Viren sind nicht wählerisch, wenn es darum geht, wen sie befallen, staatliche Schutz- und Hilfsmaßnahmen sollten dagegen zuerst und besonders denjenigen zugutekommen, die dringend auf sie angewiesen sind. Die Folgen von Pandemien wie der aktuellen Corona-Krise treffen ohnehin gefährdete und marginalisierte Personengruppen, darunter Frauen und Mädchen, besonders schwer. Obwohl die Verfügbarkeit medizinischer Dienste für alle eingeschränkt ist, kann dies z. B. für schwangere Frauen besonders drastische Auswirkungen haben. COVID-19, so die Hilfsorganisation CARE in ihrer neuesten Untersuchung der geschlechtsspezifischen Folgen des Ausbruchs für die Bevölkerung in Entwicklungs- und humanitären Kontexten, könnte daher gerade für Frauen und Mädchen auch nach Eindämmung der Pandemie noch jahrelang nachwirken.
Lockdown mit dem Gewalttäter auf engstem Raum
Zwei Mitarbeiterinnen von BHUMIKA bei der Falldokumentation. Foto: © Rineeha SuryadevaraNeben unzureichender Gesundheitsversorgung ist häusliche Gewalt ein weiteres Problem, das mehrheitlich Frauen und Mädchen betrifft. Häusliche Quarantäne und strenge Ausgangssperren haben nicht nur zur Folge, dass besonders Frauen und Mädchen mehr Familienmitglieder rund um die Uhr zu versorgen haben, sondern oft auch auf engstem Raum mit einem potentiell gewalttätigen Partner, Vater oder anderen Familienmitglied ausharren müssen. Da das eigene Zuhause ohnehin nicht oder kaum verlassen werden kann, fällt gar nicht weiter auf, wenn gewaltbetroffene Frauen oder Mädchen wochenlang nicht in der Öffentlichkeit zu sehen sind. Die soziale Kontrolle durch das persönliche Umfeld, wie z. B. durch NachbarInnen und ArbeitskollegInnen, fällt weg.
Während internationale und regionale Organisationen sowie zahlreiche Regierungen weltweit das Problem des rapiden Anstiegs von häuslicher Gewalt im Zuge der Corona-Krise nicht nur erkannt haben, sondern auch konkret dagegen vorgegangen sind (z. B. wurden gewaltbetroffene Frauen in Frankreich kurzfristig in leerstehenden Hotels untergebracht), ist Indien, das ohnehin traurige Berühmtheit für seine hohen Gewaltraten gegen Frauen und Mädchen erlangt hat, von derartigen Schritten weit entfernt. Gewalt geht hier, so Rakhi Ghoshal im Indian Journal of Medical Ethics, oft nicht nur von einem Beziehungspartner aus, sondern auch von anderen Mitgliedern der Mehrgenerationen-Familien, die oft auf engstem Raum zusammenleben. Indische Nothilfe-Hotlines verzeichnen seit dem Ausbruch von COVID-19 zwar rückläufige Tendenzen, dies lässt aber keineswegs den Rückschluss zu, dass es weniger Gewaltfälle gibt. Ganz im Gegenteil, viel wahrscheinlich ist, dass gewaltbetroffene Frauen stärker überwacht werden, sich nicht trauen, Anrufe zu tätigen, oder ihnen die Benutzung des Telefons schlichtweg untersagt wird.
Maßnahmen gegen häusliche Gewalt in ärmeren Ländern
Zugegeben, die finanziellen und institutionellen Kapazitäten in Ländern wie Indien mögen andere sein als die Frankreichs und anderer OECD-Mitgliedsstaaten. Trotzdem sind Schutzmaßnahmen auch mit geringem Ressourcenaufwand möglich: So könnten Chat- oder E-Mail-basierte Hilfsangebote, als Alternative zur telefonischen Beratung, eingerichtet und rund um die Uhr betreut werden; die hohe Vernetzung könnte genutzt werden, um die Bevölkerung mit offizieller Unterstützung von Gemeindevertretern und NRO unter Federführung der Regierung zu sensibilisieren.
TERRES DES FEMMES und BHUMIKA engagieren sich für gewaltbetroffene Frauen und Mädchen in Indien
TERRE DES FEMMES unterstützt seit 2016 das BHUMIKA Women's Collective in Indien, das u. a. drei an Polizeistationen angegliederte Beratungsstellen zur rechtlichen und psychologischen Unterstützung von gewaltbetroffenen Mädchen und Frauen betreibt – in Städten oder Stadtteilen, wo die Gewaltrate gegen Mädchen und Frauen besonders alarmierend ist. BHUMIKA bietet mittlerweile, wo möglich, auch präsenzlose, z. B. digitale, Beratung an.
Im Rahmen der Corona-Krise ist die Arbeit von BHUMIKA wichtiger denn je!
Unterstützen Sie uns jetzt, damit noch mehr Frauen und Mädchen trotz der Corona-Krise aus der Gewalt aussteigen können!
Quellen:
CARE: „Gender Implications of COVID-19 Outbreaks in Development and Humanitarian Settings“ (PDF-Datei),
online zuletzt abgerufen am: 14.07.2020.
Rakhi Ghoshal: „COVID-19. Twin public health emergencies: Covid-19 and domestic violence“,
online zuletzt abgerufen am: 14.07.2020.