• 01.02.2024

Projektupdate aus Indien: Zweites Halbjahr 2023

Gemeinsam Lösungen finden: die Beraterin von BHUMIKA in einer Gruppensitzung © BHUMIKA

Häusliche Gewalt ist in Indien das am häufigsten gemeldete Gewaltverbrechen gegen Frauen. Besonders besorgniserregend ist, dass eine Vergewaltigung in der Ehe noch immer nicht als Straftatbestand gilt (auch in Deutschland war das übrigens noch bis 1997 der Fall). Indien ist somit eines der wenigen Länder weltweit, das trotz der Unterzeichnung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und der UN-Frauenrechtskonvention CEDAW (Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination Against Women) eheliche Vergewaltigung explizit nicht unter Strafe stellt. Unter Druck von individuellen Klägerinnen und NGOs kam es im Mai 2022 endlich zu einem Gerichtsverfahren in Delhi, auf das im Jahr 2023 eine Grundsatzentscheidung des Obersten Gerichtshofs von Indien folgen sollte. Diese Entscheidung ist bis heute nicht erfolgt. Trotz der rechtlichen Auseinandersetzung und obwohl zahlreiche Frauen in Indien schon seit Jahren dafür kämpfen, das Gesetz zu ändern, gibt es somit noch immer kein Verbot der Vergewaltigung in der Ehe. 

Hilfe und Schutz bekommen gewaltbetroffene Frauen von der TDF-Partnerorganisation BHUMIKA Women's Collective. Seit 2017 unterstützt TDF ein von BHUMIKA betriebenes Beratungszentrum für Frauen in der Polizeistation in Karimnagar. Das Zentrum wurde mit dem Hauptziel ins Leben gerufen, einen sicheren Raum für gewaltbetroffene Frauen bereitzustellen, in dem sie ihre Probleme mitteilen und Beratungsdienste sowie Unterstützung beim Zugang zu Hilfeleistungen in Anspruch nehmen können. 
Im zweiten Halbjahr 2023 fanden insgesamt 250 Frauen dringend benötigte Unterstützung im Beratungszentrum, darunter 175 neu registrierte Frauen und 75 bereits laufende Fälle. Die erstmalig Hilfesuchenden wurden hauptsächlich von der Polizei überwiesen oder fanden ihren Weg ins Zentrum durch andere Betroffene, FreundInnen, das Sakhi One Stop Centre oder auch die BHUMIKA Hilfehotline. 

Hintergrund der Gewalterfahrungen 
Die Hauptgründe, warum sich hilfesuchende Frauen im letzten Halbjahr an das Beratungszentrum wandten, waren physische, emotionale, wirtschaftliche und sexualisierte Misshandlungen durch den Ehemann. Die von den Frauen benannten Wurzeln der eskalierenden Gewalt reichten von höheren Mitgiftforderungen, Bigamie (Doppelehe) und außerehelichen Affären bis zu Handysucht, wirtschaftlichen Schwierigkeiten und Alkoholkonsum. Diese Probleme führten zu Konflikten in der Ehe und wirkten sich auch häufig negativ auf die Kinder des Paares aus. In einigen Fällen ging die Gewalt auch von den Schwiegereltern oder anderen Verwandten des Ehepartners aus.  

Psychologische Betreuung durch BHUMIKA 
Die BHUMIKA-Beraterin Ms. Swaroopa versucht, das Selbstbewusstsein der Frauen zu stärken und hilft ihnen dabei, das Erlebte zu verarbeiten und informierte Entscheidungen über ihr weiteres Vorgehen zu treffen. Von Juli bis Dezember 2023 wurden insgesamt 235 Einzelsitzungen mit gewaltbetroffenen Frauen, 216 Einzelsitzungen mit den Ehepartnern und 238 gemeinsame Paarberatungssitzungen mit sowohl der Betroffenen als auch ihrem Ehemann durchgeführt. Zusätzlich fanden 365 Gruppensitzungen mit den Familienmitgliedern beider Parteien statt.  

