TERRE DES FEMMES veranstaltete einen erfolgreichen Abend zum Thema „Gleiches Recht für alle – Nein zur Scharia“ in Berlin

Am Vorabend der jährlichen Mitfrauenversammlung von TERRE DES FEMMES e.V. findet traditionell ein öffentlicher Themenabend statt – so auch in diesem Jahr, diesmal unter dem Titel „Gleiches Recht für alle – Nein zur Scharia“. Daher zog es am 24. Mai etwa 90 BesucherInnen zu der Veranstaltung ins DGB-Haus in Berlin, um sich durch Fachvorträge und eine Podiumsdiskussion über die Scharia zu informieren und mitzudiskutieren.

Irmingard Schewe-Gerigk, Vorstandsfrau bei TERRE DES FEMMES, begrüßt die Anwesenden. Foto: © Anne PiestIrmingard Schewe-Gerigk, Vorstandsfrau bei TERRE DES FEMMES, begrüßt die Anwesenden. Foto: © Anne PiestDie TERRE DES FEMMES-Vorstandsvorsitzende Irmingard Schewe-Gerigk begrüßte zunächst das Publikum und begründete die diesjährige Themenauswahl der Veranstaltung bzw. die Ablehnung von Teilen der Scharia durch TERRE DES FEMMES:
Der rheinland-pfälzische Justizminister Jochen Hartloff hatte im Februar 2012 erklärt, er halte bei zivilen Rechtsstreitigkeiten Scharia-Gerichte in Form von Schiedsgerichten für möglich.
Mit dem Verweis auf kirchliches Arbeitsrecht hatte er von Vorbildern im bereits existenten deutschen Recht gesprochen. Frau Schewe-Gerigk stellte diese Sichtweise jedoch massiv in Frage, denn ein uneheliches Kind oder eine Abtreibung sind im katholischen Arbeitsrecht Kündigungsgründe. Diese Praktik könne und dürfe keinen Vorbildcharakter haben. Zudem verwies sie auf bereits legal bestehende Scharia-Gerichte in Großbritannien, vor denen geschäftliche Konflikte, Scheidungsfälle, Erbschaftsstreitigkeiten und Familienkonflikte geregelt werden. Vor diesen englischen Schiedsgerichten würden Frauen aber gegenüber Männern stark benachteiligt, da z.B. eine Frau 400 Pfund für eine Scheidung zahlen müsse, Männer jedoch nur 200. Frauen müssten außerdem Gründe für die Scheidung vorbringen, Männer nicht.

Zum Einstieg in die Thematik der Scharia wurde daraufhin ein Ausschnitt aus dem Film „Scharia und Grundgesetz in Neukölln“ von MaDonna-Mädchentreff gezeigt, der die öffentliche Wahrnehmung der Scharia in der Bevölkerung spiegelt und eindeutig zeigt, dass über Inhalte und Bedeutung sowohl der Scharia als auch des Grundgesetzes viel Unwissen besteht. Daher, so Irmingard Schewe-Gerigk abschließend, sei es an der Zeit, einen Fachabend zu diesem Thema zu veranstalten und sich mit Hilfe von Vorträgen hochkarätiger Referentinnen und anschließender Diskussion mit der Scharia auseinanderzusetzen, und übergab das Mikro an die Vorstandsfrau Mary Devery, die durch den weiteren Abend führte.

Arzu Toker, die erste Referentin des Abends, ist sowohl die Gründerin zahlreicher migrationspolitischer Projekte als auch als Autorin, Übersetzerin, Bildhauerin und politische Journalistin tätig. Frau Toker, die seit 1974 in Deutschland lebt und in der Türkei geboren wurde, wurde unter anderem dem Abdi Ipekçi-Preis für Frieden und Freundschaft ausgezeichnet. Sie erklärte eingangs, dass die Scharia (wörtlich übersetzt: Der klare Weg) sich vor allem aus dem Koran, der Sunna (Tradition des Propheten) und den Hadithen (Überlieferungen) ableite und die Summe aller islamischen Rechtsgrundlagen darstelle.

Demnach sei die Befolgung des Wortes Gottes im Koran und die Nachahmung des vorbildlichen Lebens Mohammeds, das in der Sunna dargestellt werde, die Pflicht aller Muslime. Sie erklärte außerdem, dass die Scharia in ihrer strengsten Auslegung alles im Leben eines Muslims regele und den Anspruch habe, unfehlbar zu sein. Damit sei eine Widersetzung gegen die Scharia eine Widersetzung gegen Gott.
Um darzulegen, welchen Einfluss die Scharia das Verhältnis von Frauen und Männern habe, zitierte die Referentin aus dem von ihr übersetzten Buch „Frauen sind eure Äcker“ von Ilhan Arsel. In diesem heißt es, die Aufgabe der Frauen sei es, zu hause zu bleiben, den Mann zu befriedigen, nichts zu wollen, sich stets zu bedecken und sich nicht scheiden zu lassen. Da die Frau als Mensch von geringerer Intelligenz und geringerer Religiosität begriffen werde, sei das Scheidungsrecht nur dem Mann zugesprochen. Nach Frau Toker werden durch die strengen Regelungen der Scharia damit nicht nur Frauen, sondern auch Männer in ihrer Freiheit und ihrem Menschsein beschränkt. Ihr Fazit am Ende ihres interessanten Vortrags: „Es ist traurig, dass wir uns nach 40 Jahren Migration in Deutschland mit Gesetzen von vor 1.400 Jahren beschäftigen müssen.“

