Die KöchInnen Ali, Fatoş und Sinan (v.l.n.r.) im Interview mit TDF. Foto: © YAKA-KOOP
Lässig schlendern am letzten Tag unserer Dienstreise in die Türkei drei MittdreißigerInnen in das Büro von YAKA-KOOP. Wüssten wir es nicht besser, würden wir sie für Berliner Start-up-GründerInnen halten. Doch Ali Geyik (36), Fatoş Salam (38) und Sinan Polat (37) verbindet etwas Anderes: die Liebe zum Kochen. Die Caterer versorgen die Gäste privater und öffentlicher Feste in Van mit kulinarischen Köstlichkeiten. Und nicht nur das. Seit 2016 unterstützen sie die Aktion „STOP Frühehen!“ der TDF-Partnerorganisation YAKA-KOOP: Sie selbst beliefern keine „Kinderhochzeiten“ mehr und machen das auch publik.
Könnt ihr euch bitte kurz vorstellen?
Ali: Ich bin Ali Geyik und arbeite als Koch. Außerdem schreibe ich Bücher über die türkische Küche und bin Vorsitzender der Kooperative der KöchInnen der Osttürkei. Sie hat 1.000 Mitglieder. Unsere Kooperative forscht nach Rezepten für althergebrachte, traditionelle Gerichte. Diese integrieren wir in die heutige Küche und beleben sie so neu. Wir bilden übrigens auch selbst aus: Zweimal pro Woche unterrichten wir BerufsschülerInnen ehrenamtlich. In der Türkei gibt es weniger Köchinnen als Köche, wir bilden aber mehr Frauen aus.
Fatoş: Mein Name ist Fatosh Salam. Ich bin Chefköchin in einem Hotel in Van und seit fünf Jahren Mitglied in der Kooperative der KöchInnen der Osttürkei. Für die Kooperative koche ich immer wieder auf privaten Festen und größeren Festivals in der ganzen Türkei.
Sinan: Ich heiße Sinan Polat und stehe der Vereinigung der KöchInnen und KonditorInnen in Van vor. Mein eigener Laden in Van ist eine Bäckerei. Dort backe ich auch deutsches Brot. Das Rezept habe ich von einem Meister in Istanbul gelernt. Ich fühle mich ganz als „alter Hase“, denn ich bin schon seit 20 Jahren in der Branche tätig.
Wie viele Hochzeiten gibt es pro Saison in Van?
Sinan: In Van finden wöchentlich rund 50 Hochzeiten statt. Wir haben also immer ausreichend zu tun.
Wie erfahrt ihr vom Alter des Brautpaars?
Ali: Wir fragen ganz gezielt nach. Da wir seit 2016 öffentlich damit werben, nicht mehr für „Kinderhochzeiten“ zu arbeiten, wenden sich mittlerweile aber ohnehin seltener Eltern minderjähriger Paare an uns. Für die Werbung nutzen wir Plakate, die wir in unseren Restaurants, Konditoreien und an den Berufsschulen, wo wir ausbilden, aushängen. Auch auf Festivals und in Hochzeitssalons dürfen wir die Plakate meist an gut sichtbarer Stelle anbringen. Es gibt nur wenige Hochzeitssalons, die die Aktion kritisch sehen und den Ärger potentieller KundInnen scheuen.
Habt ihr durch den Verzicht auf minderjährige KundInnen finanzielle Verluste?
Fatoş: Ja, die Einbußen machen etwa 20% aus. Das ist schon eine Menge, aber uns ist es das wert. Außerdem wird ja immer noch genug geheiratet in Van.
Werbt ihr auch noch auf andere Weise für eure Position?
Kochschürzen mit einem klaren Statement. Foto: © YAKA-KOOPSinan: Wir tragen Kochschürzen und -Mützen, die wir gemeinsam mit YAKA-KOOP designt haben und auf denen ein Statement gegen Frühehen aufgedruckt ist. Für KundInnen und Großmärkte oder andere Dienstleister, mit denen wir zusammenarbeiten, ist unsere Haltung also unübersehbar.
Ali: Außerdem versuchen wir, andere KöchInnen und v.a. Vereinigungen von KöchInnen auf Workshops, Fortbildungen oder gemeinsamen Kochveranstaltungen für den Einsatz gegen Frühehen zu gewinnen. Für die Zukunft unserer Kinder muss die Bevölkerung auf unsere Seite geholt werden. Dafür braucht es viel Aufklärung und Bewusstseinsbildung. Bislang gibt es davon noch zu wenig.
Wie reagieren eure KundInnen auf die Aktion „STOP Frühehen!“?
Fatoş: Bislang gab es keine einzige negative Reaktion. Das liegt sicher daran, dass heute gesellschaftlich mehr Wert auf die Bildung von Mädchen gelegt wird. Mit einer Frühverheiratung endet ja meist die Schullaufbahn eines Mädchens. Viele Familien wollen das nicht mehr. Ihre Tochter soll einen Abschluss machen und vielleicht sogar einen Beruf erlernen. Immer wieder kriegen wir dagegen positives Feedback: Leute rufen bei uns an und bedanken sich für die Aktion „STOP Frühehe!“ und unser Engagement.
Wie habt ihr YAKA-KOOP eigentlich kennengelernt?
Ali: Das war 2016: YAKA-KOOP hatte gerade einen Kurs zur beruflichen Qualifizierung von Frauen in der Gastronomie abgeschlossen. Dabei ging es um die Zubereitung von Kebabs und Böreks. Zur Abschlussveranstaltung mit Zertifikatsübergabe waren wir eingeladen. Dabei tauschten wir Kontakte aus. Später sind wir KöchInnen dann auf YAKA-KOOP zugegangen. Unsere Kooperativen wollten sich unbedingt an ihrer Aktion beteiligen.
