Manfred Paulus war Kriminalhauptkommissar in Ulm und insgesamt 25 Jahre lang zuständig für Rotlichtkriminalität, Menschenhandel und Zuhälterei. Warum Deutschland ein Eldorado für Menschenhandel ist – ganz aktuell sind davon besonders Mädchen und Frauen bedroht, die vor dem Krieg aus der Ukraine flüchten mussten – und weshalb die Politik die organisierte Kriminalität sich selbst überlässt, haben wir im Interview mit ihm besprochen.
TDF: Herr Paulus, warum gibt es keine aktuellen Zahlen zu Gewalt an Prostituierten?
Manfred Paulus: Es ist unverständlich, dass das BKA in seinem jährlichen Lagebild die Prostituiertenmorde nicht (gesondert) veröffentlicht. Ich vermute, dass dies politisch unerwünscht ist, weil der Gesetzgebung entsprechend Prostitution ein Gewerbe bzw. eine Dienstleistung sein soll, so wie jedes andere auch (und deshalb auch so zu behandeln ist).
Andererseits ist zu sehen, dass eine Veröffentlichung der jährlich registrierten Gewalttaten an Prostituierten möglicherweise kontraproduktiv wäre, weil es die Machthaber im Milieu (entsprechend den ungeschriebenen Milieugesetzen und denen der Organisierten Kriminalität) nicht erlauben, dass solche Delikte nach außen dringen – Milieudelikte bleiben heute bis auf wenige Ausnahmen im Dunkelfeld, die Zahlen wären also sehr niedrig und damit nichtssagend oder gar ein Argument für diejenigen, die glauben, es gebe keine Gewalt im Milieu.
TDF: Welche Rolle spielt der Schutz der Prostituierten bei der Arbeit der Polizei?
Manfred Paulus: Der erforderliche Schutz kann m.E. derzeit nicht gewährt werden, weil dazu die gesetzlichen Voraussetzungen fehlen. Die Prostitutionsgesetzgebung und die Polizeigesetze der Länder lassen die erforderlichen Maßnahmen nur begrenzt zu. So kann und darf die Polizei entsprechende Objekte ( „Gewerbebetriebe“ ) nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen betreten - im Milieu weiß man solche Gegebenheiten zu schätzen und zu nutzen. Ein Beleg des nicht vorhandenen bzw. nicht ausreichenden Schutzes: Der Stuttgarter Prozess gegen die Paradise-Betreiber – jahrelang als bundesdeutsche Vorzeigebordelle in Talkshows u.a. bewundert – in Wahrheit war Berichten zufolge Gewalt an der Tagesordnung – und niemand hat das wahrgenommen.
TDF: Besonders während der Corona Pandemie gab es viele illegale Prostituierte. Inwieweit steht der Schutz der Frauen auch bei illegaler Prostitution im Fokus?
Manfred Paulus: Das gleiche gilt natürlich auch für den Schutz Illegaler. Hier kommt die Gefahr hinzu, dass sie als Täterinnen gesehen und behandelt werden, während die eigentlichen Täter unbedrängt bleiben. Dieser nicht vorhandene oder zumindest nicht auseichende Opferschutz ist wiederum auf die Prostitutionsgesetzgebung zurückzuführen ( ein „normales Gewerbe“ ist nun einmal kein polizeiliches Betätigungsfeld oder gar Brennpunkt ). Weil der Bereich somit (gesetzlich verordnet) nicht oben auf der Prioritätenliste steht und die Möglichkeiten der Maßnahmen zudem begrenzt sind, kommt es ständig zu Überlagerungen durch andere (vermeintlich wichtigere) Kriminalitätsbereiche und der Schutz der Frauen in der Prostitution bleibt auf der Strecke ( was gar nicht so unrecht sein könnte, weil dadurch unangenehmen Wahrheiten im Dunkelfeld verbleiben).
TDF: Warum wenden sich nur verhältnismäßig wenige Betroffene aus der Prostitution an die Polizei und was müsste sich ändern, dass diese Frauen Gewalttaten öfter melden?