• 16.10.2021

AktivistInnen riskieren ihr Leben für die Frauenrechte in der islamischen Republik Iran

Die politische Gefangene Nahid Taghavi © Mariam Claren

Am 16. Oktober 2020, wurde Nahid Taghavi, deutsche Staatsbürgerin und gebürtige Iranerin, inhaftiert. Aufgrund ihrer Ablehnung des herrschenden patriarchischen Systems und ihres Engagements für die Gleichberechtigung von Mädchen und Frauen wird die deutsch-iranische Doppelstaaterin im berüchtigten Evin-Gefängnis der islamischen Republik Iran als politische Gefangene festgehalten. Das Evin-Gefängnis ist seit Jahren bekannt für unmenschliche Haftbedingungen und die Unterbringung von politischen Gefangenen. Erst vor kurzem gab es ein Leak von Videomaterialen aus dem Gefängnis, die die menschenunwürdigen Haftbedingungen, welche AktivistInnen immer wieder betonen, belegen. Der UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte im Iran, Javaid Rehman, hat das Evin-Gefängnis wiederholt als Ort der Misshandlung von Gefangenen beschrieben[1].

Nach ihrer Festnahme, mehr als 1.000 Stunden Verhör und 194 Tagen in Isolationshaft wurde Nahid Taghavi in einem Scheinprozess zu zehn Jahren Haft verurteilt. Die Vorwürfe gegen sie waren, die vermeintliche Mitgliedschaft in einer illegalen Gruppe und zu (weiteren) acht Monaten Haft wegen Propaganda gegen das Regime. Beide Anklagepunkte wurden von Nahid Taghavi zurückgewiesen. Ein ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren wurde ihr verweigert und der Zugang zu ihrem Rechtsbeistand, der ebenfalls inhaftiert wurde, erfolgte unter erschwerten Bedingungen. In Haft wird ihr, trotz gesundheitlicher Probleme, eine angemessene medizinische Versorgung verweigert. Darüber hinaus leidet Nahid Taghavi an Typ-2-Diabetis und Bluthochdruck und ist während der Haft an Covid-19 erkrankt. Zudem ist eine Rückenoperation medizinisch notwendig.

Nahid Taghavi ist nicht die einzige politische Gefangene des iranischen Regimes, welche sich für Menschen- und Frauenrechte engagiert. Insbesondere DoppelstaaterInnen werden als politisches Druckmittel genutzt, um andere Staaten zu erpressen. Aber auch gegen engagierte BürgerInnen und AktivistInnen geht die islamischen Republik Iran systematisch mit physischer und psychischer Gewalt vor. Deshalb fordert TERRE DES FEMMES die Freilassung von Nahid Taghavi und den anderen politisch inhaftierten Frauen.

Zum Interview mit Mariam Claren, Tochter von Nahid Taghavi und Initiatorin der Kampagne #FreeNahid hier klicken.

 

Frauenrechte in der islamischen Republik Iran

Seit der islamischen Revolution 1979 wurden die emanzipatorischen Errungenschaften der Frauen weitgehend zunichte gemacht und durch ein islamisch geprägtes Frauenbild ersetzt. Das islamische Rechtssystem der Scharia wird angewendet, welches von der Herrschaft islamischer Geistlicher geprägt ist. Seit 40 Jahren existiert eine Apartheid der Geschlechter, welche eine strikte Trennung dieser im öffentlichen Leben vorsieht. Auch 2020 gingen die Bürgerwehren sowie die Sittenpolizei massiv gegen Mädchen und Frauen vor, welche sich gegen den gesetzlich vorgeschriebenen Kopftuchzwang wehrten. Die täglichen Repressionen und Schikanen, die gewaltsamen Angriffe auf Zivilistinnen bis hin zur Inhaftierung von FrauenrechtlerInnen (siehe Yasaman Aryani) gehören neben den entwürdigenden und diskriminierenden Praktiken wie dem Schleierzwang zum Alltag der Frauen dazu[2].

Des Weiteren werden iranische Mädchen und Frauen systematisch unterdrückt, indem ihre Rechte eingeschränkt werden und sie z.B. vor der Justiz nicht die gleichen Rechte wie Männer haben. So ist auch das Recht auf Scheidung und Polygamie nur dem männlichen Teil der Gesellschaft vorbehalten. Das „Exklusiv-Grundrecht“ für Frauen (Artikel 21 der iranische Verfassung) gewährleistet „Frauenrechte“ nur im Rahmen des tradierten Verfassungsbildes, welches lediglich auf die Rolle als Mutter und Ehefrau aufbaut.[3]

Die Diskriminierung der Frauen in der islamischen Republik Iran ist vielfältig und umfasst zahlreiche Verbote und Gebote für Frauen. Diese verhindern eine gleichwertige, gesellschaftliche Teilhabe, insbesondere in den Bereichen Sport, Musik und Bildung. In ländlichen Regionen ist die Frauenrechtssituation sogar eine noch schlechtere als im städtischen Raum.

