• 23.02.2023

Ein Jahr Krieg in der Ukraine - TDF unterstützt weiterhin das Frauenschutzhaus Misto Dobra in Czernowitz

Manche Kinder müssen auch umfassender im Krankenhaus versorgt werden. Misto Dobra begleitet sie dorthin. © Misto Dobra

Interview mit Marta Levchenko, der Leiterin des Frauenschutzhauses Misto Dobra. Ein Rückblick auf die Arbeit - ein Jahr im Kriegszustand

  1. Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine dauert nun schon ein Jahr an. Wie blickt Misto Dobra auf dieses Jahr zurück?

Dieses Jahr war anstrengend und aufreibend, wir haben gleichzeitig gearbeitet und gekämpft, wir haben unsere Landsleute aus ganzem Herzen geliebt und aufgenommen, diejenigen, die ihre Familien, Verwandte, ihr Zuhause verloren haben… und gleichzeitig haben wir diejenigen gehasst, die in unser Land gekommen sind, um uns zu töten… Um so vielen kriegsbetroffenen Menschen Schutz bieten zu können, haben wir mit der Unterstützung von unglaublich engagierten Leuten, unseren GeberInnen, über 2.500 Quadratmeter neue Wohnfläche in unserem Schutzhaus gebaut und 300 Frauen und Kindern Sicherheit und Unterkunft geboten. Wir haben auch ein Hundeasyl aufgebaut, und unsere humanitären Aktivitäten ausgeweitet! Dieses Jahr ist wie ein schwieriger, quälender Marathon, bei dem man schnell laufen und alle Hindernisse überwinden muss, wenn man gewinnen will. Wir laufen so schnell wie möglich mit unseren Erfolgen, Plänen, Ideen und neuen Entdeckungen. Wir glauben an unseren Sieg, und wir stehen als eine vereinte Front mit allen auf der Seite des Lichts, auf der Seite der Ukraine. Wir sind extrem dankbar gegenüber allen, die uns nahe sind.

2. Was sind die größten Sorgen und Belastungen der Frauen und Kinder, die bei Misto Dobra Schutz gesucht haben?

Viele Frauen und Mädchen, die bei uns Schutz suchen, haben Angehörige im Krieg verloren, ihre Ehemänner wurden im Krieg getötet oder gefangen genommen, oder dienen gerade an der Front und verteidigen unser Land… Es gibt Frauen, die von russischen Soldaten vergewaltigt wurden, andere haben häusliche Gewalt erlitten, oder ihr Zuhause wurde von einer russischen Rakete zerstört. Sie alle kommen mit Kindern in den Armen, verängstigt und krank vor Schmerz, sie haben nichts, kein Zuhause, keinen Besitz, keine Freunde, keine Familie. Oft haben sie nicht einmal Papiere. Es gibt Frauen, deren Kinder getötet oder nach Russland verschleppt wurden… ihre Herzen sind gebrochen, sie brauchen professionelle psychologische Hilfe, eine verlässliche Schulter zum Anlehnen und den Trost, den Misto Dobra ihnen bietet.

3. Gibt es etwas, das Misto Dobra TDF oder den UnterstützerInnen von TDF mitteilen möchte?

Wir möchten uns bei allen bedanken, die die Arbeit TDFs verfolgen und unterstützen, denn eure Unterstützung ist unverzichtbar und rettet buchstäblich die Leben der Frauen und Kinder in unserem Schutzhaus. Jeden Tag seid ihr bei uns und umarmt und wiegt Kinder; gebt einer verzweifelten Frau Hoffnung; helft denen, die alles verloren haben, ein neues Leben aufzubauen. Eure Unterstützung schreibt ein neues Kapitel in der Geschichte von Misto Dobra und der Ukraine! Wir möchten euch alle umarmen und euch für dieses Jahr der Unterstützung danken, die uns geholfen hat, durchzuhalten und stärker zu werden.

 Dieses Interview wurde aus dem Englischen übersetzt.

