04.07.2007: Brief von TERRE DES FEMMES an die Abgordneten des Europaparlaments

Dringend: Frauenmorde in Mexiko und Zentralamerika, Behandlung im Ausschuss Rechte der Frau und Gleichstellung der Geschlechter, Europäisches Parlament

Sehr geehrte Abgeordnete,

TERRE DES FEMMES, gemeinnütziger Verein aus Deutschland, der sich für die Menschenrechte von Frauen und Mädchen einsetzt, verfolgt mit großer Besorgnis seit Jahren die unaufgeklärten, ungesühnten Frauenmorde in Ciudad Juárez, Mexiko. Ebenso verfolgen wir die seit Jahren andauernden Versuche der internationalen Gemeinschaft, die Aufklärung und Verfolgung dieser Verbrechen und die Achtung der Menschenrechte der Frauen in Chihuahua einzuklagen.

Gerade darin scheint uns die Dringlichkeit von Initiativen im Europäischen Parlament, wie vom Berichterstatter Raul Romeva im Ausschuss FEMM am 25. Juni 2007 vorgelegt, zu liegen. Wir möchten den "Bericht über Frauenmorde in Mittelamerika und in Mexiko und die Rolle der EU bei der Bekämpfung diese Phänomens" (2007/2025(INI)) in seiner Gesamtheit unterstützen und stimmen den Forderungen in diesem Bericht zu (s.u. zitiert: die uns zentral erscheinenden Passagen aus dem Bericht).

Seit 1993 sind  viele Hunderte von Frauen in Ciudad Juárez und der Umgebung verschwunden. In über 400 Fällen ist ihre Ermordung erwiesen, nachdem sie grausamst gefoltert, sexuell missbraucht und verstümmelt wurden. Die Opfer sind meist junge Frauen aus bescheidenen Verhältnissen, die in den Montagefabriken - Maquiladoras - im Norden Mexikos arbeiten. Trotz der hohen Anzahl von Opfern und der besonderen Grausamkeit der Verbrechen wurden die Täter unzureichend verfolgt, Beweismittel unterschlagen und verfälscht, und sogar Inhaftierte gefoltert, um falsche Selbstbeschuldigungen des Mordes zu erpressen.

Diese unakzeptable Situation ist seit einigen Jahren verstärkt in der Öffentlichkeit dargestellt worden. An keinem anderen Ort sind so zahlreiche internationale Institutionen von Rang und Namen seit über zehn Jahren aktiv: verschiedene UN-Kommissionen, die Interamerikanische Menschenrechtskommission und der Interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof, amnesty international und viele mehr haben umfassend über die Frauenmorde recherchiert und konkrete Maßnahmen zur Wahrung der Menschenrechte eingefordert. Leider hat es in keiner Weise dazu geführt, dass die schrecklichen Morde aufgehört haben.

Vor einem Jahr hatte TERRE DES FEMMES die Gelegenheit, die von der mexikanischen Zentralregierung für die Frauenmorde von Ciudad Juárez eingesetzte Sonderbeauftragte Guadalupe Morfin bei einer Anhörung im Europäischen Parlament zu hören. Guadalupe Morfin erklärte, dass ein Drittel der Morde auf das organisierte Verbrechen zurückzuführen sei, und dass von diesen Morden kein einziger aufgeklärt und niemand zur Rechenschaft gezogen worden sei, da zu mächtige Kreise im Hintergrund dagegen wirken würden. Klarer und deutlicher kann nicht ausgedrückt werden, was das wichtigste Hindernis für die Einhaltung der Menschenrechte der Frauen von Ciudad Juárez ist: die Straflosigkeit. Und wer würde die Einschätzung der kompetenten mexikanischen Sonderbeauftragten in Frage stellen wollen?

Das ist die besondere Bedeutung von Ciudad Juárez: es stellt einen Prüfstein dar - hier wird sich erweisen, ob die internationale Gemeinschaft mit vereinten Kräften fähig ist, solch menschenverachtende Gewalt gegen Frauen Einhalt zu gebieten, die auch in anderen Ländern auf dem Vormarsch ist.

