Frauen und Kinder auf der Flucht
Ludwig Verlag, Verlagsgruppe Random House, München 2016. 300 Seiten.
Mindestens die Hälfte der Menschen, die sich weltweit auf der Flucht befinden, sind Mädchen und Frauen. Aber auf den in den Medien verbreiteten Bildern waren bis Anfang dieses Jahres fast nur Männer zu sehen. Die Frauen und Mädchen schaffen es meistens nur über die Grenze ihrer Heimat ins Nachbarland.
Um mehr über das Los dieser Frauen zu erfahren, begibt sich die Journalistin Maria von Welser auf die Reise zu den Flüchtlingscamps in der Türkei, im Libanon und in Jordanien.
Dort sind die Frauen und Kinder in der Überzahl. Ihre Männer sind entweder an der Kriegsfront oder im Kampf gefallen. Oder eben auf dem Weg nach Europa.
In den Zeltstädten im Osten der Türkei, nahe Diyarbarkir, lernt sie Jesidinnen kennen, die zusammen mit ihren Kindern vor der Gräueltaten der Islamischen Miliz geflohen sind. Nur widerstrebend erzählen sie von Töchtern, die von den IS-Schergen verschleppt und vergewaltigt wurden, zur Heirat gezwungen. Oft wurden die Mädchen verkauft an arabische oder kurdische Händler, die sie wieder ihren eigenen jesidischen Familien feilboten.
Die Kurdinnen, die seit einem Jahr in ihrem Provisorium in der Türkei ausharren, möchten sobald wie möglich zurück nach Kobane, in die Heimat. Manche sind fest entschlossen, mit einer Frauenarmee gegen den islamistischen Terror anzutreten.
Im kleinen Libanon trifft sie die Frauen in sogenannten ITS, Informal Tented Settlements: Hütten aus Plastikplanen, ausgemusterten Materialen, Holzbrettern. Über 1200 solcher menschenunwürdigen Siedlungen verstreuen sich über das fruchtbare Bekaa-Tal. Für ihre medizinische Betreuung sorgt lediglich die kostenlose mobile Klinik, die alle zwei Wochen mit einem Arzt, zwei Krankenschwestern und einer Hebamme vorfährt.
Nur 20% der Geflüchteten kommen in Jordanien in einem Flüchtlingslager unter. Der Rest muss in Ruinen oder überteuerten winzigen Wohnungen hausen.
Auch hier sind es überwiegend Frauen, die sich unter widrigsten Bedingungen durchschlagen müssen, z.B. Asma. Sie wohnt mit fünf Kindern in einer feuchten Einzimmerwohnung für 125 €, ihr ältester Sohn verdient illegal 50 €. Seit 2015 stehen den Geflüchteten nur noch 50 Cent pro Tag vom Welternährungsprogramm WFP zu.
In der Öffentlichkeit werden Asma und ihre vier Töchter von Männern bedrängt.
Ohne den Schutz ihrer männlichen Familienmitglieder sind vor allem die alleinstehenden Frauen der Willkür von Polizisten, Soldaten, Vermietern und Schlepper ausgeliefert.
Von Welser skizziert immer wieder biografische Stationen der Frauen, mit denen sie sich unterhält. Der Syrerin Myriam hat sie gleich zwei Kapitel gewidmet. Sie gehört zu den Frauen, die sich mit ihren fünf Kindern bis nach Hamburg durchgeschlagen hat. Als ihre Tochter von einer der unberechenbaren Fassbomben, die Assad über der eigenen Bevölkerung abwerfen lässt, verletzt wird, fällt die Entscheidung zum Aufbruch. Für die Flucht wird Hab und Gut verkauft. Auf ihrer Odyssee voller Unwägbarkeiten können wir Myriam begleiten. Wir holpern Halt suchend mit ihr und ihren Kindern im vollgedrängten Pick-up durch die libysche Wüste Richtung Mittelmeer, verbringen mit ihnen zwei Nächte und drei Tage auf dem Meer, wo sie mit anderen 300 Menschen in Seenot geraten, um schließlich gerettet zu werden.
Die Lektüre des Buches lehrt uns das Ausmaß der Tragödie, die hinter jeder einzelnen Flucht steckt, zu erahnen. Kaum jemand, schon kaum eine Frau, begibt sich leichtfertig in die Heimatlosigkeit. Wir sollten ihnen mit Achtung begegnen.
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