Fast täglich stirbt in Deutschland eine Frau – stoppt Femizide!

Mädchen und Frauen vermeiden bewusst, um nicht in gefährliche Situationen zu geraten, nachts durch dunkle Parks oder kleine unbekannte Gassen zu laufen. Der Gefahr nur aufgrund des weiblichen Geschlechts einem Risiko ausgesetzt zu sein, kann kein Mädchen, keine Frau umgehen. In Deutschland müssen zu viele Frauen in Angst leben, denn Frauenmorde, als extremste Form der Gewalt, passieren nicht irgendwo weit weg sondern mitten in unserer Gesellschaft und in unserer umittelbar vertrauten Umgebung.

Unter einem Femizid verstehen wir gemäß WHO den Mord an Frauen aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit. Er unterscheidet sich von „Gewalt gegen Frauen“ dadurch, dass Letzteres viele Formen von psychologischer und physischer Gewalt umfassen kann, wie verbale Herabwürdigung und Missbrauch auf emotionaler, physischer oder sexueller Ebene. Der Femizid hingegen, kann zwar diese gewaltvollen Handlungen im Vorfeld zeigen, aber ist am Ende der beabsichtige Mord an einer Frau.

Die Gründe für das Vergehen können einen intimen, kulturellen, traditionellen oder religiösen Hintergrund haben. Die Gewalttat wird häufig von dem Partner, Expartner oder nahestehenden Personen begangen. Aber auch Femizide durch nicht nahestehende Personen kommen vor und können sogar systematisch sein (z. B. ein Serienmörder, der nur Frauen tötet).

In Deutschland wurden vom Bundeskriminalamt (BKA) für das Jahr 2017 insgesamt 915 Frauen als Opfer unter der Kategorie „Mord, Totschlag und Tötungen auf Verlangen“ in der Statistik erfasst. Davon wurden 564 versucht und 351 vollendet. Zusätzlich haben die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, wovon zu 92,8% Frauen betroffen sind, zugenommen und zeigen, dass die Hemmschwelle für Übergriffe zu sinken scheint.

Deutschland: Platz sechs im EU Vergleich

Betrachtet man die Anzahl vorsätzlich getöteter Frauen in der Europäischen Union (EU)[1], so erfasste Eurostat im Jahre 2016 gesamt 3.576 Opfer. Wovon 469 vorsätzlich getötete Frauen aus Deutschland waren. Damit sind wir bezüglich der Anzahl auf Platz eins im EU Vergleich.

Wenn wir die Bevölkerungsanzahl der Staaten mitberücksichtigen, (pro Hunderttausend Einwohner) befindet sich Deutschland auf Platz sechs der Europäischen Union. Platz eins nimmt Lettland ein, darauf folgen Litauen auf Platz zwei, Ungarn, Estland und Zypern. In die zweite Statistik ist eine geringere Anzahl an Mitgliedsstaaten[2] eingeflossen, dafür erfasst sie die Beziehung zwischen Opfer und Täter. Sie unterscheidet zwischen Mord durch die Familie und Verwandte, oder Mord durch den Intimpartner.

Diese Zahlen weisen auf, dass zwar die Anzahl getöteter Frauen durch die Familie und Verwandte seit 2013 abgenommen hat, allerdings sind die Zahlen für Mord durch den Intimpartner seit 2013 von 481 auf 567 im Jahr 2016 angestiegen.

Das bedeutet 86 mehr Frauen im Verlauf von drei Jahren und Platz eins im EU Vergleich. Die Dunkelziffer ist hier noch unberücksichtigt. Doch sowohl in den Statistiken des BKA, wie auch in den Eurostat Datensätzen ist undurchsichtig, welche der Morde als Femizid einzustufen ist.

Die Istanbul Konvention – ein Zeichen

Ein erster Schritt in Richtung Bekämpfung von Femiziden ist die Istanbul-Konvention, welche seit 1. Februar 2018 in Kraft getreten und ein rechtlich bindendes Menschenrechtsinstrument ist, dass der Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen dient. Mit der Ratifizierung unterwirft sich Deutschland zusätzlich der Überwachung durch den GREVIO Ausschuss, welcher mit Empfehlungen die Umsetzung unterstützt, sobald der GREVIO Bericht für Deutschland ausgearbeitet ist.

In der im Januar 2018 erschienen Analyse des Deutschen Instituts für Menschenrechte: „Die Istanbul Konvention – Neue Impulse für die Bekämpfung von geschlechterspezifischer Gewalt“ (PDF-Datei) zeigt sich, dass Deutschland bereits einige der Verpflichtungen dieser Konvention vor der Unterzeichnung erfüllte. So haben beispielsweise die Einführung des Gewaltschutzgesetzes, die Reform des Sexualstrafrechts und das neue Gleichbehandlungsgesetz (AGG) die Position von Frauen gestärkt.

TERRE DES FEMMES vermisst jedoch die explizite Aufführung von Femiziden. Diesem Thema wird eindeutig zu wenig Beachtung geschenkt. Die Entwicklung geht jedoch in die richtige Richtung. Denn die Istanbul Konvention spricht besonders häufig von „geschlechterspezifischer Gewalt“, gegen die Maßnahmen und Handlungen folgen müssen. Die Bundesregierung ist jetzt verpflichtet, unabhängige Koordinierungsstellen zur Beobachtung, Bewertung und Umsetzung von Datenanalysen und -verbreitung einzurichten.

