Aqelah Nazari-Hossain Dad, Mitbegründerin der TERRE DES FEMMES-Partnerorgansation fordert eine Beteiligung von afghanischen Frauen an den Friedensverhandlungen.
Foto: © TERRE DES FEMMESStraßen, in denen sich Frauen nur in Begleitung von Männern bewegen dürfen, Verbot hoher Schuhe, Zwang zur Vollverschleierung und Bestrafungen wie öffentliches Auspeitschen erinnern an weit zurückliegende Epochen oder die irrealen Szenarien aus Margaret Atwoods Büchern. Für lange Zeit sah so jedoch die unterdrückende Realität für Frauen in Afghanistan aus. 17 Jahre sind die Taliban nun nicht mehr an der Macht und seither gab es viele Errungenschaften der FrauenrechtsaktivistInnen. Diese Erfolge scheinen jetzt aber wieder wie am seidenen Faden zu hängen: Bei den anstehenden Friedensverhandlungen zwischen den Taliban und verschiedenen Staatsrepräsentanten sind die Frauen des Landes nicht an den Verhandlungstisch gebeten. Auch Bundesaußenminister Heiko Maas machte sich letzte Woche ein Bild von der Lage in Afghanistan und betonte die Bedeutung der erlangten Frauenrechte.
Zunächst ein kurzer Rückblick: Die Herrschaft der Taliban von 1996-2001 war eine düstere Zeit für die Menschen in Afghanistan, speziell jedoch für die Mädchen und Frauen im Land. Mädchen war es nicht erlaubt, die Schule zu besuchen. Frauen mussten in der Öffentlichkeit die Burka tragen und in Begleitung eines Mannes sein. Diejenigen, die all ihre männlichen Verwandten (im Krieg) verloren hatten, durften alleine gar nicht mehr vor die Tür. Frauen war das Arbeiten verboten, Ärzte durften nur Männer behandeln, was dazu führte, dass Afghaninnen oft überhaupt keine medizinische Behandlung bekamen. Das Taliban-Regime beeinträchtigte jeden ihrer Schritte und sprach den afghanischen Mädchen und Frauen jegliche Menschenrechte ab.
„Während des Krieges, litten die Frauen am meisten“, erinnert sich Aqelah Nazari-Hossain Dad, Vorstandsfrau und Mitgründerin unserer afghanischen Partnerorganisation Neswan Social Association. Sie nahm die Unterdrückung der Taliban nicht einfach so hin und gründete zusammen mit ihren Schwestern eine geheime Mädchenschule. Auf diesem Grundstein wurde 2003 das Frauenzentrum der Neswan Social Association aufgebaut, deren Schwerpunkt Empowerment durch Bildung ist.
Seit der Vertreibung der Taliban durch US-Truppen hat sich vieles verändert. Frauen gehören wieder zum Straßenbild. Schülerinnen und Studentinnen genießen eine Ausbildung. Jeder fünfte Arbeitsplatz ist von einer Frau besetzt: Sie sitzen im Parlament, im Senat; Ingenieurinnen und Ärztinnen praktizieren – und das alles ohne Burka. Ein großer Teil dieser Errungenschaften ist den FrauenrechtsaktivistInnen und den Organisationen der Zivilgesellschaft zu verdanken. „Die Courage und Solidarität von Frauen in diesen 17 Jahren war beispiellos in der afghanischen Geschichte.“, schildert Aqelah Nazari-Hossain Dad stolz. Der Widerstand gegen die patriarchalische Gesellschaft erfolgte auf allen Ebenen und drang bis in die Legislative: Im März 2003 ratifizierte Afghanistan die UN-Frauenrechtskonvention und seit 2004 garantiert die Verfassung gleiche Rechte für Frauen und Männer.
Der Krieg in Afghanistan hat während dessen jedoch nicht nachgelassen. Nach dem UN-Zivilopferbericht erreichte die Zahl mit über 10.000 toten oder verletzten ZivilistInnen in 2018 ein Rekordhoch. Auch nach dem Sturz der Taliban waren und sind diese im Land immer präsent gewesen. Im Jahr 2018 kontrollierten sie schon wieder über 40 Prozent der Distrikte. Ende Dezember erklärte Präsident Trump allerdings, die Vereinigten Staaten wollten ihre Soldaten aus Afghanistan abziehen. Seitdem verhandelt US-Chefunterhändler Zalmay Khalizad nun mit den Taliban über ein Ende des Krieges in Kabul. Frauen sind von den Friedensverhandlungen ausgeschlossen. Außerdem verweigern die Taliban weiterhin Direktgespräche mit der afghanischen Regierung. Bundesaußenminister Heiko Maas warnt bei seinem Besuch in Afghanistan: „Was hier sehr mühselig über viele, viele Jahre aufgebaut wurde, kann innerhalb kürzester Zeit kurz und klein geschlagen werden, wenn man jetzt Fehler macht.“
Denn die Taliban versprechen die Entscheidungen der letzten 17 Jahre in Bezug auf Frauenrechte wieder nach rückwärts zu drehen: "(...) diese Rechte (sind) weder mit unserer Kultur und Tradition, noch mit unserer Religion vereinbar. Aber jene Rechte, die der Islam ihnen gewährt, so das Recht auf Bildung, Arbeit oder Besitz, werden wir ihnen gewähren.", erklärt Chefverhandler der Taliban-Vertreter Abbas Stanikzai. Stanikzai positioniert sich klar gegen die neue Verfassung von 2004: «Sie ist nicht glaubwürdig, weil sie vom Westen kopiert wurde und der afghanischen muslimischen Gesellschaft im Zuge der Okkupation aufgenötigt wurde.». Dabei könnte er sich noch an das Afghanistan der 1980er Jahre erinnern, in dem Miniröcke im Trend waren und Frauen ohne Kopftuch in der Öffentlichkeit auftraten.
Die Frauen kämpfen weiter für ihre Rechte. Sie sind kein passiver Teil der Gesellschaft mehr, sondern haben eine Stimme im Land. Doch diese soll im Diskurs über die Zukunft ihrer Heimat wieder stumm gemacht werden. Und dies, obwohl Studien zeigen, dass Friedensverhandlungen, an denen zivilgesellschaftliche Gruppen und Frauenrechtsorganisationen teilnehmen, zu 64 Prozent weniger scheitern. Mit der Unterstützung von Zivilrechtsorganisationen unterzeichneten nun mehr als 600 afghanische Frauen einen offenen Brief, in dem sie gegen die Nicht-Beteiligung von Frauen an den Friedensverhandlungen protestieren. Internationale Persönlichkeiten wie Margaret Atwood und Gloria Steinem zeigten sich solidarisch. Sie kritisieren lautstark, dass die Hälfte der afghanischen Bevölkerung ignoriert werde. Auch Aqelah Nazari-Hossain Dad ist überzeugt: „Die Taliban sind religiöse Fundamentalisten und ihre Gedanken sind gegen die Gedanken von der jungen Generation und gegen Frauen. Deswegen sollten vor allem Frauen und die junge Generation an den Verhandlungen teilnehmen, nicht Dschihadisten-Anführer!“
Stand: 03/2019