Die Zeitehe – eine religiös-legimitierte Prostitution

Neben der „normalen Ehe“ gibt es im Iran als weltweit einziges Land die Zeitehe oder sogenannte „Genussehe“ (auf Persisch „Sighe“, auf Arabisch „Mut’a“). In der islamischen Republik Iran ist Geschlechtsverkehr außerhalb der Ehe gesetzlich verboten und kann mit Peitschenhieben bestraft werden. Die Zeitehe ist somit eine legale Möglichkeit, Geschlechtsverkehr außerhalb der „normalen Ehe“ zu haben. Zwischen 30 Minuten und 99 Jahren kann diese zeitlich begrenzte Ehe dauern. Das definierte Ziel ist ausschließlich das sexuelle Vergnügen der Männer, denn nur sie können eine oder mehrere begrenzte Ehen eingehen, auch wenn sie bereits verheiratet sind. Für Männer ist die Zeitehe ein Instrument zur Unterdrückung, Misshandlung und sexuellen Ausbeutung von Frauen, welche aufgrund finanzieller Not oder Druck sich genötigt sehen, eine Zeitehe einzugehen. Auch Gefangene werden mit Gefängniswächtern zwangsverheiratet, damit Gefangene sexuell missbraucht werden können, ohne dass die Täter Konsequenzen zu befürchten haben[4].

Die Zeitehe ist ohne ZeugInnen, Imame, männlichen Vormund und Richter (in der islamischen Republik Iran haben Richterinnen ein Arbeitsverbot[5]) durch einen rein mündlichen Vertragsschluss möglich[6].

In den letzten Jahrzehnten hat dieses Phänomen insbesondere in Pilgerstädten, wie Oom oder Mashhad, zugenommen. Dort gibt es die Möglichkeit für iranische, aber auch afghanische und irakische Männer Frauen nach äußeren Kriterien (Haarfarbe, Größe, Alter etc.) über Telegram-Kanäle zu „buchen“. Zeitgleich gibt es seit den 1980er Jahren einen Wandel des traditionellen Gebrauchs der Zeitehe, beispielsweise nutzen junge Paare die Zeitehe, um zusammen leben zu dürfen oder auch gemeinsam Urlaub zu machen[7].

Frühehen mit Kindern erlaubt

Seit einer Gesetzesänderung im Jahr 1981 sind Mädchen ab 9 Jahren volljährig und Jungen ab 15 Jahren[8]. Abgesehen von Zeitehen mit Kindern sind Frühehen mit Mädchen unter 13 Jahren erlaubt, wenn der männliche Vormund des Mädchens vorab eine Erlaubnis bei Gericht einholt[9]. Die weiblichen Familienmitglieder haben kein Mitspracherecht in diesem Vermählungsprozess. Seit 2016 waren über 11 Prozent aller verheirateten Frauen im Iran zwischen 10 - 19 Jahren alt, davon 6 Prozent unter 15 Jahren. In ländlichen Regionen ist sogar jedes fünfte Mädchen im Alter von 10 - 19 Jahren bereits verheiratet, insbesondere in wirtschaftlich strukturschwachen Regionen[10]. Die Folgen von Frühehen sind für die Mädchen erschreckend, denn es bedeutet das frühzeitige Ende der Schulbildung sowie ein höheres Risiko Opfer von häuslicher Gewalt und sexuellem Missbrauch zu werden. Auch „Kinderschwangerschaften“ führen häufiger zu Komplikationen während der Schwangerschaft oder Geburt[11].

Die Lage von Mädchen und Frauen in der islamischen Republik Iran ist verheerend und deshalb fordert TERRE DES FEMMES e.V. ein Ende der Gewalt und der Repression gegenüber Mädchen und Frauen sowie die sofortige bedingungslose Freilassung von Nahid Taghavi und allen weiteren politisch inhaftierten Aktivistinnen in der islamischen Republik Iran!

Wir rufen alle Menschen, Frauenorganisationen, Netzwerke und FeministInnen in der ganzen Welt auf, ihre Solidarität mit der iranischen Frauen- und Bürgerrechtsbewegung und ihren AktivistInnen zu zeigen!

Unterstützt Nahid Taghavi: www.change.org/free_nahid

 

Quellen und weiterführende Informationen:

Frauenrechte in der islamischen Republik Iran:

Nahid Taghavi:

Politischen Gefangenen in der islamischen Republik Iran:

 

[1] https://www.dw.com/de/schikanierung-politischer-gefangener-im-iran/a-56975912

[2] https://www.amnesty.ch/de/ueber-amnesty/publikationen/amnesty-report/jahre/2020/laenderbericht-iran

[3] https://www.bpb.de/apuz/31568/frauenrechte-in-iran?p=2

[4] https://www.igfm.de/zeitehe/

[5] https://www.igfm.de/interview-mit-dr-shirin-ebadi-ueber-menschenrechte-im-iran/

[6] https://www.igfm.de/zeitehe/

[7] https://www.igfm.de/zeitehe/

[8] https://www.igfm.de/zeitehe/

[9] https://www.amnesty.ch/de/ueber-amnesty/publikationen/amnesty-report/jahre/2020/laenderbericht-iran#rechte-von-frauen-und-m-dchen

[10] https://www.igfm.de/iran-frauenrechte-kinderehe/

[11] ebd.

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