AvivA Verlag, Berlin 2019. 400 Seiten.
Eigenwillig ist Alma Karlin von Kind auf. Mit 18 verlässt sie ihren Geburtsort Cilli, damals zu Österreich-Ungarn gehörend, gen London. Bevor der Ausbruch des Ersten Weltkriegs sie von dort nach Skandinavien vertreibt, legt sie erfolgreich die Prüfung in acht Sprachen ab. In Cilli wartet sie das Ende des Krieges ab, um am 24. November 1919 ihrem inneren „Drängen“ folgend einen Ozeandampfer zu besteigen, der sie nach Lateinamerika bringen wird. Acht Jahre wird sie unterwegs sein: von Lateinamerika weiter über Kalifornien und Hawaii nach Japan, ihr ursprüngliches Reiseziel, und dann weiter nach China.
Im Gepäck hat die alleinstehende und alleinreisende Dreißigjährige ihre Schreibmaschine „Erika“ und ihr selbstgeschriebenes Wörterbuch in zehn Sprachen dabei.
In geistiger Hinsicht gut gewappnet, um „in Wort und Schrift für den Weltfrieden unter den Völkern zu arbeiten.“
Ihre finanzielle Situation ist hingegen äußerst dürftig. Sie reist dritter Klasse, gibt Sprachunterricht, malt Postkarten, arbeitet als Dolmetscherin, um ihre Reiseetappen zu finanzieren. Oft muss sie sich mit karger Kost begnügen.
Ihrem Unternehmensgeist kann das keinen Abbruch tun. Vernichtend ihr Urteil über die besser gestellten Passagiere: „Ersteklassereisende fahren hingegen wie Mehlsäcke mit Adreßschein – sie rollen durch das Land und lernen nichts, weil sie sich in einem magischen Kreis ihresgleichen bewegen und das Volk an ihnen wie ein Kinobild vorbeistreift.“
Karlin nutzt jeden noch so kurzen Aufenthalt, um das Land zu erkunden, das Gespräch mit den Menschen zu suchen. Die Europäerin kommt in den Genuss der Gastfreundschaft der Einheimischen, vor allem die der Frauen.
Von einer Frau in Acapulco lernt sie „mehr über Land und Leute, als durch alle die Bücher, die ich vorher gelesen hatte. Sie erzählte ihr Leben, und darin, wie in einem Spiegel, entrollte sich das ganze Mexiko mit seinem Licht und seinen Schatten.“ Sie scheut auch vor dem Kauen von Coca nicht zurück, „um herauszufinden, ob man tatsächlich weder Hunger noch Durst verspüre“.
Vor hundert Jahren alleine als Frau unterwegs zu sein, war vor allem auch ein wagemutiges, riskantes Unternehmen für Leib und Seele. Immer wieder wird sie von „Mannszweibeinern“ bedrängt, belästigt, oft beinahe vergewaltigt.
Traumatische Folgen hat ein nächtlicher Überfall in ihrer Wohnung in Peru, den sie gerade noch abwehren kann: „Ich nahm in einer Woche um fünf Kilo ab, und die Angst, in einem ganz finsteren Zimmer zu schlafen, ist mir für das Leben geblieben.“ Sie führt jetzt immer einen „vergifteten“ Dolch mit sich.
Angetrieben von ihrer Wissbegierde hält die selbsternannte „Kolumbustochter“ durch, nutzt jeden freie Minute zum Schreiben und zum Malen, durchforstet Landschaften und Bibliotheken.
Anerkennung findet sie in Panama, wo sie zur ersten vereidigten weiblichen Dolmetscherin der Provinz wird. In Japan ergattert sie eine Stelle in der Deutschen Botschaft von Tokio und kommt mit dem Zen-Buddhismus in Berührung, lernt japanische Tuschemalerei kennen.
Obwohl Karlin als Kind ihrer Zeit den eurozentristischen Blick nicht immer ablegen kann, bewundern wir ihre eigensinnige und unbestechliche Sicht auf eine ihr fremde Umwelt, der sie sich nicht selten todesmutig öffnet.
Allemal fesselnd ist ihr besonderer Schreibstil: manchmal philosophisch, manchmal humorvoll, oft auch (selbst-)ironisch und immer unumwunden.
Zum Glück gibt es 100 Jahre nach Antritt ihrer „Einsamen Weltreise“ diese Neuauflage ihres Reisejournals.
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Jerneja Jezernik
Mit einer Einleitung von Britta Jürgs
5% des EInkaufspreises gehen an TERRE DES FEMMES