• 01.08.2022

Femizid als Rechtsbegriff im Ländervergleich

„Wir wollen uns lebend“ – die feministische Bewegung in Lateinamerika fordert ein Ende der Femizide © Angélica Cruz Aguilar

41 Messerstiche verübt durch ihren Ex-Partner, so stirbt die 28-jährige Milena G. Anfang November 2022 in Stadtallendorf (Hessen). Ihr Ex-Partner wollte die Trennung nicht anerkennen, hatte sie sogar gestalkt. Und Milena ist bei weitem kein Einzelfall. Jeden Tag registriert die Polizei in Deutschland einen Tötungsversuch an einer Frau, beinahe jeden dritten Tag wird eine Frau von ihrem (Ex)-Partner getötet. Während die Partnerschaftsgewalt in Deutschland in den letzten fünf Jahren um 3,4 Prozent zugenommen hat, steigt die öffentliche Aufmerksamkeit für Femizide nur langsam an. Deutsche Medien berichten noch immer von Familientragödien oder Beziehungsdramen statt von Femiziden. Belgien möchte dem nun mit einem Gesetzentwurf zu Femiziden entgegenwirken – eine Ausnahme in Europa, wo bisher nur Spanien und Italien entsprechende Gesetze verabschiedet haben. In vielen lateinamerikanischen Ländern ist „Femizid“ dagegen ein Rechtsbegriff und als solcher schon seit Jahren Bestandteil des Strafgesetzbuches.

Mein Name ist Jana, ich mache aktuell ein Praktikum bei TERRE DES FEMMES. Im folgenden Artikel stelle ich mir die Frage: „Welchen Mehrwert bringt der Terminus ‚Femizid‘ als Rechtsbegriff?“ und schaue dabei vergleichend auf die gesetzliche Lage zu Femiziden in Mexiko, Nicaragua und Deutschland. Um die Situation in diesen Ländern besser verstehen zu können, habe ich drei Interviews geführt. Mit Angélica Cruz Aguilar, mexikanische Journalistin und Regisseurin des Dokumentarfilmes „Vivas“, welcher Femizide und den Kampf um deren Aufklärung in Mexiko thematisiert, mit einer nicaraguanischen Menschenrechtsaktivistin, die aus Sicherheitsgründen anonym bleiben möchte, und mit der TDF-Referentin Yamina Lourghi vom Referat für Häusliche Gewalt.

Begriffsklärung: Femizid und Feminizide

Während der Begriff und die Definition von Femizid in lateinamerikanischen Ländern bekannt sind, scheinen sie vielen Menschen in Deutschland nicht geläufig zu sein. Ein Femizid bezeichnet die Tötung einer Frau, weil sie eine Frau ist, bzw. die Tötung einer Frau aus geschlechterspezifischen Gründen. Gemeint ist, dass Femizide auf patriarchalen Gesellschafts- und v.a. Geschlechterverhältnissen fußen – eine Frau oder ein Mädchen wird getötet, weil sie sich männlicher Dominanz oder Kontrolle entzieht, indem sie sich zum Beispiel von ihrem Partner trennt. Oft hat ein Femizid mit dem Macht- oder Besitzanspruch eines Mannes gegenüber seiner Partnerin zu tun. Hierbei wird zwischen unterschiedlichen Formen des Femizids unterschieden: Der „intime Femizid“ beschreibt die Tötung einer Frau durch den (Ex-)Partner. Beim „nicht-intimen-Femizid“ stehen Täter und Opfer in keiner Beziehung zueinander. Dazu zählen etwa Frauenmorde im Zusammenhang mit Drogen- und Menschenhandel, Tötungen von Frauen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder wegen des Vorwurfs der vermeintlichen Zauberei. Des Weiteren zählen kulturelle Praktiken wie Tötungen aufgrund der Mitgift oder sogenannte Ehrenmorde, aber auch geschlechtsselektive Abtreibung, Foetizide und die Tötung weiblicher Kinder zu den Femiziden.

Die Weiterentwicklung des Begriffs Femizid zu Feminizid geht auf die mexikanische Anthropologin Marcela Lagard zurück und schließt die (Mit-)Verantwortung des Staates bei diesen Tötungsdelikten ein. Lagard möchte darauf aufmerksam machen, dass Frauenmorde nicht nur frauenfeindlich sind, sondern oft auch ungestraft bleiben, somit haftet diesem Begriff auch eine politische Dimension an, da institutionelle Gewalt gegen Frauen miteingeschlossen wird.

