TERRE DES FEMMES: Wie unterscheidet sich die Rechtslage zu Weiblicher Genitalverstümmelung (FGM) in Burkina Faso von der in Deutschland?
RAKIETA: In Deutschland steht FGM nach Paragraf 226a StGB unter Strafe. Auch wenn FGM in Burkina Faso seit 1996 gesetzlich verboten ist, werden die Grundrechte von Kindern und Frauen kaum respektiert und umgesetzt. Der Grad der Demokratie und Entwicklung in einem Land wirkt sich eben auch auf die Rechtslage aus. Zudem gibt es in Burkina Faso eine Analphabetismus-Quote von über 70 Prozent, was zu dem Tabu über FGM beiträgt. Wir können fast alles mit Aufklärung erreichen, aber Bildung ist die Grundlage.
In Deutschland ist das Problem meiner Meinung nach durch Globalisierung und Einwanderung importiert. FGM praktizierende EinwanderInnen und Geflüchtete leben relativ isoliert. Also sollte der deutsche Staat diese Bevölkerungen direkt in ihrer Muttersprache adressieren und zu dem Thema aufklären.
TERRE DES FEMMES: Thematisiert wurde bei dem Auftakt zur Veranstaltungsreihe am 9. Juli unter anderem der neue Schutzbrief gegen weibliche Genitalverstümmelung der Bundesregierung. Als wie wirksam schätzt du ihn ein?
Anmerkung: Der Schutzbrief soll gefährdete Mädchen und Frauen, die aus Deutschland in ihr Herkunftsland reisen, schützen. Strafbar machen sich laut Schutzbrief nicht nur Durchführende von FGM im Inland oder Inländer, sondern auch Durchführende und Familienangehörige im Ausland, wenn die Betroffene Deutsche ist oder sie in Deutschland ihren Wohnsitz beziehungsweise Lebensmittelpunkt hat.
RAKIETA: Der Brief ist ein großer Schritt: er wird jetzt auch in andere Sprachen übersetzt und wahrgenommen. Allerdings sollte er auch in die drei Nationalsprachen Burkina Fasos übersetzt werden (Fulfulde, Moore, Dioula). Dann könnten Organisationen wie wir ihn weiterverbreiten und als Anschauungsmaterial, also pädagogisches Material nutzen. Wenn wir zu den Menschen sagen, „Schau mal, Deutschland bestraft auch (Mit-)TäterInnen von FGM im Ausland.“, können wir sie damit beeindrucken.
TERRE DES FEMMES: Inwiefern unterscheiden sich die in der Reihe durchgeführten Informations- und Diskussionsveranstaltungen von einer Veranstaltung in Burkina Faso?
RAKIETA: In Burkina Faso findet jeden Tag Aufklärungsarbeit statt. Eine Kampagne führt eine geeignete junge Frau und ein geeigneter junger Mann aus dem Dorf selbst, die zur Animatrice bzw. zum Animateur für die Aufklärungsarbeit ausgebildet werden. Wer kann besser mit den Älteren über Themen wie Sexualität sprechen als die eigenen Kinder? Sie müssen die lokalen Sprüche und Redewendungen kennen und überzeugend sein, um von den DorfbewohnerInnen angenommen zu werden. Erst sprechen wir zu den Menschen in kleinen Gruppen a 25 Menschen, damit wir ihre Reaktionen beobachten können. Dann teilen wir sie je nach Altersgruppe und Geschlecht in Zielgruppen ein, um sie zum Schluss zusammenzuführen. Früher wollten die Frauen nicht vor den Männern sprechen und jetzt sind die Männer die ersten, die den Mund aufmachen. Das ist eine große Revolution für mich.
Jedem Land sein Mittel. In Burkina Faso zeigen wir auf unseren Veranstaltungen explizite Bilder und Videos von FGM. Das ist ein notwendiger Schock für die Familien, da die Familienangehörigen bei der Praxis nicht dabei sind. Sie kriegen also nicht mit wie die Mädchen und Frauen leiden und denken bei ihrer Rückkehr, sie seien geheilt. Jeder Mensch kennt eine Familie in der jemand an den Folgen gestorben ist oder sich mit einer Krankheit wie zum Beispiel Hepatitis angesteckt hat. Früher glaubten die Menschen noch an Hexerei. Sie beschuldigten dann eine Frau aus dem Dorf, dem Mädchen Schlechtes angetan zu haben und mieden, verfolgten oder töteten die vermeintliche „Hexe“.
TERRE DES FEMMES: Ist das Wissen über die Thematik in Burkina Faso mittlerweile verbreiteter im Vergleich zu früher?
RAKIETA: Heute wissen Menschen besser über die Folgen von FGM Bescheid. Dies belegen Zahlen und Statistiken. Die Regierung möchte bis 2030 eine Null-Toleranz gegenüber FGM erreichen – wir möchten das vorher. Leider hat das Thema für die Regierung nicht die höchste Priorität. Das Einzige was wir von ihr bekommen haben ist eine Auszeichnung. Unsere Arbeit finanzieren sie mit keinem Cent, dabei machen wir die Arbeit, die eigentlich der Staat leisten müsste. Wir sensibilisieren PolizistInnen, SoldatInnen und Geistliche in Fortbildungen zusammen mit JuristInnen.
Vergleichsweise schlecht informiert und besonders betroffen sind die BewohnerInnen der großen Townships in der Hauptstadt. Angefangen haben wir auf dem Land, aber jetzt sind wir öfter in den Townships. Dort leben viele Binnenflüchtlinge; und es gibt Probleme wie sexuelle Gewalt, Frühehen, Kriminalität, Prostitution und Drogenkonsum. Ausgebildete GynäkologInnen und KrankenpflegerInnen bieten den Frauen aus den Townships auch Operationen an, um die Folgen von FGM abzuschwächen. Eine Wiederherstellung ist allerdings unmöglich.
TERRE DES FEMMES: Welche Bedeutung haben Medien, also Podcasts oder Filme wie der Dokumentarfilm „In Search“ von Beryl Magoko, für die Arbeit gegen FGM in Burkina Faso?
RAKIETA: Medien sind sehr wichtig, um das Tabu zu brechen. Wir nutzen Musik, Theater, Radio und Filme für unsere Aufklärungsarbeit. Zu einer Theatervorführung kommen manchmal mehr als 1000 Menschen aus verschiedenen Dörfern. Die Menschen wollen ja mitreden können. Besonders wichtig ist, dass Filme in den Muttersprachen untertitelt sind. Wir bieten auch eine Online-Sendung an, bei der ZuschauerInnen Fragen stellen können. Anfangs bekamen wir vor allem Beleidigungen zu hören. Jetzt melden sich immer mehr Frauen und auch Männer, die wir im Rahmen dieses Formats beraten. Einige der betroffenen Frauen wünschen sich eine Operation, um Folgen von FGM wie Vernarbungen oder Wucherungen zu reparieren. Viele haben jedoch Angst, da meist BefürworterInnen von FGM Gerüchte streuen, dass wir die Frauen bei der Polizei anzeigen würden, weil sie beschnitten sind – auch so zeigt sich Analphabetismus. Wir kämpfen für das Ziel, dass Nichtbeschneidung zur sozialen Norm wird, gemeinsam mit TERRE DES FEMMES und vielen anderen Organisationen!
Wir laden alle LeserInnen herzlich zum Filmscreening von „In Search“ und zur anschließenden Diskussion mit Regisseurin Beryl Magoko und Rakieta Poyga am Mittwochabend, den 25.08.2021 ein ( hier der Link zur Anmeldung ).