Genau vor einem Jahr begann der brutale Angriffskrieg Russlands   gegen die Ukraine. Zwischen Februar 2022 und Februar 2023 sind nach Schätzungen von UNHCR rund 18,6 Millionen Menschen aus der Ukraine geflüchtet. In Deutschland waren am 12. Februar 2023 über eine Million Kriegsgeflüchtete aus der Ukraine registriert. Rund 5,4 Millionen Menschen gelten derzeit als innerhalb der Ukraine Vertriebene (IOM, Januar 2023). Davon stammt der größte Teil mit etwa 3,7 Millionen Menschen aus der Ost-Ukraine. Dies spiegelt sich auch in den Schutzhäusern der TDF-Partnerorganisation Misto Dobra in Chernowitz in der West-Ukraine wider, die seit Kriegsausbruch Zufluchtsort für bis zu 350 Frauen, Kinder und alte Menschen geworden sind: Im ersten der drei Gebäude leben aktuell 171 Mütter und Kinder, die vor Beschuss und Bombardierung aus den umkämpften oder besetzten Gebieten Donezk, Luhansk, Cherson, Mykolajiw, Charkiw, Dnipropetrowsk, Odessa und Saporischschja geflüchtet sind. Im zweiten Gebäude leben 62 Kinder im Alter von drei bis acht Jahren, die angriffsbedingt aus einem Waisenhaus in der Stadt Mykolaiv evakuiert werden mussten, und 15 Begleitpersonen. Das dritte Gebäude wurde mit Unterstützung von TDF binnen fünf Monaten errichtet und mit einem modernen Luftschutzkeller ausgestattet. Dort sind heute 102 Kinder aus Waisenhäusern der Stadt Odessa untergebracht. Die meisten dieser Kinder sind chronisch krank und müssen ständig medizinisch betreut werden.

Einst war das Ziel von Misto Dobra, Frauen und v.a. Müttern in Not, u.a.  bei Betroffenheit von häuslicher Gewalt, Obdachlosigkeit, Armut oder mangelnder (Berufs)bildung, zu helfen, ihnen temporär Unterkunft zu bieten, sie zu beraten und soweit zu stärken, dass sie ihr Leben wieder selbst in die Hand nehmen können. Mit Ausbruch des Angriffskriegs verlagerte sich der Schwerpunkt  jedoch auf die Versorgung und Unterstützung binnengeflüchteter Frauen und Kinder. Auch Hilfslieferungen in die akuten Kriegsgebiete unternimmt Misto Dobra  immer wieder. Dazu zählen Lebensmittelpakete für Haushalte, aber auch medizinische Geräte und Verbrauchsgüter für Krankenhäuser, v.a. für Mutter-Kind-Kliniken  und Kinderstationen. Lange galt die Sicherheitslage in  Chernowitz als stabil,   heute ertönen aber auch dort wiederholt die Sirenen,    die Lichter werden alle vier Stunden ausgeschaltet, es gibt Probleme mit der Telekommunikation  und dem Internet. Das Wasser wird mindestens zweimal  pro Woche abgestellt. Für die Schutzhäuser mussten deshalb Generatoren angeschafft werden, denn im Winter geht es nicht ohne Heizung und Warmwasser, vor allem nicht für Kinder  in geschwächtem Gesundheitszustand. Mit den Spenden von TDF und der Unterstützung durch das Hamburger Unternehmen Marquard & Bahls konnten unverzichtbare Nothilfe geleistet, seit März 2022 bis zu 350 Bewohnerinnen des Schutzhauses durchgehend mit Lebensmitteln, Trinkwasser, Hygieneartikeln und anderen Gebrauchsgütern versorgt werden, Schutzhauspersonal bezahlt und notwendige Einkäufe getätigt werden. Unter letzteren war auch ein gebrauchter Minibus für die Schutzhäuser, mit dem die Kinder nun in die Schule oder bei Bedarf ins Krankenhaus gebracht werden können. 

Ein Ende des Kriegs ist derzeit nicht absehbar, vielmehr ist von einer „Zermürbungstaktik“ Russlands die Rede. TDF steht weiter an der Seite von Misto Dobra. Bitte verfolgt und unterstützt unsere Kooperationsarbeit in der Ukraine!

  • Die Kinder sollen im Schutzhaus spielen können und sich in der Gemeinschaft aufgehoben fühlen. © Misto Dobra
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