Rechtliche Grundlagen

Den Rechtsrahmen für eine wirksame Strafverfolgung sowie den Schutz vor Femiziden bietet in allen drei Ländern die Frauenrechtskonvention CEDAW der Vereinten Nationen (Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination Against Women), welche effektive Schutzmaßnahmen von den Mitgliedsstaaten fordert, aber auch die Medien in die Verantwortungen nimmt.

Die Istanbul-Konvention des Europarats (Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt), welche seit 2018 auch in Deutschland als bindend gilt, geht noch einen Schritt weiter und fordert in Art. 46 a schärfere Strafen, wenn die Gewalt von einem (Ex-)Partner ausgeht.

Auch die Konvention Belém do Pará der Organisation Amerikanischer Staaten (Inter-American Convention on the Prevention, Punishment, and Eradication of Violence against Women), welche u.a. in Nicaragua und Mexiko gilt, fordert in Art. 7 die Mitgliedsstaaten auf, gesetzliche Rechts- und Verwaltungsmechanismen zu schaffen, um Femizide zu verhindern sowie angemessen zu bestrafen.

An der konsequenten Umsetzung dieser Konventionen scheitert es allerdings in allen drei Ländern.

Mexiko

In Mexiko wurden zwischen Januar und November 2021 insgesamt 3.462 Frauen ermordet, dies sind durchschnittlich mehr als 10 Frauen am Tag. Dem staatlichen „Secretariado Ejecutivo del Sistema Nacional de Seguridad Publica“ zufolge waren davon 2.540 Fälle als vorsätzliche Tötung einzustufen und 922 Fälle wurden dem Strafgesetzbuch nach als Feminizid* gewertet.

Wie in vielen Ländern Lateinamerikas ist auch in Mexiko der „feminicidio“ ein eigener Strafbestand. Artikel 325 des Bundesstrafgesetzbuches legt fest, dass es sich um einen Feminizid handelt, wenn einer der folgenden Umstände zutrifft:

1.            Das Opfer zeigt Anzeichen von sexueller Gewalt jeglicher Art;

2.            Dem Opfer wurden erniedrigende oder entwürdigende Verletzungen oder Verstümmelungen zugefügt, und zwar vor oder nach dem Mord oder den nekrophilen Handlungen;

3.            Es gibt Vorgeschichten oder Daten über jegliche Art von Gewalt in der Familie, am Arbeitsplatz oder in der Schule durch den Täter gegenüber dem Opfer;

4.            Es bestand eine emotionale, affektive oder vertrauensvolle Beziehung zwischen dem Täter und dem Opfer;

5.            Es liegen Informationen vor, die belegen, dass der Täter das Opfer im Zusammenhang mit der Straftat bedroht, belästigt oder verletzt hat;

6.            Das Opfer wurde in Isolationshaft gehalten, unabhängig von dem Zeitraum, der dem Entzug des Lebens vorausging;

7.            Der Körper des Opfers wird entblößt oder an einem öffentlichen Ort zur Schau gestellt.

Für einen Feminizid kann eine Haftstrafe von 40 bis 70 Jahren verhängt werden. Auf einen „gewöhnlichen“ Mord stehen dagegen nur zehn bis 15 Jahre Haft.

Dennoch stellt sich die Strafverfolgung als sehr langwierig dar und die verschiedenen mexikanischen Bundesstaaten wenden das Gesetzt unterschiedlich an. Vielleicht auch deshalb werden nur etwa 25 Prozent der Morde an Frauen in Mexiko als Feminizide gewertet.

Angélica Cruz Aguilar sieht das Problem nicht in den Gesetzen, sondern, neben dem tiefverwurzelten Machismo in der mexikanischen Gesellschaft, vor allem im Rechtssystem und der weit verbreiteten Korruption. Knapp 95 Prozent der Feminizide blieben ungestraft, erklärt sie, diese Straflosigkeit zeige den Männern, dass es keine Konsequenzen für ihre Taten gebe, und deshalb machten sie weiter.

Angélica Cruz Aguilars Ansicht nach müssten die Behörden von Anfang an von einem Feminizid ausgehen und sollten im Anschluss prüfen, ob das stimme. Derzeit wird genau andersherum vorgegangen. Dies führt zu einer geringen Strafverfolgung, oft behaupten die Behörden auch, dass es Selbstmord war.

