• 15.08.2022

„Das, was ich selbst lerne, immer auch an andere weitergeben“

Aus der Reihe: Gespräche mit Teilnehmerinnen am Kooperationsprojekt MIRIAM in Nicaragua


Bei der TDF-Partnerorganisation Asociación Proyecto MIRIAM in Nicaragua können sich gewaltbetroffene Frauen nicht nur umfassend beraten lassen, sondern auch ihre Grundschulbildung nachholen, eine von vier zertifizierten Berufsausbildungen absolvieren und sich seit kurzem mit (ebenfalls zertifizierten) Aufbau-Kursen in den Bereichen Computer-Anwendungen, Schneiderei/Modedesign und Unternehmenskultur/unternehmerischer Erfolg noch weiter qualifizieren. Birgitta Hahn vom Referat für Internationale Zusammenarbeit sprach bei ihrem Nicaragua-Besuch im September 2022 mit Meylin Sorayda González-Cruz, 31 Jahre, Teilnehmerin am Aufbau-Kurs Computer-Anwendungen.

Wie und wann bist du zu MIRIAM gekommen? 

Ich kenne die Organisation, seit ich 14 Jahre alt bin, denn ich habe in der MIRIAM-Schule meinen Grundschulabschluss nachgeholt. Parallel habe ich an Berufsbildungen zur Kosmetikerin und Haarstylistin und später zur Kunsthandwerkerin teilgenommen. Besonders wichtig war für mich damals, dass wir an den Sonntagen nach den Kursen immer ein warmes Mittagessen bekamen. Außerdem habe ich mich in einem Umweltprojekt von MIRIAM engagiert, Müll eingesammelt, Pflanzensamen eingesetzt und verteilt, und die Bevölkerung für Umwelt- und Ressourcenschutz sensibilisiert. Zuletzt habe ich noch die PC-Berufsbildung bei MIRIAM durchlaufen und vor zwei Monaten auch erfolgreich abgeschlossen. Parallel konnte ich Workshops zum Thema Unternehmensgründung und -management besuchen. Dort haben wir u.a. einen Business-Plan entwickelt, grundlegende Buchhaltung kennengelernt und uns mit kooperativem Wirtschaften auseinandergesetzt. Es ging aber nicht nur darum, sich theoretisch vorzubereiten. Wir haben den Business-Plan auch verschriftlicht.

Wie würdest du den Aufbaukurs bewerten, an dem zu teilnimmst ? 

Seit 1,5 Monaten nehme ich nun am Aufbau-Kurs Computer-Anwendungen teil. Ich studiere mittlerweile Sozialwissenschaften, da brauche ich ständig den Computer und muss gerade mit Excel souverän umgehen können.

Wir Teilnehmerinnen sind mit unterschiedlichen Vorkenntnissen in diesen Kurs eingestiegen. Auch sind wir nicht alle im gleichen Alter oder gleichermaßen mit Technik und speziell Computern vertraut. Ich übe Wissen, das ich mir neu aneigne, z.B. immer zu Hause ein, um es zu vertiefen und sicherzugehen, dass ich auch Alles richtig verstanden habe. Das machen aber nicht alle meiner Mitstreiterinnen.

Über unsere Ausbilderin kann ich nur Gutes sagen. Sie macht das methodisch wirklich toll und holt jede Teilnehmerin dort ab, wo diese steht. Sie lässt uns auch alle Aufgaben selbst bewältigen und theoretisches Wissen eigenständig praktisch anwenden. Sie erklärt es zunächst, dann sind aber wir dran. Das finde ich sehr gut und sinnvoll. Außerdem ist unsere Ausbilderin sehr dynamisch, strukturiert und bringt uns neue Inhalte quasi im Gespräch bei.

Schwerpunkt des Kurses ist die Arbeit mit fortgeschrittenen Excel-Tabellen. Wir lernen komplexere Formeln kennen und anwenden. Der Kurs dauert drei Monate und geht immer von 13 – 17 Uhr. Das mag erst einmal wenig klingen, aber in diesem Zeitfenster lernen wir den Umgang mit bis zu vier verschiedenen Formeln. Da wird schon eine große Bandbreite abgedeckt. Für den Kurs zahlen wir einen Eigenbeitrag von 200 Córdobas (ca. 5,10 Euro). Da ich die PC-Berufsbildung bereits vollständig durchlaufen und ein Abschlusszertifikat erhalten habe, musste ich aber keine Einschreibungsgebühr für den Aufbau-Kurs zahlen. Das INATEC-Zertifikat nach Abschluss des Aufbau-Kurses kostet mich allerdings 150 Córdobas (ca. 3,80 EUR).

Welche Grundlagen habt ihr in der Berufbildung Computer-Anwendung gelernt ?

