• 30.01.2024

„Die Kinder versuchen mich zu belehren“ - Interview mit einer Berliner Lehrerin

TERRE DES FEMMES (TDF): Vielen Dank, dass Sie sich heute die Zeit nehmen mit TERRE DES FEMMES ein Interview zu führen. In den vergangenen Jahren beobachten Sie an Ihrer Schule eine verstärkte Hinwendung von Schülerinnen zur Abaya[1] und zum „Kinderkopftuch“. Zeitgleich werden Ihrer Erfahrung nach in vielen Unterrichtsfächern die Themen zunehmend schwerer vermittelbar, da religiöse Barrieren eine Reflektion verhindern.

Können Sie sich uns bitte kurz vorstellen? Wie lange unterrichten Sie bereits und welche Fächer? Wo und welche Schulform unterrichten Sie? Und können Sie uns bitte beschreiben, ob Sie spezifische Herausforderungen und Chancen sehen, die sich aus der Zusammensetzung der Schülerschaft und der Lage der Schule ergeben?

Lehrerin: Ich unterrichte seit fast 15 Jahren an einem Berliner Gymnasium. Meine Fächer sind Deutsch, Französisch, Ethik, Philosophie und Studium und Beruf habe ich auch unterrichtet.  Aktuell unterrichte ich die Klassenstufen 7-10. An der Schule wird bis zur 12. Klasse unterrichtet, aber dieses Jahr unterrichte ich keine Oberstufe.

Die Schwierigkeiten oder Herausforderungen sind insbesondere durch die Schülerschaft gegeben. Wir haben einen relativ hohen Anteil an Schülern nicht deutscher Herkunftssprache, einen relativ hohen Anteil an muslimischen Jugendlichen und einen hohen Anteil von Schülern von Familien, die von Transferleistungen leben.

TDF: Vielen Dank für Ihre einführende Worte. Wie Sie wissen, setzt sich TERRE DES FEMMES für die rechtskonforme Weiterentwicklung des Berliner Neutralitätsgesetzes ein. Wir argumentieren, der deutsche Staat hat sich zur Neutralität verpflichtet. Wer für den Staat in Verwaltung, Justiz oder im Schuldienst arbeitet, sollte sich mit dieser Neutralität identifizieren und diese ausstrahlen. Das Tragen von Kreuz, Kippa oder Kopftuch verkörpert für uns keine Neutralität. Aus der Praxis und aus der Wissenschaft wissen wir, dass Mädchen muslimischen Glaubens religiöses Mobbing erleiden können, wenn sie kein „Kinderkopftuch“ tragen. In extremen Fällen werden sie dann als „Schlampen“ und „unreine Huren“ bezeichnet. Andere tragen ein „Kinderkopftuch“, um soziale Anerkennung ihrer MitschülerInnen zu erhalten, wenngleich sie selbst aus säkularen Familien stammen. Lehrerinnen mit Kopftuch befrieden das Thema religiösen Mobbings und den Druck um soziale Anerkennung unserer Meinung nicht. Vielmehr haben Lehrerinnen Vorbildfunktion und können die schwierigen Themen in verschiedenen Richtungen verstärken.

In Berlin dürfen seit dem Schuljahr 2023/2024 Lehrerinnen mit Kopftuch an öffentlichen Schulen unterrichten. Auch an ihrer Schule unterrichtet seitdem eine Lehrerin mit Kopftuch und Abaya. Wo sehen Sie als Lehrerin Herausforderungen, wenn eine Kollegin mit Kopftuch und Abaya unterrichtet?

Lehrerin: Ich finde es insbesondere bedenklich, weil es mit den Lerninhalten zum Beispiel im Ethikunterricht nicht kompatibel ist. Wenn man für eine freiheitliche Interpretation und freie Gestaltung des Lebens eintritt, kann man nicht bejahen, dass Frauen ihr Haar bedecken müssen, um sich vor den begierigen Blicken der Männer zu schützen. Zudem ist es nicht kompatibel mit der Vorstellung, falls man kein Kopftuch trägt, dafür bestraft wird, dass man einen Fehler begeht, der irreversibel ist. Und dieser Fehler dazu führt, dass man in die Hölle kommt, dass das Sünde ist, dies erschließt sich mir nicht. Insbesondere, wenn eine Lehrkraft mit dieser Bekleidung auftritt, führt das meines Erachtens zu einer Verstärkung einer bestimmten Lesart dieser Textstelle im Koran, die umstritten ist. Wir beobachten in den letzten Jahren diese zunehmende Verschleierung von Schülerinnen. Und das Kopftuch ist eben nicht nur ein Kopftuch, sondern es geht auch darum auf welche bestimmte Art man das Kopftuch auch zu tragen hat.