Die wenigsten Menschen in Mexiko haben Vertrauen in ein funktionierendes Rechtssystem. Die Aufklärung eines Feminizids findet oft nur statt, wenn von den Angehörigen der Opfer Druck ausgeübt wird, und selbst dann dauert es in der Regel mehrere Jahre, bis die Täter verurteilt werden. Deswegen wenden sich Angehörige häufig an die Medien und machen so öffentlich, dass die Justiz nicht für Gerechtigkeit nach der Tötung einer Frau sorgt, so Angélica Cruz Aguilar. Ihrer Meinung nach ist die Typisierung von Feminiziden und der eigene Strafbestand wichtig "um die Dinge beim Namen zu nennen". Dennoch reicht dies wegen der verbreiteten Straffreiheit und Korruption nicht allein aus. Ihrer Ansicht nach führen die großen Frauenbewegungen zu einer vermehrten Aufmerksamkeit für geschlechterbedingte Tötung von Frauen, indem sie auf die Straße gehen und die Einhaltung ihrer Rechte sowie staatliches Handeln einfordern.

Deutschland

In Deutschland erstellt das Bundeskriminalamt (BKA) seit 2015 Statistiken zu Partnerschaftsgewalt und Tötungsdelikten an Frauen infolge dieser Partnerschaftsgewalt. „Femizid“ ist allerdings kein Rechtsbegriff in Deutschland und die Fälle, die statistisch erfasst werden, sind ausschließlich solche, in denen der (Ex-)Partner zum Täter wurde. 2021 waren das 113 Fälle von Frauen, die durch ihren (Ex-)Partner getötet wurden.

Während die Zahlen in Deutschland für sich sprechen, hat die damalige Bundesregierung eine Anfrage der LINKEN von August 2018, ob sie die Definition der Weltgesundheitsorganisation von Femizid teilten, verneint.  Als Begründung gab die Bundesregierung an, dass „dort der Begriff Femizid nicht klar konturiert ist und verschiedene Interpretationsmöglichkeiten eröffnet werden.“ In den letzten vier Jahren wurde aber auch keine eigene Definition ausgearbeitet. Dadurch verkennt das deutsche Rechtssystem die strukturelle Dimension, die hinter der geschlechtsbedingten Ermordung von Frauen steht, sagt Yamina Lourghi von TERRE DES FEMES.

Da es keinen eigenen Straftatbestand Femizid gibt, unterscheidet das deutsche Rechtssystem allein zwischen zwei Formen von Tötungsdelikten: entweder wird die Tat als Mord eingestuft, was eine lebenslange Freiheitsstrafe impliziert, oder als Totschlag, welcher lediglich mit mindestens fünf Jahren Haft bestraft wird.

Entscheidend für die Beurteilung sind die Tötungsmerkmale: stellt die oder der RichterIn einen „niedrigen Beweggrund“ für die Tat fest, wird sie als Mord eingestuft. Dazu zählen Fälle, „die nach rechtlicher-sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen“ (BGH, Beschl. v. 07.05.2019 – 1 StR 150/19) beispielweise Mordlust, Befriedigung des Geschlechtstriebs oder Habgier, und daher als besonders verwerflich und verachtenswert gelten. Die sogenannten Ehrenmorde werden seit einigen Jahren als Morde aus niedrigen Beweggründen verurteilt. Anders wird geurteilt, wenn eine Trennung oder Trennungsabsichten von Seiten der Frau der Tat vorausgegangen sind, erklärt Yamina Lourghi. Dies wurde zuletzt 2018 vom Bundesgerichtshof (BGH), auf dessen Einschätzung sich viele Urteile beziehen, als strafmildernd angesehen, wodurch der Tötungsdelikt als Totschlag und nicht als Mord eingestuft wird. Der BGH nutzte in seiner Erklärung die Wörter „berauben“ und „verlieren“, folglich würden Frauen zu Objekten degradiert und „zudem Verständnis für die begangenen Straftaten des Täters geschürt“ so Yamina Lourghi.

Sollte daher der Femizid auch in Deutschland ein eigener Strafbestand werden? Yamina Lourghi erklärt, dass dies gar nicht so einfach sei, da dem zuerst eine bundeseinheitliche Definition vorausgehen müsse, was schon seit Jahren von TERRE DES FEMMES gefordert wird. TDF begrüßt die im Juli 2022 erfolgte Ankündigung von Bundesjustizminister Marco Buschmann, den Artikel zur Strafzumessung, § 46 Abs. 2 S.2 StGB, um die Begriffe „gegen die sexuelle Orientierung gerichtet“ und „geschlechtsspezifisch“  zu erweitern. So sollen in Zukunft neben rassistischen, antisemitischen und weiteren menschenverachtenden Beweggründen auch gegen die sexuelle Orientierung gerichtete und geschlechtsspezifische Beweggründe vor Gericht als strafverschärfend gewertet werden können.

