Positionspapier von TERRE DES FEMMES – Menschenrechte für die Frau e.V. zum Schwangerschaftsabbruch (zum Recht auf reproduktive Selbstbestimmung/§ 218 StGB)

 

Ziel von TERRE DES FEMMES ist eine Gesellschaft jenseits des Patriarchats und damit auch eine Gesellschaft, in der Frauen selbstbestimmt über ihr Leben, ihren Körper und damit auch ihre Reproduktion entscheiden können. Das Recht auf reproduktive und sexuelle Gesundheit und Selbstbestimmung schließt aus dieser Perspektive auch das Recht auf den Abbruch einer ungewollten Schwangerschaft ein. In einer demokratischen Gesellschaft muss Frauen diese Option zur Verfügung stehen, eingeschlossen eine adäquate Qualität der medizinischen Versorgung, der Beratung und Information zum Schwangerschaftsabbruch.

Frauen können und müssen die Entscheidung eine Schwangerschaft fortzusetzen oder abzubrechen selbst treffen und dafür Verantwortung übernehmen.

Deshalb fordern wir bezüglich des Schwangerschaftsabbruchs:

  • uneingeschränkten Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch nach freier Entscheidung der Frau;
  • auf dem Stand der medizinischen Entwicklung orientierte Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs und Wahlfreiheit bezüglich der Methode;
  • kostenlose, qualifizierte und freiwillige Beratungsangebote bei ungewollter Schwangerschaft;
  • wohnortnahe, flächendeckende, kostenlose Versorgung als medizinische Basisleistung der Krankenkassen;
  • Ausbau des Angebots an unabhängigen Beratungsstellen zur Verhütung, Vorsorge und Schwangerschaft;
  • kostenlose Verhütungsmittel und kostenlose Abgabe der „Pille danach“ sowie einen gleichberechtigten Zugang zu Informationen und Leistungen für Menschen mit Migrationshintergrund und für Geflüchtete;
  • Verpflichtung aller medizinischen Fakultäten und Ärztekammern zur Integration theoretischer und praktischer Inhalte in der Frage des Schwangerschaftsabbruchs in Studium und FachärztInnenausbildung;
  • sowie die Wiedereinrichtung voll ausgestatteter Lehrstühle für Endokrinologie und Reproduktionsmedizin an allen Universitäten;
  • die ersatzlose Streichung der Paragrafen 218/219 aus dem Strafgesetzbuch und des Paragrafen 12 aus dem Schwangerschaftskonfliktgesetzes (SchKG), in dem eine Mitwirkung der ÄrztInnenschaft an einem Schwangerschaftsabbruch freigestellt ist.


Ausgangspunkte – SAB international und national

Das Recht auf den Abbruch einer ungewollten Schwangerschaft ist in vielen Ländern der Welt nicht gegeben und führt in der Folge zu illegalen und unsicheren Abtreibungen mit all ihren Folgen für die gesundheitliche und soziale Situation der Frauen. Dies alles geschieht vor dem Hintergrund eines eingeschränkten Zugangs der Frauen zu Information und Aufklärung über Sexualität und Familienplanung sowie zu modernen Verhütungsmöglichkeiten und zementiert soziale und geschlechterbezogene Ungleichheit und Abhängigkeit der Frauen, gefährdet ihre Gesundheit und ihr Leben.

Auch in Deutschland gibt es nach wie vor reale Einschränkungen im Kontext der reproduktiven Selbstbestimmung von Frauen. Dies zeigt sich im Bereich des Zugangs zu Verhütung, zu reproduktionsmedizinischen Leistungen, aber vor allem im Kontext des Schwangerschaftsabbruchs. Diese Einschränkungen sind verknüpft mit tradierten Positionen zu Sexualität, Frauenrechten und Schwangerschaftsabbruch. Aktuelle

rechtspopulistische und christlich-konservative Bestrebungen plädieren im Kontext von sogenannten „Lebensschutz“ und konservativen Familienmodellen orientierten und pronatalistischen  Argumentationen für die Aufrechterhaltung und den weiteren Ausbau bestehender Restriktionen. TERRE DES FEMMES lehnt den Versuch religiöser  Akteure ab, Einfluss zu nehmen auf die Debatte zum Beginn und zum Enden des Lebens.

Das Hineinwirken in und z.T. Verschmelzen dieser restaurativen Vorstellungen mit der Politik erfordert Wachsamkeit. TERRE DES FEMMES positioniert sich für eine Sicherung der reproduktiven und sexuellen Selbstbestimmung in unserer Gesellschaft.

Die aktuelle Situation in Deutschland

  1. Rechtliche und politische Ausgangspunkte

In Deutschland steht die Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs grundsätzlich unter Strafe.

Die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs im Strafrecht geht auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1993 zurück. Dieses Urteil verpflichtet den Staat zum Schutz des ungeborenen Lebens. In der Konfliktlage zwischen dem postulierten existentiellen Lebensrecht des Embryos und dem Bedürfnis der Frau, eine ungewollte Schwangerschaft abzubrechen, stehe letzteres hinter dem Lebensrecht zurück.

Die strafrechtliche Regelung ist nicht zwingend für den durchaus bedeutsamen Schutz werdenden menschlichen Lebens. Andere Länder zeigen, dass es außerstrafrechtliche Regelungsmöglichkeiten gibt (u.a. in Frankreich, hier im Rahmen eines Gesundheitsgesetzes) oder die Regelung ganz und gar in die Obliegenheit der ärztlichen Verantwortung gestellt wird (z.B. Kanada).