Da ging es um die Grundlagen der Programme Word und Excel, aber auch um leichte Grafikprogramme. Wir haben zudem Videos, Galerien, Animationen und Zeichnungen erstellt. Außerdem haben wir uns mit unserer digitalen Signatur auseinandergesetzt.

Welche weiteren Kursinhalte würdest du dir für den Aufbau-Kurs wünschen ? 

Besonders relevant für mich wäre fortgeschrittenes Word, da ich in meinem Studium viel Textarbeit produziere. Bei den frauenrechtlichen Reflexionen würde mich interessieren, wie wir Frauen als Mütter und Ehefrauen mit unseren Kindern und Ehemännern bestmöglich umgehen können. Es gibt immer noch so viel Gewalt gegen Kinder und nicht alle Mütter wissen, wie sie ihre Kinder gut erziehen können.

Hast du auch an den frauenrechtlichen Workshops teilgenommen? 

Ja, in den Berufsbildungs- und Aufbau-Kursen gibt es immer einen Reflexionspart vor der Vermittlung des technischen Wissens. Dabei geht es z.B. um Aufklärung über geschlechtsspezifische Diskriminierung und Misogynie, das Gesetz 779 zum Schutz von Frauen vor Gewalt, das Führen von Beziehungen, die Rechte von Ehefrauen etc. Seit ich die Angebote von MIRIAM nutze, erkenne ich geschlechtsspezifische Gewalt überhaupt erst. Gerade auch subtile Formen von Gewalt, wie z.B. Alltagssexismus. Wenn mein Mann und ich etwa unterwegs sind und wir sehen ein Auto langsam und umständlich einparken und mein Mann lässt einen Spruch los, dass da ja nur eine Frau hinter dem Steuer sitzen könne, weise ich ihn darauf hin, dass das sexistisch ist. Gewalt äußert sich oft passiv bzw. durch die Übernahme oder Verfestigung solcher Bilder. MIRIAM setzt sich auch sehr dafür ein, dass Frauen unabhängig werden, für die Gleichberechtigung von Frau und Mann und eine feministische Unternehmenskultur und Wirtschaftsweise.

Was, würdest du sagen, hast du bei MIRIAM vor allem gelernt? 

Das, was ich selbst lerne, immer auch an andere weiterzugeben.

Was sind deine Pläne für die Zukunft ?

Erst einmal will ich meine Computerkenntnisse weiter ausbauen. Das ist für mein Studium und später für jedwede Arbeitsstelle wichtig. Besonderes Interesse habe ich außerdem an der Lehre, also an Methodik und Didaktik. Lehrstrategien für SchülerInnen der Sekundarstufe und Universitätsstudierende sind mein Steckenpferd. Dieses Jahr schließe ich mein Universitätsstudium ab. Das Know-how aus der Berufsbildung zur Kosmetikerin und Haarstylistin möchte ich für den Aufbau eines eigenen Unternehmens neben meiner eigentlichen Arbeit nutzen. Mit dem Aufbau begonnen habe ich aber noch nicht. Auch Musik ist ein wichtiger Teil meines Lebens – ich lerne z.B. gerade Klavier spielen. Und das, was ich in den frauenrechtlichen Reflexionen und Workshops bei MIRIAM gelernt habe, kann ich einsetzen, um allen möglichen Menschen zu helfen.

Könntest du dir auch vorstellen, ein Unternehmen geimeinschaftlich zu führen ? 

Ja, ich sehe da schon Vorteile – GeschäftspartnerInnen können ihre jeweiligen Stärken zusammenbringen und passend ergänzen. Ich würde aber nur mit jemandem gemeinsame Sache machen wollen, die oder den ich gut kenne. Man muss seine oder seinen GeschäftspartnerIn einschätzen können – es muss eine Person sein, die Verantwortung übernehmen kann und Qualitäten besitzt, die für ein Business vorteilhaft sind. Auch sollten Beide in der Lage sein, Startkapital einzubringen.

Was wünscht du dir für die Frauen, die du bei MIRIAM kennengelernt hast, oder für die Frauen in Nicuragua allgemein? 

Ich wünsche mir vor allem, dass sie sich ihre Träume erfüllen! Die Grundlage für Eigenständigkeit ist, dass die Frauen lernen, sich Wissen anzueignen und es anzuwenden, und dass sie inspiriert werden. Ich wünsche mir noch viel mehr Erfolgsgeschichten wie die einer Kursteilnehmerin von MIRIAM, die anfänglich gar Nichts hatte, also ganz von Null anfangen musste, und jetzt erfolgreich eine Bäckerei betreibt. Solche Geschichten inspirieren! Die Frauen können das schaffen, oft mangelt es ihnen aber an Selbstwertgefühl. Sie müssen sich jeden Tag aufs Neue überwinden, aber irgendwann schaffen sie es.

Vielen Dank für das Gespräch!

  • Lehrkraft Katia Mendoza im Aufbau-Kurs Computer-Anwendungen @TDF
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