Stellungnahme zur Unterzeichnung des Offenen Briefes an PolitikerInnen zur Frage der Konversionstherapie bei Mädchen von Godula Kosack, Vorstandsvorsitzende von TERRE DES FEMMES, und Inge Bell, stellvertretende Vorstandsvorsitzende

Als VertreterInnen von TERRE DES FEMMES – Menschenrechte für die Frau sehen wir unsere Aufgabe darin, Mädchen und jungen Frauen die Bandbreite an Möglichkeiten jenseits von Rollenklischees zu vermitteln und darauf hinzuwirken, dass alle ein Leben ohne patriarchale Zwänge selbstbestimmt und frei führen können.

Wir begrüßen es, dass das kürzlich im Bundestag verabschiedete Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen Therapien zur vermeintlichen „Heilung“ von Homosexualität nunmehr verbietet. Homosexualität ist keine Krankheit. Zweifelhafte Konversionstherapien, die die Homosexualität eines Menschen gewissermaßen „reparieren“ sollen, machen krank und verursachen psychisches und physisches Leid. Das Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen soll noch 2020 in Kraft treten.

Wir sind allerdings besorgt über die Folgen der möglichen Auslegung eines anderen Aspekts dieses im Grunde richtigen Gesetzes. Darin wurde – unserer Kenntnis und Meinung nach – kurzfristig die Erweiterung des Gesetzes um die Kategorie „Geschlechtsidentität“ ohne breitere gesellschaftliche Debatte und insbesondere ohne die Einbeziehung von Frauenrechtsorganisationen mit verabschiedet. Kindern und Jugendlichen, die den Wunsch äußern, ins andere Geschlecht zu wechseln, dürfe demnach nicht widersprochen werden. Das Gesetz erwartet von PsychotherapeutInnen, PädagogInnen und Eltern, dass sie die deklarierte Geschlechtsidentität von Kindern und Jugendlichen nicht „unterdrücken“ oder „verändern“, sondern akzeptierend und affirmativ, wenngleich ergebnisoffen begleiten sollen.

Wir mahnen: ganz unabhängig von diesem Gesetz müssen Mädchen im Prozess auf der Suche nach sexueller Orientierung und Identität bestmöglich, d.h. durchaus auch hinterfragend, unterstützt werden. Keinesfalls darf unserer Meinung nach dem Wunsch zur Transition einer Minderjährigen undifferenziert und ohne fachkundige Prüfung und Beratung hinsichtlich der Ursachen und Folgen ihres Wunsches nachgegeben werden. Das gilt besonders dann, wenn mit der Transition körperliche Eingriffe wie lebenslängliche Hormonbehandlung oder irreversible geschlechtsangleichende Operationen – Mastektomie (Brustamputation) und/oder Hysterektomie (Gebärmutterentfernung) – verbunden sind.

Wir sehen mit großer Besorgnis, dass gerade in den letzten Jahren deutlich mehr Mädchen als Jungen den Wunsch nach Transition umgesetzt haben. Mädchen haben offenbar insbesondere in der Pubertät genügend Anlässe, lieber Jungen sein zu wollen, um dem zu entgehen, was sie in der Gesellschaft an Diskriminierung, Abwertung und Frauenfeindlichkeit erleben. Wenn Mädchen nicht mehr Mädchen sein wollen, sollte uns das alle alarmieren. Die Flucht aus einem diskriminierten Geschlecht durch Transition darf keine Notlösung sein und ist es auch nicht. Wenn die Gesellschaft es nicht schafft, patriarchale Strukturen zu überwinden ist eine Transition kein geeigneter Weg, damit umzugehen.

Aus diesem Ansinnen heraus haben wir den offenen Brief an PolitikerInnen zur Streichung des Zusatzes „Geschlechtsidentität“ aus dem Gesetzentwurf unterzeichnet. Wir wollten damit dem überaus schwerwiegenden Problem von sich „im falschen Körper fühlenden“ Kindern und Jugendlichen eine breitere gesellschaftliche Debatte einräumen. Bedauerlicherweise erkannten wir bei der Unterzeichnung des Briefes nicht, dass er Formulierungen enthielt, die ungewollt zumindest eine Nähe zur Transfeindlichkeit aufwiesen und unserer ursprünglichen Intention nicht entsprachen. Wir haben durch die Kritik an dem Brief verstanden und gelernt, dass manche Formulierungen tatsächlich solch eine Schlussfolgerung zulassen, die wir zu keiner Zeit wollten.

Deshalb distanzieren wir uns nunmehr von unserer Unterzeichnung, die wir übrigens auch nicht für den Verein TERRE DES FEMMES, sondern als Individuen vorgenommen hatten, und nehmen sie nunmehr zurück.

Wir von TERRE DES FEMMES setzen uns ein für Mädchenschutz und Frauenrechte. Deshalb werden wir darauf hinwirken, geeignete fachliche Standards für die Beratung von Menschen, insbesondere Mädchen mit Transitionswünschen, zu etablieren.

Gleichzeit mahnen wir zur Wachsamkeit: Voreilig, leichtfertig und unreflektiert sollte keine derart lebensverändernde Entscheidung wie eine Transition bei Kindern und Jugendlichen gebilligt werden.

Eine kritische, fachkundige und am Kindeswohl orientierte Begleitung von Transitionsbegehren von Kindern und Jugendlichen ist keine Form von Transphobie. Wir stehen hinter Trans-Menschen, die nicht in ihrem Körper mit ihrem Geburtsgeschlecht leben können und ihn entsprechend anpassen möchten und mitunter bereits einen langen Leidensweg hinter sich haben. Auch Trans-Frauen sind bei TDF Mitglied. Wir lehnen die Diskriminierung von Trans-Menschen kategorisch ab und stehen dafür ein, dass alle Menschen gleichberechtigt und frei von Diskriminierung und Angst leben können.

TDF steht in einem wertschätzenden Austausch mit der dgti – der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität – die sich ebenfalls für eine sorgfältige kompetente Beratung und Begleitung für Trans-Menschen einsetzt und Beratende hierfür qualifiziert. Wir ziehen an einem Strang, wenn es darum geht, für Menschen, die strukturell diskriminiert und benachteiligt werden, eine gleichberechtigte Zukunft zu schaffen – im Namen der universell gültigen Menschenrechte.

Beide Vereine beklagen, dass sie sich in ihrer alltäglichen Arbeit oft pauschalen Vorwürfen ausgesetzt sehen, die der dgti „Frauenfeindlichkeit“ und TDF „Transphobie“ unterstellen.

TDF grenzt sich ab von extremen Positionen, die Frauen das Frausein absprechen wollen und damit verhindern möchten, dass der Missbrauch und die Unterdrückung von Mädchen und Frauen sichtbar sind.

 

Leipzig, 17.06.2020