt.

 

Wir leben in einer Gesellschaft, die so selbstverständlich durchzogen ist von Hierarchien und Sexismus, die so inhärent patriarchal organisiert ist, dass sie genau das zulässt. In solchen Strukturen wird geduldet, dass Frauen getötet werden, weil sie Frauen sind. Es wird geduldet, dass diese Gewalt alltäglich ist. Es wird geduldet, dass die Einzelfälle sich häufen und zu „schon wieder“ werden. Es wird geduldet, dass blutverschmierte Hände weiter ein Recht auf Umgang mit Kindern haben. Es wird geduldet, dass Frauen zu Vertriebenen aus ihrem eigenen Zuhause werden. Nur allzu leicht wird hingenommen, dass über sexistische Witze gelacht wird, dass Worte zu Taten werden, dass Taten zu Zahlen werden und Zahlen nicht gezählt werden. Statistiken werden gelesen, abgeheftet und verblassen wie ferne Erinnerungen.

 

In der von Marion Fabian veranstalteten Podiumsdiskussion am 11.10.2022 waren es neben der Stimme von Svenja Beck auch die von Godula Kosack (Vorstandsfrau bei TDF), Jara Streuer (Mitglied im Deutschen Juristinnenbund) und Thilo Cablitz (Pressesprecher der Polizei Berlin), die versuchten, genau das zu tun. Zum Thema „Femizide: Maximale Macht Mord“ wurde sich auch mit dem Publikum intensiv ausgetauscht. Probleme wurden angesprochen, - es wurde unter anderem über den Umgang mit Tätern und Betroffenen, Intervention und Prävention dieses Gipfels der Gewalt gesprochen. Wir müssen Kinder bilden, bevor sie zu Tätern und Betroffenen werden. Damit Frauen die Muster erkennen, bevor es zu spät ist und damit Männer die Muster gar nicht erst entwickeln. In Schulen müssen wir darüber sprechen und aufklären. Die Polizei soll sich sensibilisieren, die Justiz soll Täter bestrafen und Betroffene schützen. Darin waren sich alle Anwesenden einig.

Dabei wurde immer wieder betont, dass das Problem nicht von Einzelnen gelöst werden kann, auch nicht von einzelnen Institutionen oder gar nur der Politik. Es ist gesamtgesellschaftlich tief verwurzelt und diese Wurzel muss mit gesamtgesellschaftlich geeinter Kraft aus der Erde gerissen werden, Stück für Stück, Zentimeter für Zentimeter.

Mit Diskussionen wie dieser konnte wieder ein bisschen mehr Aufmerksamkeit erregt, ein bisschen mehr Bewusstsein geschaffen und so gemeinsam ein kleines Stückchen weitergezogen werden.

TERRE DES FEMMES macht es sich unter anderem zur Aufgabe, genau dort mit anzupacken, die Erinnerung lebendig zu halten und die schmerzhaften Wahrheiten immer und immer wieder auszusprechen. Wir wollen den Stimmlosen eine Stimme geben und diese benutzen, um das Entsetzen auszusprechen, bis niemand uns mehr überhören kann - bis sich wahrhaftig etwas verändert. Bis die maximale Macht nicht mehr in Mord endet. Bis eine gleichberechtigte, selbstbestimmte und freie Welt für alle Mädchen und Frauen endlich Realität geworden ist.

Die ganze Podiumsdiskussion auf YouTube

 Die Website der Veranstalterin und Aktivistin Marion Fabian

T.O.B.E. Toxische Beziehungen überwinden e.V.: Von Svenja Beck gegründeter gemeinnütziger Verein zum Schutz vor Narzisstischem Missbrauch und häuslicher Gewalt.

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