• 17.10.2022

Der Muezzinruf hebelt das Gleichheitsgebot aus - Brief an die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker

Sehr geehrte Frau Oberbügermeisterin Reker,

wir sind schockiert, dass am Freitag, 14.10.2022, der Muezzinruf in Köln zum ersten Mal zu hören sein soll. Wir möchten Sie auf unseren offenen Brief vom 09.11.2021 und unsere erneute Antwort vom 02.02.2022 hinweisen. Ausführlich haben wir Ihnen unsere Bedenken mitgeteilt und auf die nicht zu unterschätzenden Gefahren hingewiesen.

Als Frauenrechtsorganisation, die sich seit über 40 Jahren für den Schutz von Mädchen und Frauen vor patriarchalen Traditionen einsetzt, bedauern wir zutiefst, dass Sie nicht auf unsere Bedenken bezüglich der Gefahr für die Re-Traumatisierung von Geflüchteten und die Auswirkungen auf die Gleichberechtigung von Frauen und Männern eingegangen sind.

Insbesondere in Zeiten wo Mädchen und Frauen im Iran auf der Straße ihr Leben riskieren, für ihre selbstbestimmte und gleichberechtigte Freiheit und gegen das frauen- und menschenfeindliche islamische Regime kämpfen, soll in Köln der erste Muezzinruf zu hören sein?

Das iranische Unrechtsregime foltert, misshandelt, vergewaltigt und tötet all jene, die es wagen für Frauen- und Menschenrechte zu demonstrieren. Es geht erbarmungslos gegen alle vor, die sich für Demokratie einsetzen, in der Frauen- und Minderheitenrechte geachtet werden und in der Pluralität, Ko-Existenz und auch negative Religionsfreiheit möglich ist.

Der Muezzinruf ist kein harmloser Gebetsaufruf und kann auch nicht mit dem non-verbalen christlichen Glockengeläut gleichgesetzt werden. Im Gegenteil, er hebelt das Gleichheitsgebot von Männern und Frauen aus, denn zum Gebet werden lediglich die Männer gerufen. Auch betont der Muezzin mehrmals im Ruf, dass das Göttliche über dem Irdischen steht und es keine weitere Gottheit außer Allah gibt.

Versetzen Sie sich in die Lage von Schutzsuchenden in Ihrer Stadt, die vor Unterdrückung und Verfolgung geflohen sind und auch in ihrer neuen Heimat mit dem Gebetsruf konfrontiert sind.

Bedenken Sie bitte welche politische Tragweite der Gebetsruf auf die allgemeine Bevölkerung hat. Die Pandemie, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, auch mit Einsatz islamistischer, tschetschenischer Soldaten von Kadyrow, die Inflation und sehr hohe Energiepreise führen zu Unsicherheit und Zukunftsängsten in der Allgemeinbevölkerung. Umso wichtiger in diesen Zeiten ist es an unsere gemeinsamen demokratischen Grundwerte und Gemeinsamkeiten sowie unseren zivilgesellschaftlichen Zusammenhalt zu appellieren. Trennende Elemente wie der Muezzinruf sind in diesen Zeiten besonders gefährlich und spalterisch. 

Wir bitten Sie eindrücklich, den Muezzinruf in Köln nicht stattfinden zu lassen und das Gespräch mit säkularen MuslimInnen, AlevitInnen, JesidInnen, IranerInnen und weiteren Minderheiten zu suchen, denn gerade für Frauen und Mädchen kann der Muezzinruf kein harmloser Gebetsruf sein, sondern ein Zugeständnis an ihre Unterdrücker.

Wir freuen uns auf Ihre Rückmeldung und stehen Ihnen für Rückfragen gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Christa Stolle
Bundesgeschäftsführerin TERRE DES FEMMES

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