Brasilien

Fallbeispiel

Die bisherige Recherche englischsprachiger Literatur konnte keine Fallbeispiele ausmachen.

Statistik

  • Bevölkerung: 201,5 Millionen EinwohnerInnen (Auswärtiges Amt 2015)
  • Human Development Index des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (Wohlstandsindikator, der die Dimensionen Bildungsindex, Lebensstandard und –erwartung einbezieht): Platz 75 von 188 Ländern (2014)
  • 36% der 20- bis 24-jährigen Ehefrauen waren unter 18 Jahren bei ihrer Hochzeit (UNFPA 2012)
  • Über 65.000 Mädchen zwischen 10 und 14 Jahren leben in eheähnlichen Verbindungen (IGBE 2010 übersetzt in Promundo)

Landesüberblick

Brasilien ist mit einem BIP von ca. 2.353 Mrd. USD im Jahr 2014 die siebtgrößte Volkswirtschaft der Welt. Das durchschnittliche Einkommen pro Person liegt bei ca. 11.600 USD jährlich. Zwischen 2004 und 2011 konnte das Land ein solides Wirtschaftswachstum von durchschnittlich 4,9% verzeichnen. Seit 2012 verschlechtert sich die wirtschaftliche Situation Brasiliens, was mit einer schwierigeren Arbeitsmarktsituation einhergeht. [1]

Brasilien weist im Bereich Bildung Defizite auf. Im Allgemeinen ist das Bildungsangebot nicht ausreichend, so dass nicht alle Menschen Zugang zu Bildung haben. 2014 wurde allerdings eine Bildungsreform verabschiedet, die eine bessere Qualität des Angebotes und einen weitreichenderen Zugang zu Schul- und Universitätsbildung gewährleisten soll. So sollen die Ausgaben in Bildung innerhalb der nächsten Jahre schrittweise auf 10% des BIP ansteigen. [6]

Gewalt gegen Frauen ist in Brasilien ein großes Problem. Nach Schätzungen des Instituts für angewandte Wirtschaftsforschung beläuft sich die Anzahl der versuchten Vergewaltigungen jährlich auf 527.000. Grund dafür sind verbreitete sexistische „Macho“- Ansichten und stereotype Rollenbilder. So macht ein Großteil der Bevölkerung das Auftreten und Verhalten von Frauen selbst für die hohe Anzahl von Vergewaltigung verantwortlich. Diese Haltung wurde auch anhand der Gesetzeslage deutlich. Bis 2009 wurden Vergewaltigungen als Vergehen gegen die soziale Würde geahndet, also als eine Missachtung der Familienehre gewertet. Erst 2009 wurde das Opfer in den Fokus der Straftat gestellt. [7]

2015 wurde neben den Verbesserungen im Strafrecht bei Vergewaltigungen ein neues Gesetz zur Kriminalisierung von Femiziden, also geschlechtsbasierten Straftaten, die häusliche Gewalt sowie die Diskriminierung oder Missachtung von Frauen beinhalten und den Tod einer Frau verursachen, verabschiedet. Mit dem Gesetz wird das Strafmaß solcher Taten erhöht. [8]

Die reproduktiven Rechte von Frauen sind in Brasilien beschränkt. Frauen dürfen einen Schwangerschaftsabbruch nur in Ausnahmefällen, wie etwa nach einer Vergewaltigung und bei Lebensgefährdung, vornehmen lassen. Andernfalls droht eine dreijährige Freiheitsstrafe bzw. riskieren Frauen ihre Gesundheit, wenn sie illegale Abreibungen durchführen lassen. [8]

Vorkommen

Obwohl in den anderen Regionen der Welt die Anzahl der minderjährigen Bräute sinkt, bleiben die Zahlen in Lateinamerika und der Karibik relativ stabil. Girls not Brides zufolge weist Brasilien die höchste Anzahl von minderjährigen Ehefrauen in Lateinamerika auf und mit 877.000 die vierthöchste absolute Anzahl von Ehefrauen unter 15 Jahren weltweit. Nach einem Zensus von 2010 leben ca. 65.000 Kinder im Alter zwischen 10 und 14 Jahren in eheähnlichen Gemeinschaften. Allerdings sind die meisten minderjährigen Ehefrauen älter als 12 Jahre. Die Frühehen in Brasilien treten trotz der hohen Anzahl kaum im internationalen Diskurs um Kinderehen auf. [5, 9, 10]

Eine Eheschließung wird in den Studien und der Diskussion häufig mit Zusammenleben oder informellen Zusammenschlüssen gleichgesetzt und findet weniger als ritualisierte Praxis statt. Daher ist es auch schwierig, die tatsächliche Anzahl zu erfassen. Frühehen basieren eher auf sozialen als traditionsbedingten Dynamiken und finden häufig in Übereinstimmung der PartnerInnen statt. [5]

Entgegen des Stereotyps, Kinderheiraten kämen v.a. in ländlichen und indigen geprägten Gebieten vor, ist das Phänomen auch in der Stadt präsent. Auch wenn sowohl Mädchen als auch Jungen davon betroffen sind, kommt eine Verbindung meist zwischen Mädchen und erwachsenen Männern zustande. [5, 11, 12]

