"Ich habe mich extrem angepasst, um Anerkennung von meinen Eltern zu bekommen"

Frau A. K. im Alter von 10 Jahren
© A. K.

Interview mit A. K. über ihre Erfahrungen mit dem "Kinderkopftuch"

Vor einigen Wochen kontaktierte uns eine Frau aus Nordrhein-Westfalen, die von unserer Petition „DEN KOPF FREI HABEN!“ gehört hatte. Darin fordern wir eine gesetzliche Regelung des sogenannten Kinderkopftuchs in öffentlichen Bildungseinrichtungen für minderjährige Mädchen. Sie schrieb uns, dass sie selber bereits als Kind Kopftuch getragen habe und uns von ihren Erfahrungen berichten möchte. Wir veröffentlichen hier mit wenigen Kürzungen die Transkription dieses Gesprächs, welches am 05.02.2020 stattgefunden hat. Frau K., 45 Jahre alt und türkischer Herkunft, möchte anonym bleiben, weil sie befürchtet, dass es bei Nennung ihres Namens zu erneuten Verwerfungen mit ihren Eltern kommen könnte.

Fotoalbum von Frau K.

Frau K. im Alter von 4 Jahren

Unbeschwerte frühe Kindheit, ich bin 5 Jahre alt: Geburtstag im Kindergarten. Ich war so stolz auf meinen Papierkranz. Den nächsten Geburtstag habe ich mit 38 Jahren gefeiert. Dazwischen gab es keine Geburtstagsfeiern mehr. Meine Familie kannte das nicht, denn mit der Zugehörigkeit zu Millî Görüş war es dann gänzlich verpönt, sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen und zu feiern. Sie sagten, das sei unislamisch und wir sollten uns niemals so benehmen wie die Nicht-Muslime. Ihre Indoktrination machte keinen Halt vor Kindergeburtstagen.

 

Frau K. im Alter von 7 Jahren

In der Grundschule, 2. Klasse, ich bin 7 Jahre alt. Da hatte ich noch nichts mit Religion oder Kopftuch zu tun. Ich war ein glückliches Mädchen, schlau und kreativ, mit vielen türkischen Freundinnen. Wunderschöne dunkle, lange und lockige Haare. Da ahnte ich noch nicht, dass meine Haare bald Stein des Anstoßes werden würden.

 

Frau K. im Alter von 10 Jahren

Familienleben in einer „Gastarbeiterfamilie“: Onkel und Schwester. Ich bin die Zweitgeborene von vier Kindern, ich habe einen älteren Bruder und zwei jüngere Schwestern. Auf dem Foto bin ich etwa 10 Jahre alt. Wir werden an das Kopftuch „herangeführt“. Tragen es nur zu Hause und nach hinten gebunden, der Hals durfte noch sichtbar sein.

 

Frau K. im Alter von 11 Jahren

Jetzt sieht es schon anders aus. Ich benutze eine kleine Sicherheitsnadel, mit der ich unter meinem Kinn das Tuch festmache. Die Enden des Kopftuchs binde ich überkreuzt nach hinten am Hals fest. Ich bin da vielleicht 11 Jahre alt. Wie man sieht, kriege ich das noch nicht ganz so gut hin, denn es gucken Haare heraus. In der Moschee hatten sie gepredigt, dass die Haare und der Hals der Frau, die Männer reizen könnte.

 

Frau K. im Alter von 14 Jahren

Bei einem Schulausflug: Ich bin 14 Jahre alt und gehe in die 8. Klasse. Unter dem Kopftuch trage ich jetzt ein dünnes Unterkopftuch, so können keine Haare mehr herausgucken. Der Hals und die Schultern sind jetzt bedeckt. Außerdem verdeckten wir unsere Brüste, denn so wurde es in der Moschee gepredigt. Lange Mäntel gehörten zu dem damaligen Outfit dazu.

Die 8. und die 9. Klasse waren meine schlimmsten Schuljahre. Mit Beginn der Kopftuchzeit litt ich unter Mobbing von Mitschülern und Lehrern. Ich erinnere mich an viele Pausen, die ich in der WC Kabine verbrachte, denn niemand wollte mit mir zusammen sein, ich wurde mit Müll beschmissen, angespuckt und geschubst. Ich habe niemandem davon erzählt, alles klaglos ertragen und meine Eltern verschont. In der 10. Klasse wurde es besser.

 

Frau K. heute als Erwachsene

Das bin ich als erwachsene Frau. Ich besuche meine Schwester in Hamburg. Ich genieße die Sonne und den Wind, der durch meine Haare wirbelt.

Ich habe studiert und einen sozialen Beruf ergriffen. Heute arbeite ich im Kinderschutzbereich und tue alles dafür, um Kinder auch vor schädlichen, religiös und kulturell begründeten Praktiken zu schützen.

 

© Fotos: A. K. im März 2020