Habt ihr euch vor der Zusammenarbeit mit YAKA-KOOP auch nach dem Alter des Brautpaars erkundigt?
Sinan: Nein, das haben wir nicht. Uns waren die schlimmen Konsequenzen noch nicht ausreichend bewusst.
Was müsste aus eurer Sicht noch getan werden, um Frühehen zu verhindern?
Ali: Wir müssen vor allem Eltern über die Hintergründe und Risiken von Frühehen aufklären. Ich kann mir z.B. Informationsveranstaltungen speziell für die Eltern von Jugendlichen vorstellen. Vor allem die Mütter sollten ins Boot geholt werden, weil es ihnen oft besonders am Herzen liegt, ihre Töchter zu schützen. Außerdem sind sie durch ihre eigenen Lebenserfahrungen vorgeprägt und möchten es häufig bei den eigenen Kindern anders machen.
Fatoş: Da muss ich widersprechen. Es gibt leider etliche junge Frauen, die selbst früh heiraten wollen. Das hat damit zu tun, dass sie der engmaschigen Kontrolle, Überwachung und Hausarbeit im eigenen Elternhaus so bald wie möglich entfliehen wollen. Sie machen sich häufig naive Vorstellungen von der Ehe und ihrer Rolle als Ehefrau und Mutter. Sie verstehen nicht, was für eine Verantwortung mit diesen neuen Aufgaben einhergeht. Nur sehr selten können sie die weitreichenden Konsequenzen für sich selbst realistisch einschätzen. Der Fokus liegt vielmehr auf einem schicken Brautkleid, einem rauschenden Fest und dem vermeintlichen Prinzen auf dem weißen Pferd. Das Leben zu Hause ist für viele Mädchen erdrückend und sie sehnen sich nach einem Ausbruch. Da muss man ansetzen. Junge Mädchen müssen verstehen, was eine Frühehe bedeutet.
Sinan: Für mich ist essentiell, dass alle Kinder zur Schule gehen und sich eine höhere Bildung aneignen. Dann werden die Zusammenhänge fast automatisch klarer.
Habt ihr in eurem eigenen Umfeld Erfahrungen mit Frühehen gemacht?
Ali: Meine Mutter wurde im Alter von 13 Jahren verlobt. Weder sie noch der designierte Ehemann wollten diese Verbindung. Glücklicherweise konnte die Verbindung aufgelöst werden, nur um kurz darauf durch eine zweite Verlobung ersetzt zu werden. Auch diese wollte meine Mutter nicht. Dann kam mein Vater und verliebte sich in meine Mutter. Sie heirateten und sind bis heute ein zufriedenes Paar. Trotzdem sagt meine Mutter über die Zeit vor ihrer Hochzeit: „Ich bin herumgereicht worden wie eine Kuh – von Besitzer zu Besitzer“.
Auch meine Schwester wurde mit 13 Jahren verheiratet. Die Hochzeit dauerte drei Tage. Meine Schwester wurde vom Onkel des Bräutigams in einem Konvoi abgeholt und nach dem Fest für ein paar Stunden nochmal nach Hause zurückgebracht, um sich zu verabschieden. Dort schauten wir gemeinsam Zeichentrickfilme.
Heute ist es in meinem Herkunftsort nicht mehr üblich, Mädchen so früh zu verheiraten. Den Familien ist es wichtiger, dass auch die Töchter etwas lernen. In einem Nachbarort begegnete mir allerdings jüngst eine hübsche, junge Frau, die mit einem deutlich älteren Mann verheiratet war. Als ich sie fragte, warum sie sich darauf eingelassen habe, meinte sie, dass sie es einfach nicht anders gekannt hätte.
Fatoş: Ich war bei meiner eigenen Hochzeit 16 Jahre alt. Meine Familie wollte eigentlich nicht, dass ich so früh heirate. Ihnen wäre es lieber gewesen, dass ich studiere. Da ich aber unbedingt von zu Hause weg wollte, bestand ich auf diese Heirat. Ehrlich gesagt hatte ich falsche Vorstellungen von einer Ehe und dem, was mich erwartete. Obwohl ich davon überzeugt war, meinen Partner zu lieben. Vor fünf Jahren haben wir uns scheiden lassen. Unsere Familien unterstützten uns bei diesem Schritt. Wir haben zwei Kinder, für die wir getrennt voneinander sorgen.
Sinan: Auch meine Mutter wurde mit 13 Jahren verheiratet. Wir Kinder spüren die Folgen bis heute. Es war in dieser Zeit gängig, Mädchen so früh zu verheiraten. Auf den Dörfern wurde nicht über den eigenen Körper, Sex und Verhütung gesprochen. Vielmehr wurde schnell getuschelt, wenn sich ein unverheiratetes Mädchen mit einem ihr nicht verwandten Jungen unterhielt, und Vermutungen über unehrenhaftes Verhalten gestreut. Ihre Pubertät konnten Jugendliche streng genommen nicht ausleben. Das ist heute zumindest in den Städten einfacher geworden und trotzdem sind wir noch lange nicht am Ziel.
Mit Plakaten und Berufskleidung gegen Frühehen. Foto: © YAKA-KOOP
Helfen auch Sie, die Aktion „STOP Frühehen!“ publik zu machen! Spenden Sie jetzt, damit mehr Mädchen in der Türkei selbst bestimmen können, ob und wann sie heiraten.
Stand: 07/2018