Internationale Kritik

Neben der Istanbul-Konvention werden die Entwicklungen von Frauenrechten und von Gewalt gegen Frauen auch durch den CEDAW-Ausschuss (Committee on the Elimination of Discrimination of Women) überwacht. Alle vier Jahre ist Deutschland verpflichtet einen Bericht zum Stand der Umsetzung einzureichen und erhält Empfehlungen als Antwort. Betrachtet man die Anmerkungen des CEDAW-Ausschusses der letzten Jahre, wird deutlich, dass die Empfehlung detailliertere statistische Daten zu sammeln und Gesetze anzupassen nicht neu sind.

Beispielsweise erwähnt der CEDAW-Ausschuss in seinen abschließenden Bemerkungen im Jahre 2009 (PDF-Datei) seine Besorgnis über die Häufigkeit von Gewalttaten gegen Frauen. Er forderte Maßnahmen gegen diese Gewalttaten „insbesondere jene, die zur Ermordung von Frauen führen“ (CEDAW, 2009) zu verstärken und vermehrt Untersuchungen und Analysen vorzunehmen.

In den kürzlich erlassenen Bemerkungen für das Jahr 2017 (PDF-Datei) kritisiert der Ausschuss die geringe Anzeige von geschlechterspezifischer Gewalt, sowie niedrige Strafverfolgungs- und Verurteilungsraten. Zudem wird an die Allgemeinen Empfehlungen Nr. 19 aus dem Jahr 1992 erinnert. Frauen sollen ermutigt werden, geschlechterspezifische Gewalt zu melden und die Fälle sollen effizient untersucht werden, mit einer angemessenen Strafe der Täter.

In der damaligen Sitzung von 1992 wurde bereits als Maßnahme nahegelegt, Gesetze gegen jede Art von Gewalt zu erlassen und Statistiken zu erstellen, sowie Ursachen zu erforschen.[3]

Wir fordern deshalb, dass diesen Empfehlungen nachgegangen wird und eine gesetzliche Regelung zur Erfassung und Strafbarkeit von Femiziden erlassen wird.

Südamerika als Inspiration

Erste Gesetzesmodelle finden sich in Südamerika, wo der Femizid schon lange eine große Herausforderung und ein wachsendes Problem ist. Aus dieser Not heraus wurden Lösungen gesucht und der Straftatbestand „Femizid“ bereits flächendeckend eingeführt. Das Franz von Liszt Institut befasst sich mit dem Femizid, als lateinamerikanisches Phänomen und veröffentlichte im Januar 2018 ein Working Paper (PDF-Datei) zur aktuellen Situation. Aus ihm geht hervor, dass der Straftatbestand bereits in das Strafgesetz von Argentinien, Brasilien, Ecuador, Guatemala, Honduras, Mexiko und Peru aufgenommen wurde. Diese Fortschrittlichkeit findet sich in Europa noch nicht wieder.

Zwar zeigen sich große Hürden in der Umsetzung des Gesetzes in Südamerika auf, da ohne gesellschaftliches Umdenken aller Menschen und Instanzen wenig passieren kann. Allerdings bieten die verschiedenen Gesetzesmodelle zum Femizid eine gute Orientierungshilfe für eine gesetzliche Regelung in Deutschland. Es gibt Unterschiede in der Höhe der angedrohten Strafe, der Ausformulierung des Tatbestandes und ihrer Striktheit in der Umsetzung.

Positiv bewerten wir die Regelung Guatemalas. Das Franz von Liszt Institut fand heraus, dass hier der Tatbestand differenziert ausgearbeitet wurde und viele Facetten des Femizids erfasst. Zusätzlich wird die Definition von „Opfer“ ausgeweitet und umfasst neben der Frau, Ex-Frau und Lebenspartnerin auch Freundinnen, Kolleginnen und weitere mögliche Betroffene.

Unsere Forderungen

TERRE DES FEMMES kritisiert seit Jahren die fehlende Datenerhebung und Differenzierung. Deshalb fordern wir, dass Daten zu geschlechtsspezifischer Gewalt regelmäßig und umfangreich erhoben werden müssen, auch unter Berücksichtigung der Folgen von Gewalt auf das weitere (Erwerbs-)Leben. Die Aufnahme von Femiziden als eigener Straftatbestand wäre ein guter Schritt, um diese sichtbar zu machen und gesellschaftlich zu ächten.

Wir unterstützen die Petition von Frau Prof. Dr. Kristina Wolff „Stoppt das Töten von Frauen“. Setzen auch Sie ein Zeichen gegen Femizide, gegen Frauenmorde und unterstützen Sie diese Petition mit Ihrer Unterschrift.

 

 

Quellen:

Eurostat: Vorsätzliche Tötungen und Sexualstraftaten der betreffenden Person nach Rechtsstellung und Geschlecht - Anzahl und Quote für die jeweilige Geschlechtsgruppe

Eurostat: Vorsätzlich getötete Opfer nach Täter-Opfer-Beziehung und Geschlecht - Anzahl und Quote für die jeweilige Geschlechtsgruppe

[1] Nicht inkludiert: Belgien, Portugal, Rumänien. Luxemburg nicht für 2016. Das Vereinigte Königreich wurde als England, Wales und Scotland erfasst.

[2] Nicht inkludiert: Belgien, Bulgarien, Dänemark, Estland, Griechenland, Luxemburg, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden.

[3] https://www.bmfsfj.de/blob/93360/3785562d5da761399c6f17c9abcbc94f/beseitigung-diskriminierung-der-frau-cedaw-broschuere-data.pdf (S. 39)

 

Stand: 20.02.2019