Ingeborg Kraus und Pinar Selek (rechts) (Treffen in Marseille 2013). Foto: © Ingeborg Kraus2012 nahm ich an einer Veranstaltung mit Pinar Selek in Straßburg teil. Sie ist Soziologin, Feministin und Kämpferin gegen Machismus. Sie ist auch die Enkelin von einem der Gründer der türkischen Arbeiterpartei und Tochter eines bekannten Menschenrechtsanwalts. Seit 1998 wird ihr fälschlicherweise vorgeworfen eine Bombe in Istanbul gelegt zu haben und terroristische Aktivitäten zu unterstützen. Sie wurde daraufhin festgenommen und im Gefängnis gefoltert. Seit 2009 lebt sie im Exil. Zuerst in Deutschland, anschließend in Frankreich.
Nach der Veranstaltung kam sie zielstrebig auf mich zu: „Helfen sie mir“, sagte sie. „Wie kann ich ihnen helfen?“. „Helfen Sie, dass ich eine gerechte Gerichtsverhandlung erhalte. Ich möchte zurück in meine Heimat.“
Anschließend flog ich 4 Mal nach Istanbul und Ankara, um als internationale Gerichtsbeobachterin von TdF den Prozess zu verfolgen und zu dokumentieren (siehe beigefügte Artikel). Aus der ganzen Welt mobilisierten sich Menschen, um Solidarität mit Pinar Selek zu zeigen und für die Meinungsfreiheit und Rechtstaatlichkeit in der Türkei zu kämpfen. Denn an diesem Prozess sollte ein Exempel statuiert werden: darf Systemkritik existieren oder wird sie mit dieser Justizschikane zum Schweigen gebracht?
Ingeborg Kraus auf dem Platz der Grundrechte in Karlsruhe kurz vor dem Abflug nach Ankara. Foto: © Ingeborg KrausAcht Jahre sind seitdem vergangen. Pinar Selek lebt immer noch im Exil. Sie wurde für lebenslänglich verurteilt. Sie ist mittlerweile nicht die Einzige türkische Bürgerin, die dieses Schicksal trifft. Laut Reporter ohne Grenzen sind in der Türkei derzeit rund 165 Journalisten im Gefängnis. Damit ist die Türkei weltweit das Land mit den meisten inhaftierten Medienschaffenden.1 Zehntausende, die vom Erdogan Regime als Staatsfeinde eingestuft wurden, sind von ihren Ämtern entlassen worden: Beamte, Richterinnen, Ärzte, Lehrerinnen, Diplomaten, Journalistinnen, etc.. Viele von ihnen bitten um Asyl in Deutschland. Sie haben mittlerweile einen Namen: man nennt sie Erdogan-Flüchtlinge.
Viele leben in Deutschland und ihr Schicksal bleibt oft unsichtbar hier in unserem Land, das viele Erdogan-Anhänger hat und unser Staat sich nicht richtig traut, die Missstände in der Türkei anzusprechen.
Vor ein paar Tagen bat mich Hatice, eine Universitätsprofessorin aus der Türkei, etwas zum Weltflüchtlingstag zu schreiben. Sie ist eine von vielen Erdogan-Flüchtlingen hier in Deutschland.
Dr. Ingeborg Kraus
Berichte zum Prozess gegen Pinar Selek von Ingeborg Kraus
04.01.2013 Pinar Selek: Kafkaesker Prozess unter den Augen der Weltöffentlichkeit.
30.04.2014: Prozessbeobachtung des Verfahrens zu Pinar Selek in Ankara/Türkei
05.10.2014: Pinar Selek oder die Kritik am Männlichkeitskult!
05.04.2015: Pinar Selek: Verurteilung zu lebenslanger Freiheitsstrafe
Quelle
1 www.zeit.de/politik/ausland/2017-07/tuerkei-cumhuriyet-journalist-aydin-engin