Nur durch Kriterien der Unzumutbarkeit ist von einer Verpflichtung zum Austragen einer SS abzusehen (BVerfGE 88, 203 vom 28. Mai 1993). Für Frauen wie ÄrztInnen resultieren daraus einschlägige Restriktionen. TERRE DES FEMMERS kritisiert diesen Ansatz ob seiner ihm inhärenten diskriminierenden Grundhaltung Frauen und ÄrztInnen gegenüber. Frauen sind in der Lage und haben das Recht, über ihr Leben und ihren Körper selbst zu bestimmen und sind sich der Verantwortung gegenüber dem werdenden Leben bewusst.  ÄrztInnen sehen sich im Rahmen ihrer berufsethischen Grundsätze verpflichtet, nach den in ihrem jeweiligen Tätigkeitsfeld geltenden Standards von best practice zu handeln. Dies schließt eine adäquate und respektvolle Versorgung ihrer Patientinnen ein. Die derzeitige Gesetzeslage stigmatisiert Frauen und ÄrztInnen als potentielle StraftäterInnen. Dies hat einschlägige ernsthafte Folgen.

  1. Situation der Frauen und die Pflichtberatung

Die Pflichtberatung zum Schwangerschaftsabbruch ist Bestandteil dieses Reglementierungskontextes. Sie ist in sich widersprüchlich: einerseits soll sie zielorientiert dem Schutz des ungeborenen Lebens dienen, andererseits ergebnisoffen sein. Mit dieser Widersprüchlichkeit müssen BeraterInnen umgehen, sie wird aber vor allem auch von den Frauen gespürt und behindert vielfach eine wirklich offene Begegnung.[1]

  1. Situation der ÄrztInnen und Konsequenzen für die Versorgungssituation

Der Schwangerschaftsabbruch ist einer der am häufigsten durchgeführten gynäkologischen Eingriffe.

Darüber hinaus wird in diesen Bereichen in Deutschland nur noch wenig Grundlagenforschung betrieben, noch Studien durchgeführt.

Die Erfindung der Abtreibepille Mifepriston in den 80er Jahren war ein Meilenstein für die  Frauengesundheit. Immer da, wo sie zur Verfügung steht, geht die mütterliche Todesrate, zuvor verursacht von unsicheren Abtreibungen, massiv zurück. An der Entwicklung dieser medikamentösen Methode hat sich universitär die deutsche Endokrinologie nicht beteiligt. Leitlinien zum medikamentösen Schwangerschaftsabbruch, aber auch zum operativen, gibt es nicht. Eine Empfehlung von Seiten der Deutschen Gynäkologischen Fachgesellschaft zum medikamentösen SSA muss sich alleine auf Grundlagen stützen, die im Ausland erstellt wurden. Weder im Studium, noch in der fachärztlichen Weiterbildung ist der Schwangerschaftsabbruch verankert und nehmen die Abbruchverfahren einen gebührenden Platz ein. Hintergrund dafür ist die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs im Deutschen Strafrecht, worin der SSA generell rechtswidrig ist. Wer kann schon eine Universität verpflichten, rechtswidrige Inhalte zu lehren und zu beforschen?

  1. Status der Aus- und Weiterbildung im Medizinstudium in Hinblick auf den Schwangerschaftsabbruch.

Seit längerem wird in Deutschland eine zunehmende Unterrepräsentanz des Faches der Endokrinologie und Reproduktionsmedizin bis sogar zur völligen Auflösung der Abteilungen, wie in der Charité in Berlin, sowohl an den Universitäten, als auch in den Lehrkrankenhäusern wahrgenommen. Das heißt, dass die Lehre von den Hormonen der Frau weder in der MedizinerInnenausbildung noch in der FachärtzInnenausbildung ausreichend vermittelt wird. Dies führt zu einer Entwertung dieser Inhalte, die fatale Folgen hat. Denn zum einen spielen Hormone in allen Spektren von Frauenleben eine maßgebliche Rolle und zum anderen wird keine Medikamentengruppe von so vielen Frauen eingenommen wie Sexualhormone. Über ein gutes Basiswissen muss jede Ärztin, jeder Arzt verfügen.

  1. Regionale Defizite in der Versorgung

Nach der Einführung des medikamentösen SSA 1999 in Deutschland stieg der Anteil der Abbrüche mit dieser Methode auf 22%[2] im Vergleich zur Schweiz mit über 60% und Schweden mit über 80%.

In weiten Teilen Deutschlands besteht keine Methodenwahl, noch kann von einer flächendeckenden Versorgung für den SSA insgesamt ausgegangen werden.[3]

Es muss davon ausgegangen werden, dass innerhalb Deutschlands sowohl ein Abtreibungstourismus an sich, als auch bezüglich der medikamentösen Abbruchsmethode besteht.[4]

TERRE DES FEMMES wird sich dafür einsetzen, dass Frauen in Deutschland  Zugang zum Schwangerschaftsabbruch  im Sinne einer Regelversorgung erhalten mit freier Methodenwahl, auf dem letzten Stand der medizinischen Entwicklung und wohnortnah.

 

Verabschiedet durch die Mitfrauenversammlung von TERRE DES FEMMES.

Berlin, den 27. Mai 2018

 

Anmerkungen und Quellen:

[1] Die Standards professioneller Beratung schließen nicht von ungefähr einen Zwangscharakter und eine normierende Zielorientierung aus, sondern betonen die Bedeutung der eigenen Motivation der Klienten und der Nondirektivität.

[2] Vgl. Statistisches Bundesamt

[3] ebd.

[4] ebd.