Ein weiterer wichtiger Schritt wäre ein wirksamerer Schutz von gefährdeten Frauen. Yamina Lourghi zufolge besteht in den meisten Fällen, bevor es zur geschlechtsbedingten Tötung einer Frau kommt, eine langanhaltende Bedrohungslage. Diese könnte mit entsprechenden Maßnahmen, wie der Anordnung von elektronischen Fußfesseln oder GPS-Armbändern gegenüber Gewaltausübenden, sowie einer detaillierten Gefahrenanalyse verhindert werden. Darüber hinaus fordert TDF verpflichtende Fortbildungen und Schulungen für die Polizei, Richterschaft und Staatsanwaltschaft zum Thema häusliche Gewalt und Femizide.

Nicaragua

Nach Angaben der Organisation „Católicas por el derecho a decidir“ wurden in Nicaragua 42 Femizide von Januar bis August 2022 verübt, die Täter bis September 2022 allerdings nur in vier Fällen verurteilt.

Ähnlich wie in Mexiko wurde mit der Verabschiedung des Gesetzes 779 zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen im Jahr 2012 Femizid als Rechtsbegriff ins Strafgesetzbuch aufgenommen. Zwei Jahre später wurde das Gesetz, ohne ein korrektes Gesetzgebungsverfahren, sondern lediglich durch ein Präsidialdekret, reformiert. Seitdem geht die Gesetzgebung nur noch von einem Femizid aus, wenn die Frau von ihrem (Ex-)Partner ermordet wurde. Meine Interviewpartnerin, eine Menschenrechtsaktivistin mit langjähriger Erfahrung in der Beratung und Vertretung von Fällen von geschlechtsbedingter Gewalt, erklärt, dass so die Prävention, behördliche Verfolgung und der Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt in ihren unterschiedlichen Formen sowie die Bestrafung der Täter und Entschädigung der Betroffenen beinahe komplett aufgehoben wurden. Viele Täter, die wegen versuchten Femizids zu mehr als 20 Jahren Haft verurteilt wurden, sind zwischenzeitlich zudem vorzeitig wieder freigelassen worden, ohne den Schutz der Betroffenen sicherzustellen. Mit der Gesetzesänderung, so die Menschrechtsaktivistin, versuche der Staat das strukturelle Problem der häuslichen Gewalt in Nicaragua zu verschleiern.

Wie in Mexiko weiß die Bevölkerungsmehrheit in Nicaragua, was ein Femizid ist, dennoch erkennen BehördenbeamtInnen Femizide häufig nicht als solche an, sondern gehen von einfachen Tötungsdelikten oder auch Selbstmord aus. Dadurch werden die Hauptursachen - ungleiche Machtverhältnisse, Machismo und Frauenfeindlichkeit - nicht anerkannt, erläutert meine Interviewpartnerin. Derzeit läuft im Rahmen einer staatlichen Strategie zur Gewaltprävention eine Informationskampagne des Familienministeriums. Statt jedoch die Gesellschaft und die Institutionen zur Erfassung, Verfolgung und Ahndung von Fällen von geschlechtsspezifischer Gewalt zu sensibilisieren und wirksame Schutzmaßnahmen zu etablieren, zielt die Kampagne auf einen familiären Ansatz der Versöhnung und Vergebung ab. Betroffene Frauen sollen sich mit ihren gewaltausübenden Partnern wieder „vertragen“ und um des Familienzusammenhalts willen nach Hause zurückkehren.

Die wenigen Frauenrechtsorganisationen, die vor dem Hintergrund von staatlicher Repression in Nicaragua noch handlungsfähig sind, können derzeit kaum zur Verbesserung der Lage der Frauen beitragen, da der Staat ihre Arbeit und vor allem die rechtliche Aufklärung und Unterstützung gewaltbetroffener Frauen immer weiter unterbindet.