Beweggründe

Trotz der hohen Anzahl von Frühehen sind wenige systematische Untersuchungen zum Thema vorhanden. In einer Studie in den beiden Bundesstaaten mit den meisten Ehen von Minderjährigen, Pará im Norden und Maranhão im Nordosten des Landes, wurde den Hintergründen nachgegangen. Einige Motive stehen im Zusammenhang mit der hohen Anzahl von frühen Schwangerschaften in Brasilien. Zum einen wird hier mit einer Ehe die Hoffnung auf Stabilität im Kontext von begrenzten Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten verbunden. Zum andere werden das Drängen der Familie auf eine Eheschließung, um einem drohenden Ansehensverlust der Familie bei einer frühen Schwangerschaft der Tochter zu entgehen, und die Kontrolle der Sexualität von jungen Mädchen als Gründe genannt. [5, 10]

Daneben kommt eine Heirat häufig auch auf Initiative der Mädchen zustande. Mädchen und junge Frauen erhoffen sich von der Verbindung mit älteren Männern bessere materielle und soziale Freiheiten. Dies findet beispielsweise in dem Wunsch Ausdruck, das Elternhaus aufgrund mangelnder Perspektiven oder Gewalterfahrungen zu verlassen und um sich finanziell abzusichern. Nach dem Zusammenschluss werden viele Mädchen von den negativen Konsequenzen überrascht. Dies können frühe Schwangerschaften und die damit einhergehenden Gesundheitsrisiken, schwindende Bildungsaussichten, eingeschränkte Bewegungsfreiheit, Kontaktarmut, die Kontrolle durch den Mann oder häusliche Gewalt sein. In Brasilien gelten junge Mädchen darüber hinaus als begehrte Partnerinnen. [5, 10]

Gesetzliche Lage

In Brasilien darf gesetzlich ab 18 Jahren geheiratet werden. Es gibt eine Ausnahmeregelung, nach der mit der Zustimmung beider Eltern auch bereits mit 16 Jahren geheiratet werden darf. Unter 16 Jahren erlaubt das Gesetz z.B. im Falle einer Schwangerschaft zu heiraten. [5, 12]

Interventionsbeispiel

  • Plan International Brazil bietet im Nordosten des Landes Workshops und Seminare für Mädchen, aber v.a. auch Jungen und Männern an, um Frühehen und deren negative Folgen zu vermeiden. Die Bildungs- und Aufklärungsarbeit in der männlichen Community basiert auf empirischen Erkenntnissen darüber, dass Mädchen mit Gender-sensiblen Männern im direkten Umfeld weniger sexueller Gewalt ausgesetzt sind und Partner wählen, die einen respektvollen Umgang mit Frauen pflegen. Plan führt auch Projekte durch, in denen Väter ihren Töchtern beim Fußballspielen zusehen. Beiden Projektformen liegt die Idee zugrunde, dass soziale Geschlechternormen aufgebrochen werden müssen, um Frühehen zu vermeiden und Kindern die Möglichkeit von alternativen Wegen zu eröffnen. [13]
  • Die Initiative GUERREIRAS PROJECT: Women's Football in Brazil – Juggling Roles & Creating Space wurde 2010 in Brasilien initiiert. Durch Workshops, Trainings, Ausstellungen, Performances und Forschung wird Fußball genutzt, um unbewusste Geschlechterstereotype infrage zu stellen. Denn im Fußball zeichnen sich Geschlechtsnormen besonders deutlich ab. Beispielsweise halten professionelle Fußballerinnen Workshops in Communities, diskutieren über Rollenbilder und teilen ihre eigene Geschichte. Damit fungieren sie als Vorbilder dafür, was Frauen in der Lage sind zu erreichen. [14]

Stand: 03/2016

 

Quellen

  1. http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Brasilien_node.html
  2. http://hdr.undp.org/en/composite/HDI
  3. http://www.liportal.de/brasilien/wirtschaft-entwicklung/
  4. https://www.unfpa.org/sites/default/files/pub-pdf/MarryingTooYoung.pdf
  5. http://promundoglobal.org/wp-content/uploads/2015/07/SheGoesWithMeInMyBoat_ChildAdolescentMarriageBrazil_EN_postprint_web.pdf
  6. http://www.theguardian.com/the-report-company/2015/may/18/education-in-brazil-a-plan-for-change
  7. http://america.aljazeera.com/opinions/2014/5/brazil-rape-sexualviolenceipeawomenculture.html
  8. https://www.hrw.org/world-report/2015/country-chapters/brazil
  9. http://www.unicef.org/media/files/Child_Marriage_Report_7_17_LR..pdf
  10. http://www.girlsnotbrides.org/child-marriage/brazil/
  11. http://www.aworldatschool.org/news/entry/Hidden-problem-of-child-marriage-in-Latin-America-2430
  12. http://www.theguardian.com/global-development-professionals-network/2016/jan/04/brazil-boys-girls-attitudes-gender-equality-campaigner
  13. http://promundoglobal.org/programs/child-marriage-prevention/
  14. http://www.guerreirasproject.org/about-us/