Im Anschluss daran beleuchtete die Autorin und Rechtsanwältin Seyran Ates die Thematik der Scharia aus juristischer Sicht. Frau Ates war Mitglied der Deutschen Islamkonferenz, nahm am Integrationsgipfel der Bundesregierung teil und wurde vom Bundespräsidenten a.D. Horst Köhler für ihr Engagement für Integration und Gleichberechtigung mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Sie begann ihren Vortrag ausgehend vom Titel der Veranstaltung „Gleiches Recht für alle“ mit der Frage nach der genaueren Bedeutung der Schlüsselwörter „gleich“ und „alle“. Sie verwies auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948, in der es heißt: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ Doch diese fundamentale Erklärung stand am Ende einer jahrhundertelangen Entwicklung, wie Frau Ates ausführte. So bestand auch im Christentum Gleichheit erst einmal nur vor Gott. Erst mit der Aufklärung und durch den Kampf vieler christlicher und jüdischer Frauen bestand die Gleichheit schließlich auch vor dem (weltlichen) Gesetz. Im Islam dagegen herrsche weiterhin nur eine Gleichwertigkeit vor Gott, was jedoch keine Gleichberechtigung bedeute. So sei das Freiheitsverständnis, wie es in der Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam von 1990 zum Ausdruck käme, auch mit unserem „westlichen“ Verständnis von Freiheit nicht kompatibel; denn jene werde nur innerhalb der Grenzen der Scharia gewährt.

Die Teilnehmerinnen der Podiumsdiskussion (v.l.n.r): Mary Devery (Moderation), Seyran Ates, Arzu Toker, Claudia Dantschke. Foto: © Anne PiestDie Teilnehmerinnen der Podiumsdiskussion (v.l.n.r): Mary Devery (Moderation), Seyran Ates, Arzu Toker, Claudia Dantschke. Foto: © Anne PiestFrau Ates betonte in diesem Zusammenhang aber auch, dass die Scharia kein herkömmlicher Gesetzestext sei, der als Gesamtwerk zu kritisieren sei. So seien beispielsweise die rituellen Vorgaben, wie sie in den fünf Säulen des Islam zum Ausdruck kämen (Glaubensbekenntnis, tägliches Gebet, Pflichtalmosen etc.), in keiner Weise Gegenstand ihrer Kritik. Man müsse jedoch genau hinsehen, welches Rechtsverständnis die Scharia vermittle. Grundsätzlich hielt Frau Ates fest, dass die Scharia ein religiöses Recht sei und bleibe und daher mit dem deutschen, säkularen Grundgesetz nicht vereinbar sei. Sie zeigte sich daher besorgt über Gerichtsurteile wie jenes aus dem Jahr 1993, in dem ein Freiburger Gericht ein Mädchen vom Sportunterricht befreite, da auch Mohamed keinen Sport betrieben und auch nicht dazu aufgerufen habe. Somit folgte das Gericht einer bestimmten Auslegung der Überlieferungen (Hadithen). Am Ende ihres Vortrags zeigte sich Frau Ates aber optimistisch, Änderungen herbeiführen zu können, wenn man nur dafür kämpfe, so dass am Ende in der deutschen Gesellschaft kein „Ich versus die Anderen“ mehr vorherrsche, sondern ein „Wir“.