Fazit

Nach diesem Blick auf die Gesetzgebung zu Femiziden und vor allem deren Durchsetzung in Mexiko und Nicaragua fällt es schwer, einen unumstößlichen Mehrwert der Aufnahme des Terminus Femizid als Rechtsbegriff auszumachen. Gleichzeitig stellt sich mir die Frage: lässt eine schwache Umsetzung geltender Gesetze einen Rückschluss auf die Relevanz oder Qualität dieser Gesetze zu? Signalisieren gesellschaftliche Widerstände gegen Gesetze, dass es diese Gesetze (noch) nicht geben sollte? Oder braucht es zuerst Gesetze, damit sich eine Gesellschaft an einer (neuen) Norm orientieren und Schritt für Schritt in diese Richtung verändern kann?

In Mexiko werden täglich zehn Frauen ermordet, und während die (nicht geschlechtsbedingten) Tötungsdelikte leicht sinken, steigen die Feminizide weiter an. Auch wenn es ein sehr klar gefasstes Gesetz zu Feminiziden gibt, bleiben die meisten Fälle ungestraft. Das Gesetz wurde zwar verabschiedet, die Institutionen aber nicht für dessen Umsetzung geschult, geschweige denn für eine adäquate Strafverfolgung und Ahndung von Gewalt an Frauen ausgestattet. Die Korruption und Straflosigkeit sind strukturelle Probleme, die sich nicht so einfach lösen lassen. Das Gesetz ist meiner Einschätzung nach nicht falsch und bislang trotzdem noch ein zahnloser Tiger. Ein Anfang könnten umfassende Bildung und Sensibilisierung für die Gleichstellung der Geschlechter und die Menschenrechte der Frau ab dem Kindesalter, bessere Schutzmechanismen für Frauen sowie die Schulung der Polizei, RichterInnen und weiterer Behördenmitarbeitender sein.

Mit dem Präsidialdekret zur Änderung des Gesetzes 779 aus dem Jahr 2014 verkennt die nicaraguanische Regierung das Problem der geschlechtsspezifischen Gewalt in der Gesellschaft. Und mit der neuen Kampagne des Familienministeriums, die auf Mediation statt Sensibilisierung, Schulung und Schutzmaßnahmen setzt, lässt die Regierung die Frauen auch hinsichtlich konkreter Maßnahmen im Stich. Die allgemeine politische Lage im Land und insbesondere die Repression der organisierten Zivilgesellschaft macht es den Frauen derzeit noch zusätzlich schwer, in der Not Hilfe zu bekommen.

In Deutschland wird „Femizid“ als Rechtsbegriff derzeit nicht anerkannt, sprich es gibt keinen eigenen Straftatbestand Femizid. In manchen Fällen mag das geltende Recht ausreichend sein, um die Menschenrechte der Frau geltend zu machen, häufig schlagen sich aber patriarchal motivierte Ansichten bzw. Argumentationen in strafmildernden Umständen und einem niedrigeren Strafmaß nieder. Die strukturelle Dimension von geschlechtsspezifischer Gewalt wird so ebenfalls verkannt. Auch fehlt es sowohl in der breiten Bevölkerung als auch bei den Behörden und MedienvertreterInnen an einem Bewusstsein dafür, dass geschlechtsbedingte Tötungen von Frauen keine Einzelfälle sind.

Meine persönliche Meinung ist: in Deutschland braucht es nicht zwingend einen eigenen Strafbestand Femizid. Das Hinzufügen des Merkmals geschlechtsspezifisch und gegen die sexuelle Orientierung gerichtet als strafverschärfender Beweggrund kann für eine effektive Strafverfolgung ausreichend sein. Entscheidend ist, dass Schuldumkehr und andere patriarchal motivierte Einstellungen keinen Platz haben dürfen, insbesondere nicht in der Rechtsprechung – es darf z.B. nicht strafmildernd gewertet werden, dass eine Frau sich von ihrem Partner trennen wollte oder getrennt hat und er sich in seiner „Verzweiflung“ nicht anders zu „helfen“ wusste, als sie zu töten, um sie nicht zu „verlieren“. Diese Einstellungen werden meiner Meinung nach aber nicht allein mit einem neuen Straftatbestand Femizid verschwinden, vielmehr braucht es Aufklärung zum Thema geschlechtsspezifische Gewalt und Femizide als dessen drastischster Form, bessere Präventions- und Interventionsmaßnahmen für betroffene Frauen, Anti-Gewalttherapien für Gewaltausübende, und eine geschlechtergerechte Rechtsprechung!

*Hier folgt TDF in der Terminologie dem mexikanischen Rechtsbegriff (span. „feminicidio“, dt.: „Feminizid“).

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