Indien: Vergewaltigung in der Ehe weiterhin kein Verbrechen

sharon-christina-rorvik-CLyL_YVsWI8-unsplash.jpgImmer noch ein Kavaliersdelikt in Indien: Vergewaltigung in der Ehe © Unsplash: Sharon Christina RørvikDer Oberste Gerichtshof der indischen Hauptstadt Delhi (Delhi High Court) stritt jüngst erneut darum, ob Vergewaltigung in der Ehe zukünftig bestraft werden soll oder nicht. Im Mai 2022 fiel schließlich das Urteil, die jetzige Rechtslage beizubehalten , nach der Vergewaltigung in der Ehe nicht strafbar ist . Bei der Anhörung ging es um die Abschaffung des umstrittenen Abschnitts 375 des Strafgesetzbuches:

„Sexual intercourse by a man with his own wife, the wife not being under fifteen years of age, is not rape.” („Der Geschlechtsverkehr eines Mannes mit seiner Ehefrau ist keine Vergewaltigung, wenn die Ehefrau nicht jünger als 15 Jahre alt ist.“ – Übersetzung der TDF-Redaktion)

Das zweiköpfige Richtergremium war sich immerhin uneinig: einer der Richter sprach sich dafür aus, die Klausel zu streichen, weil sie dem den Grundsatz der Gleichheit der Geschlechter vor dem Gesetz entgegenstehe, während der andere Richter darauf beharrte, dass ein Mann für Vergewaltigung in der Ehe nicht bestraft werden könne.

 

Auch in anderen indischen Bundesstaaten gab es bereits Urteile von Obersten Gerichtshöfen, die Vergewaltigung in der Ehe nicht unter Strafe stellten (z.B. in Chhattisgarh 2021, Kerala 2021 und Gujarat 2018).

Feministinnen und frauenrechtliche Organisationen, die sich seit langem für eine Kriminalisierung von Vergewaltigung in der Ehe einsetzen und das Thema in Delhi vor Gericht brachten, wollen die Entscheidung so nicht hinnehmen, sondern an den Obersten Bundesgerichtshof Indiens (Supreme Court of India) weitergeben. Sie übten scharfe Kritik und zeigten sich entsetzt über die nachlässige Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in Delhi.

1 von 3 verheirateten Frauen erfährt Gewalt durch den Ehepartner – alarmierende Zahlen im Bundesstaat Telangana

Erschütternd ist die anhaltende Straflosigkeit von Vergewaltigung in der Ehe auch angesichts der kürzlich veröffentlichen Ergebnisse der Haushaltsbefragung des Gesundheits- und Familienministeriums : 1 von 3 verheirateten Frauen hat demnach körperliche, sexualisierte oder emotionale Gewalt in der Ehe erfahren . Ursächlich dafür sind tiefsitzende, als soziale Norm in weiten Kreisen akzeptierte patriarchale Strukturen und geschlechtsbedingte Diskriminierung von Frauen – entsprechende Einstellungen werden, wie dies auch aus anderen Kontexten bekannt ist, von beiden Geschlechtern internalisiert und reproduziert:

In den südlichen Staaten Indiens , konkret in Tamil Nadu, Karnataka, Andhra Pradesh und Telangana gaben 80 Prozent der befragten Frauen an, dass die Gewalt ihrer Ehemänner gerechtfertigt gewesen sei, 65 Prozent suchten im Anschluss keine Hilfe. Besonders besorgniserregend ist die Lage im Bundesstaat Telangana, wo auch die TDF-Partnerorganisation BHUMIKA Women’s Collective ihren Sitz hat: Über 85 Prozent der betroffenen Frauen in Telangana rechtfertigten die häusliche Gewalt ihrer Ehemänner . Für das Ministerium stehen diese alarmierenden Zahlen im Zusammenhang mit den Angaben vieler Frauen, bereits häusliche Gewalt des eigenen Vaters gegen die Mutter miterlebt zu haben – über 30 Prozent der betroffenen Frauen waren Zeuginnen von ehelicher Gewalt im eigenen Elternhaus.

Auch außerhalb der Ehe bleibt die Strafverfolgung von Tätern schwierig

Gewalt gegen Frauen prägt aber nicht nur Ehen und Familien. Erst Anfang Juni 2022 erregte der Fall einer Gruppenvergewaltigung an einer 17-Jährigen in Hyderabad landesweites Aufsehen. Sechs Jugendliche, fünf von ihnen minderjährig, vergewaltigten nach Polizeiangaben die junge Frau am Morgen nach einer Privatparty in einem Auto. Trotz des Versuches, alle Spuren zu beseitigen, fanden ForensikerInnen genügend Beweislast am Tatort. Als schließlich Überwachungsaufnahmen auftauchten und das Verbrechen belegten, kam auch noch politische Brisanz dazu: Unter den Tätern sind auch Söhne politischer Abgeordneter und einflussreicher Familien in Hyderabad. Je nachdem, ob das Erwachsenen- oder Jugendstrafrecht Anwendung findet, wird die Bestrafung milder oder schärfer ausfallen. Werden die Täter nach Jugendstrafrecht verurteilt, beträgt das Strafmaß höchstens drei Jahre.

Maßnahmen des BHUMIKA Women’s Collective

Vor diesem Hintergrund bleibt die Arbeit der TDF- Partnerorganisation BHUMIKA Women’s Collective weiterhin elementar wichtig: Gewaltbetroffenen Frauen bietet BHUMIKA umfangreiche Beratungen und Hilfestellung bei der Anzeigenerstattung, auch können sie bei Bedarf psychologischen, medizinischen und rechtlichen Beistand in Anspruch nehmen. BHUMIKA ist auch in der Präventionsarbeit mit Aufklärungsworkshops für PolizistInnen, RichterInnen und AnwältInnen sehr aktiv und betreibt rund um die Uhr ein Hilfe-Telefon für Mädchen und Frauen in Not. Mit Ihrer Spende können Sie diese wichtige Projektarbeit von BHUMIKA unterstützen! Herzlichen Dank!

 

Stand: 06/22