Eine weitere Bereicherung des Abends war der Beitrag der Arabistiin Claudia Dantschke. Sie war lange als freie Journalistin für die private deutsch-türkische Fernsehanstalt AYPA-TV in Berlin tätig und ist seit Dezember 2001 wissenschaftliche Mitarbeiterin der ZDK-Gesellschaft Demokratische Kultur Berlin. Sie betonte, dass neben Koran und Sunna auch das Gewohnheitsrecht und der Konsens der Gelehrten Quelle maßgeblich für die Auslegung der Scharia seien, man also nicht von „einer“ Scharia sprechen könne. In Deutschland lebten Muslime aus den unterschiedlichsten Regionen der Welt und diese Vielfalt spiegele sich auch in den Islam- und Scharia-Interpretationen wieder. Deshalb sei es wichtig, sich mit denen zu beschäftigen, die die Deutungshoheit beanspruchen. Als Expertin für politische und religiöse Radikalisierungsprozesse thematisierte Frau Dantschke vor allem die besorgniserregenden radikalen islamistischen Strömungen. Laut Claudia Dantschke besteht bei vielen, vor allem jungen Muslimen eine große Unsicherheit und Unwissenheit über die religiösen Texte, so dass salafistische Strömungen Zulauf bekämen. Der Salafismus ist eine religiöse Strömung innerhalb des Islams, die sich an der Frühzeit des Islam orientiert. Der „verbandsgetragene Mainstream-Islam“ scheine von diesen salafistischen Strömungen, die für sich beanspruchen, die absolute Wahrheit zu vertreten, überholt zu werden. Die Referentin erklärte hierbei, dass salafistisch-konservative Kreise eine in konservativen muslimischen Kreisen verbreitete biologistische Sicht auf die Geschlechter hätten, wonach Frauen und Männer vor Gott gleich seien, sich biologisch jedoch unterschieden und daher unterschiedliche Rollen zu erfüllen hätten. Da die Frau also gebären könne, solle sie nach salafistischer Sicht die Rolle als Ehefrau und Mutter leben, so dass die Gesellschaft wachsen könne. Ein berufliches und gesellschaftliches Agieren sei den Frauen zwar erlaubt, jedoch in fest vorgegebenen Grenzen, entsprechend der strengen moralischen Vorgaben. Diese festen Vorgaben, so salafistische Prediger, würden die Frau erst frei machen. Demgegenüber seien die „Frauen des Westens“ nicht frei, sondern Sklavinnen der Schönheitsindustrie, Konsumgesellschaft und Wirtschaft. Frauen im Islam seien hingegen Dienerinnen Gottes, nicht jedoch der Wirtschaft oder des Mannes.

Claudia Dantschke berichtete, dass gerade für viele Mädchen und Frauen der Salafismus sehr attraktiv sei, da sie „innerhalb eines sehr engen Korsetts“ eine klare Aufgabenzuteilung hätten und sie sich weniger unterdrückt fühlten als in traditionell patriarchalen Kreisen, die Gewalt oftmals willkürlich und ohne jedwede Erklärung anwendeten. Trotzdem, betonte Frau Dantschke, seien die Frauen in salafistischen Gruppen nicht gleichberechtigt und selbstbestimmt.

Im Anschluss an die Einzelvorträge moderierte Mary Devery, Historikerin und Vorstandsfrau von TERRE DES FEMMES e.V. eine rege Podiumsdiskussion zwischen den Referentinnen, die von Fragen aus dem Publikum ergänzt wurde.

Alle Referentinnen konnten sich hierbei darauf einigen, dass es definitiv Teile der Scharia gäbe, die nicht mit dem Grundgesetz vereinbar seien und dass die Entstehung einer parallelen Rechtspraxis in Deutschland deshalb vermieden werden müsse. Frau Dantschke betonte noch einmal, dass der Koran Interpretationssache sei und dass die zurzeit noch dominierende Interpretation eine frauenfeindliche sei. Trotzdem habe die Mehrheit der Muslime kein Problem mit dem Grundgesetz und müsse in der Diskussion mitgenommen werden, um nicht in Gefahr zu geraten, radikalen Strömungen zu verfallen.

Als weiteres Problem erkannten die Referentinnen, dass es keine Instanz gäbe, die Imame ernenne und dass damit charismatische „Gelehrte“, die eine totalitäre Interpretation des Islams propagieren, eine große Anhängerschaft finden können, wenn sie denn charismatisch sind und geschickt agieren. Besonderes Interesse erweckten die salafistischen Konvertitinnen, so dass Frau Ates erklärte, dass einige der Frauen mit den Möglichkeiten, die Freiheit böte, nicht umgehen könnten. Claudia Dantschke ergänzte, dass die globale Welt sehr kompliziert geworden sei und Salafisten vielen Menschen eine Orientierung bieten würden – die eindeutig nach außen abgrenzbare Identität sei reizvoll für Viele – Frauen wie Männer. Auch die egalitäre Gemeinschaft, die eine weitgehende Hierarchielosigkeit bedeute, würde Hoffnungen verheißen, streng hierarchischen, wie zum Beispiel patriarchalen, Strukturen zu entkommen.

Einigkeit bestand bei den Diskutierenden darüber, dass sowohl inner- als auch außermuslimisch ein großes Unwissen über die religiösen Texte des Islams herrsche, und somit der Aufklärung darüber eine große Bedeutung zukomme.

Nach zweieinhalb Stunden voller interessanter Beiträge und lebhafter Diskussionen endete der Abend schließlich. Alle waren sich einig: Man hätte noch Stunden weiterreden können.
Der Abend hat eindeutig gezeigt, dass es, trotz aller Unterschiede, eine Gemeinsamkeit gibt – die Forderung nach gleichem Recht für alle!

TERRE DES FEMMES bedankt sich bei allen Beteiligten für diesen gelungenen Abend.