Deshalb meinen wir, die Zeit für Erklärungen und Anklagen ist vorbei, es muss gehandelt werden. In diesem Sinne hat das Europäische Parlament eine enorme Verantwortung, aber auch vielseitige Handlungsmöglichkeiten (s.u. zitierte Passagen des Berichts).
Aus diesen Gründen unterstützen wir den Bericht über Frauenmorde in Mexiko und Zentralamerika in der Gänze und begrüßen insbesondere, dass der Bericht deutlich die Straflosigkeit, die zurzeit in Bezug auf die Frauenmorde in Ciudad Juárez herrscht, hervorhebt. So bitten wir Sie inständig, dieser Problematik im FEMM die größtmögliche Aufmerksamkeit und Unterstützung zukommen zu lassen, und aktiv dazu beizutragen, dass ein Bericht zu den Frauenmorden mit Handlungsperspektiven abgestimmt wird, der es hoffentlich ermöglichen wird, dass Frauen in Ciudad Juárez, Chihuahua, aber auch in anderen Ländern, ein Leben ohne Gewalt führen können.

Mit freundlichen Grüßen

Christa Stolle
Geschäftsführerin
TERRE DES FEMMES
Menschenrechte für die Frau e.V.

 

ANHANG:
Ausgewählte Extrakte des Berichts, die uns äußerst wichtig erscheinen:
- EUROPÄISCHES PARLAMENT
  Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter
- ENTWURF EINES BERICHTS über die Frauenmorde (Feminizide) in Mittelamerika und in Mexiko und
  die Rolle der Europäischen Union bei der Bekämpfung dieses Phänomens
  Berichterstatter: Raül Romeva i Rueda

Der allgemeine Hintergrund:

Straflosigkeit: Straflosigkeit ist das Ergebnis der Bestechlichkeit und Ineffizienz der Justizorgane; sie geht mit Komplizenschaft mit den Schuldigen und deren (direktem oder indirektem) Schutz einher. Sie liefert Anreize zu weiteren Verbrechen, das lässt ein Klima der kollektiven Unsicherheit entstehen. Die speziell gegen Frauen begangenen Verbrechen gehen gewöhnlich häufiger straffrei aus als andere Straftaten. Darauf wurde vom UNO-Generalsekretär in der anlässlich der Feier zum 8. März 2007 aufgelegten Kampagne zur Abschaffung der Gewalt gegen Frauen hingewiesen.
Schwächen in der jeweiligen nationalen Gesetzgebung und bei der Ratifizierung internationaler Dokumente: In Mexiko und Mittelamerika gibt es Gesetze und nationale Pläne zur Verhinderung und Ausmerzung der Gewalt gegen Frauen, den Kampf gegen Frauenmorde eingeschlossen, doch werden die meisten von ihnen aus unterschiedlichen Gründen nicht wirksam umgesetzt.
Nach Auffassung des Berichterstatters zwingen der Charakter der Beziehungen zwischen der EU und Mexiko bzw. Mittelamerika und die Verpflichtung aller Beteiligten zur uneingeschränkten Achtung der Menschenrechte die Europäische Union zum Handeln
Die Abkommen zwischen den Partnern bieten eine ausreichende Handlungsgrundlage. Die (Wieder)Herstellung des Rechtsstaates, in dem der Justizapparat so umgestaltet wird, dass er ohne Korruption funktioniert und allen Bürgern und Bürgerinnen Zugang bietet, muss in der Zusammenarbeit und im Politischen Dialog für die Europäische Union an erster Stelle stehen.
Dieses Ziel muss auch wegweisend für die dritte Säule der Beziehungen sein: für den Handel, insbesondere wenn dabei Firmen mit europäischem Kapital beteiligt sind

Konkret wird der Europäischen Union vorgeschlagen:
- konkrete Verantwortlichkeiten zuzuweisen, etwa durch Einführung der Funktion eines Koordinators/einer Koordinatorin für Gleichstellungsfragen und Frauenmorde; Berichte über die Fortschritte und Probleme zu diesem Sachverhalt zu verfassen und an Kommission, Rat und Parlament zu übermitteln;
- in die Tagesordnung der verschiedenen Ebenen des politischen Dialogs, beispielsweise im Gemischten Ausschuss und im Gemeinsamen Ausschuss, zwingend das Thema Frauenmorde und Straflosigkeit aufzunehmen;
- einen ständigen Runden Tisch zu Frauenmorden einzurichten, im Falle Mexikos in Zusammenarbeit mit der OECD, speziell mit der Nationalen Kontaktstelle der OECD, die sich für die Einhaltung der Leitlinien für multinationale Unternehmen stark macht;
- bei der Verhandlung über das Assoziierungsabkommen mit Mittelamerika verdient das Thema einen herausragenden Platz;
- auch sollte es in die "inbuilt agenda" des Assoziierungsabkommens mit Mexiko aufgenommen werden, insbesondere in das damit verbundene Investitionsabkommen.