Das Ziel der Beratung ist es, Gewalt gegen Frauen zu beenden und das Wohlbefinden der Frauen und ihrer Familien zu verbessern. Nach den Beratungssitzungen waren in vielen Fällen deutliche Verbesserungen im Verhalten der Ehepartner und der Situation der Frauen erkennbar. Auch nach der Beratung bleibt BHUMIKA weiterhin telefonisch mit den Frauen in Kontakt, um sich nach ihrer Situation zu erkundigen und die Nachhaltigkeit der Veränderungen festzustellen. In besonders schwierigen Fällen werden zudem Hausbesuche durchgeführt, dies war im letzten Halbjahr bei sieben Familien der Fall. 
Tritt jedoch nach einer Reihe von Gesprächen keine Besserung ein, so wird entsprechend den Wünschen und Entscheidungen der Klientinnen überlegt, wie weiter vorzugehen ist. Einige Frauen entschieden sich für ein eigenständiges Leben ohne Gewalt und wurden von BHUMIKA bei der Einleitung rechtlicher Schritte für eine Trennung unterstützt. Andere Frauen wurden mit weiterführenden Unterstützungssystemen vernetzt, darunter Alkoholentzugskliniken, die Polizei oder die Justiz.  
Eine der Frauen, die bei BHUMIKA Hilfe suchten, ist Ms. Daya*, eine 27-jährige Frau, die nach wiederholter Gewalt durch ihren Ehemann mit ihrem vierjährigen Sohn vor die Tür gesetzt und mittellos zurückgelassen wurde. BHUMIKA führte mehrere Beratungssitzungen mit ihr durch. Durch diese emotionale Unterstützung verbesserte sich das psychologische Wohlbefinden von Ms. Daya* erheblich, und ihr Selbstvertrauen wurde gestärkt. Die Beraterin bleibt weiterhin im engen Kontakt mit ihr und steht ihr auch bei einem möglichen Gerichtsverfahren zur Seite. Durch die Hilfe von BHUMIKA fühlt sich Ms. Daya stark genug, um den Herausforderungen entgegenzutreten und für sich und ihren Sohn ein neues Leben aufzubauen.  

Herausforderungen 
Die Beraterin Ms. Swaroopa erklärt, dass besonders Fälle, in denen der Ehepartner alkoholabhängig ist, zusätzliche Herausforderungen für das Zentrum darstellen. Auch Fälle physischer Gewalt, in denen die Täter besonders aggressiv sind, stellen die Beraterin vor große Schwierigkeiten und erfordern viel Zeit und Fingerspitzengefühl, um die Beteiligten überhaupt empfänglich für den weiteren Beratungsprozess zu machen. Hier benötigt BHUMIKA eine höhere Anzahl von Beratungssitzungen. Frau Swaroopa hat aber jetzt schon sehr viel zu tun und kommt der hohen Nachfrage kaum nach. 

Bitte um Unterstützung 
Zahlreiche Frauen und Mädchen sehen sich täglich mit Gewalt konfrontiert und sind auf die Hilfe von BHUMIKA angewiesen, um dem Zyklus der Gewalt zu entkommen. Der Bedarf ist riesig – deshalb braucht BHUMIKA Ihre Unterstützung! Um den steigenden Bedarf am Beratungszentrum zu decken und Ms. Swaroopa zu entlasten, wäre dringend die Einstellung einer weiteren Beraterin erforderlich. Außerdem möchte BHUMIKA besonders arme Klientinnen mit Arbeitsmaterialien wie etwa Nähmaschinen ausstatten, um sie aus der finanziellen Abhängigkeit von Ehemann und Schwiegerfamilie zu lösen. Unterstützen Sie diese Vorhaben mit einer Spende – jeder Beitrag zählt und trägt dazu bei, indische Frauen und Mädchen vor Gewalt zu schützen!  

*Name geändert 

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