Mädchen dürfen die Schule nur noch bis zur 6. Klasse besuchen – getrennt von Jungen. © PixabayAls Frau oder Mädchen in Afghanistan zu leben war schon in der Vergangenheit herausfordernd. Als die Taliban im August 2021 erneut an die Macht kamen, bedeutete dies für die weibliche Bevölkerung jedoch das Aus für jedwede Hoffnung auf eine Zukunft nach eigenen Vorstellungen. Wie geht es den Frauen und Mädchen in Afghanistan nun ein Jahr später? TDF hat dazu mit der aktuellen Leiterin des Frauenbildungszentrums Neswan im westafghanischen Herat ein Interview geführt.
TDF: Was sind die größten Veränderungen für afghanische Frauen und Mädchen seit der Machtübernahme durch die Taliban vor einem Jahr?
Leiterin Neswan: Meiner Meinung nach ist die wichtigste Veränderung die Hoffnungslosigkeit, die afghanische Frauen angesichts ihrer Zukunft empfinden. Im vergangenen Jahr haben die Taliban gezeigt, dass sich ihre Haltung in Bezug auf Frauen und Mädchen nicht geändert hat und Mädchen und Frauen keine Rechte haben. Sie verhindern die Bildung von Mädchen und Frauen dürfen nicht arbeiten und fast Nichts tun.
TDF: Als Leiterin eines Berufsbildungszentrums arbeiten Sie mit Frauen aller Altersgruppen. Wie nehmen die Frauen, die in das Zentrum kommen, Ihrer Erfahrung nach die Veränderungen für sich selbst wahr? Können Sie uns von einigen Gedanken oder Gefühlen berichten, die die Frauen mit Ihnen teilen?
Leiterin Neswan: Wie ich bereits gesagt habe, sind die Frauen extrem frustriert über ihre Zukunft, insbesondere junge Frauen und Mädchen, die das Gefühl haben, dass es für sie keine Hoffnung mehr gibt, in diesem Land zu leben. Junge Frauen machen sich auch Sorgen um die Zukunft ihrer Kinder. Die Mädchen machen sich besonders Sorgen um ihre Zukunft und glauben, dass die Taliban sich nicht ändern werden.
TDF: Wie wollen Sie und Ihr Team die Situation der afghanischen Frauen unter diesen Bedingungen verbessern?
Leiterin Neswan: Frauen sagen, dass der Tag kommen wird, an dem sie ihren Bildungsweg fortsetzen werden. Aber werden ihnen die Taliban in den nächsten Jahren erlauben, zu arbeiten? Viele waren einst finanziell unabhängig und müssen jetzt ihre Väter oder Ehemänner um Geld bitten. Die Mädchen sorgen sich um ihre persönlichen, sozialen und politischen Freiheiten. In einem ersten Schritt versuchen wir deshalb, ihnen Hoffnung für die Zukunft zu geben. Dazu bieten wir psychologische Beratungen an. Daneben führe ich als Leiterin des Zentrums immer wieder Gespräche mit den Frauen und versuche, die Hoffnung für die Zukunft in ihnen wach zu halten. Zweitens versuchen wir, sie durch das Erlernen eines Berufs wirtschaftlich unabhängig zu machen. Indem sie in das Frauenbildungszentrum kommen und an verschiedenen Kursen teilnehmen, versuchen die Mädchen, die schlechten Bedingungen sowohl physisch als auch psychisch leichter ertragen zu können.
TERRE DES FEMMES unterstützt das Frauenbildungszentrum Neswan nach einjähriger Unterbrechung aufgrund der desolaten Sicherheitslage erneut, in Kooperation mit der Deutsch-Afghanischen Initiative. Ein neues Team konnte gewonnen werden und fokussiert alle Projektanstrengungen derzeit auf psychologische Beratung, Alphabetisierung und niedrigschwellige Berufsbildung von Frauen für Frauen. Dies ist in der aktuellen politischen Lage möglich, das Team ist jedoch sensibilisiert für unterschiedliche Bedrohungsszenarien und sehr wachsam.
Stand: 08/2022