Projektupdate Indien für Juli 2021 bis Juni 2022

Mai 2022: Im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh wird ein Polizist wegen vermeintlicher Vergewaltigung einer 13-Jährigen verhaftet – nachdem sie wegen einer vorausgehenden Gruppenvergewaltigung durch vier andere Männer seine Hilfe gesucht hatte. Im selben Monat verkündet der Oberste Gerichtshof in Delhi, dass Vergewaltigung in der Ehe in Indien auch weiterhin nicht unter Strafe gestellt wird. Und im August 2022 erlebt Bilkis Bano, die im Zuge anti-muslimischer Ausschreitungen im Jahr 2002 von 11 Männern vergewaltigt wurde und die Ermordung von 14 Familienmitgliedern mitansehen musste, die vorzeitige Haftentlassung all ihrer Peiniger. Derartige Schlagzeilen sind trauriger Alltag in Indien, die Gewalt gegen Frauen ist omnipräsent. Die TERRE DES FEMMES-Partnerorganisation BHUMIKA Women’s Collective stellt sich dem entgegen, und hat auch im vergangenen Jahr wieder hunderten gewaltbetroffenen Frauen zur Seite gestanden. 

Beratung für Frauen in Not

Counseling session 2Auf Wunsch führt BHUMIKA auch Gruppenberatungen mit der Familie gewaltbetroffener Frauen durch © BHUMIKABHUMIKA arbeitet im Bundesstaat Telangana und ist auf die Unterstützung von häuslicher und sexualisierter Gewalt betroffener Mädchen und Frauen spezialisiert. Seit 2017 finanziert TERRE DES FEMMES eine von BHUMIKA betriebene Beratungsstelle in der Stadt Karimnagar, wo hilfesuchende Frauen rechtliche und psychologische Unterstützung erhalten. Von Juli 2021 bis Juni 2022 kamen insgesamt 569 Frauen in die Beratungsstelle, die körperliche, emotionale, psychologische, wirtschaftliche und sexualisierte Gewalt erlebt hatten. Sie berichteten von Alkoholismus und außerehelichen Affären der Ehepartner, Demütigungen durch die Schwiegereltern, Armut und Hilfslosigkeit. Die BeraterInnen des BHUMIKA-Teams informieren die Frauen ausführlich über ihre Rechte, stärken ihr oft kaum vorhandenes Selbstvertrauen und erklären ihnen die unterschiedlichen Unterstützungssysteme, die sie zur Überwindung ihrer Notlage in Anspruch nehmen können.

Auf Wunsch der Frauen können auch der Ehepartner oder andere Familienmitglieder zum Gespräch dazu gebeten werden. Insgesamt wurden von Juli 2021 bis Juni 2022 rund 2249 Beratungsgespräche geführt. Davon waren 579 Einzelberatungen mit den Betroffenen, 461 separate Beratungen mit dem Ehepartner, 550 Paarberatungen und 659 Familienberatungen. In vielen Fällen konnte eine Schlichtung erzielt werden, deren Nachhaltigkeit durch regelmäßige Folgebesuche in der Beratungsstelle gesichert werden soll. Wenn die Beratung allein nicht zu einer Lösung führte, vernetzte BHUMIKA die gewaltbetroffenen Frauen mit anderen Hilfesystemen: 195 Fälle wurden der Polizei übergeben, 14 Frauen fanden in Frauenschutzhäusern Zuflucht, 18 Frauen erhielten weiterführende juristische Beratung und in 27 Fällen wurde ein Alkohol-Entzugszentrum kontaktiert. 

Eine der Frauen, die sich im letzten Jahr an BHUMIKA wandten, war Ms. Anitha*. Sie kam in die Beratungsstelle, da ihr Mann alkoholabhängig und gewalttätig war, außereheliche Beziehungen führte und sich nicht um die Kinder und Familie kümmerte. In mehreren Sitzungen wurde ihr Ehemann über die fatalen Auswirkungen seines Alkoholkonsums sowohl auf seine eigene Gesundheit als auch auf Anitha und die Kinder aufgeklärt. Er stimmte einer Behandlung im Alkoholentzugszentrum zu und veränderte sein Verhalten merklich: inzwischen ist er nicht mehr gewalttätig, geht wieder zur Arbeit, übernimmt Verantwortung für die Kinder und hat aufgehört, andere Frauen zu daten. Ms. Anita ist überglücklich über den Wandel, und berichtet anderen Frauen immer wieder, wie das Beratungszentrum ihr Leben verändert hat.

Folgen der Pandemie

Introduction with the new SI69 KopieDas BHUMIKA-Team arbeitet eng mit der örtlichen Polizei zusammen © BHUMIKA Indische Mädchen und Frauen waren von den Folgen der COVID-19 Pandemie und vor allem den von der Regierung verfügten Lockdown-Maßnahmen besonders schlimm betroffen. Die ohnehin grassierende häusliche Gewalt stieg noch an, der Zugang zur sexueller und reproduktiver Gesundheitsversorgung wurde weiter erschwert und der Anteil von Frauen in extremer Armut nahm zu. Viele Menschen wurden an den Rand der Existenz gedrängt. Um dem entgegenzuwirken, verteilte BHUMIKA im Juni und Juli 2021 mit finanzieller Hilfe von TERRE DES FEMMES Grundnahrungsmittel und Hygieneprodukte an rund 100 Haushalte in besonders prekärer Versorgungslage. Vier Klientinnen der Beratungsstelle, die durch die Auswirkungen der COVID-Pandemie ihre Existenzgrundlage verloren hatten, wurden darüber hinaus im Oktober 2021 mit Hilfspaketen unterstützt.

Das Team des BHUMIKA Women’s Collective kämpft unermüdlich dafür, hilfesuchende indische Frauen aus Not und Gewalt zu befreien. TERRE DES FEMMES wird sie weiterhin dabei unterstützen – helfen auch Sie jetzt mit einer Spende mit!

*Name geändert

09/2022