Eine Lehrerin mit Kopftuch beeinflusst natürlich den Unterricht. Wenn diese eine Interpretation des Korans dazu führt, man müsse das Haar angeblich auf eine ganz bestimmte Art und Weise bedecken, verkörpert es keine neutrale Haltung mehr. Insbesondere, wenn die Vorstellung vertreten wird, dass neben dem Haar auch der Hals bedeckt sein muss. Zudem wird die Auffassung verkörpert, kein Haar darf herausgucken, kein einziges Haar. Falls ein einziges Haar herausguckt, ist es schon so dramatisch, dass die Mädchen sagen, sie müssten zur Toilette und müssten noch eine Freundin mitnehmen, die es begutachtet. Also es müssen zwei Kinder zur Toilette, um das Kopftuch wieder richtig zu binden und zu stecken. Und wenn man das nicht zulässt als Lehrkraft, dann ist man ein Rassist. An dem Tag, als meine Kollegin in einem schwarzen, bodenlangen Gewand im Lehrerzimmer stand, welches auch die Handgelenke bedeckt, und dem Kopftuch, das Schultern und Brust bedeckt, war ich daher sehr schockiert. Im ersten Moment sah ich eine Lehrerin aus dem Iran vor meinem inneren Auge.

TDF: Zusammengefasst, Sie haben das Gefühl, eine sehr strenge Lesart, wie ein Kopftuch getragen werden sollte, hält in der Schule Einzug?

Lehrerin: Das ist richtig. Wir hatten vor einigen Jahren eine Schülerin aus dem Iran. Sie war etwa zwei Jahre älter, da sie später in unsere Klassen aufgenommen wurde. Sie trug ihr Kopftuch etwas lockerer, etwas legerer, vorne waren die Haare am Ansatz zu erkennen. Als sie begann ihr „Kinderkopftuch“ auch konservativer zu tragen, habe ich sie angesprochen. Sie berichtete, sie wurde von jüngeren Schülern türkischer Abstammung angesprochen und sie haben gesagt: „Schwester weißt du eigentlich, dass du dein Kopftuch nicht richtig trägst?“ Daraufhin hat sie es dann auch so konservativ, wie die anderen, getragen. Es findet ein sozialer Druck statt, auch unter den Mädchen.

Im Kollegium sehen wir zunehmend auch, dass besonders Mädchen (aber auch Jungen) sich der konservativen Lesart des Islam hinwenden. Häufig sind die Eltern sehr liberal und überrascht über die religiöse Hinwendung ihrer Kinder. Es gibt es sogar Fälle, in denen die Kinder ihre Eltern entsprechend umerziehen wollen. 

Wir hatten z.B. eine 16-jährige Schülerin, die sich den Habaschiten[2] anschloss. Ich habe damals die Moschee, die sie besuchte, recherchiert. Sie begann einen riesigen Hijab[3] zu tragen, das war damals ganz neu an unserer Schule. Wir waren sehr besorgt und luden die Mutter zum Gespräch in die Schule. Sie berichtete, dass ihre Tochter sie gezwungen hatte im Wohnzimmer niederzuknien, gemeinsam mit ihrem Sohn, um „richtig zu beten". Ihre Tochter wollte auf den kleinen Hadsch[4] gehen und hatte sich schon in der Moschee für diese Reise angemeldet.  Zum Glück konnte die Mutter das verhindern.

TDF: Konnten Sie beobachten, dass durch das Tragen eines „Kinderkopftuchs“ es zu weiteren Kleidervorschriften kommt? Beispielsweise, mit dem „Kinderkopftuch“ solle auch der Brustbereich abgedeckt werden, oder man solle sich „moderat“ anziehen, sodass auch keine Handgelenke mehr zu sehen sind. Gibt es Verhaltensvorschriften, dass SchülerInnen nicht mit Jungen reden sollten, mit denen sie nicht verwandt sind?

Lehrerin: Naja, das wird so direkt natürlich nicht gesagt, aber man kann das schon beobachten, dass eine Verhaltensänderung eintritt. Aktuell ist es eine Art „Fashion“, dass das Kopftuch, was auch Schultern, Hals und Brust bedeckt, in der gleichen Farbe gewählt wird wie die Abaya. Das ist auch bei Tiktok oder Instagram zu sehen, wo es wohl viele Hinweise darauf gibt, dass gerade Ton in Ton angesagt ist.  

TDF: Was sind Ihre Beobachtungen, wie viele Schülerinnen kommen ab der 7. Klasse mit „Kinderkopftuch“ in die Schule? Wie viele fangen später an es zu tragen? Können Sie bitte von Ihren Einblicken und Beobachtungen erzählen?

Lehrerin: In der Regel sind in der 7. Klasse zwei bis drei Mädchen, die ein „Kinderkopftuch“ tragen, von ungefähr 32 Schülern pro Klasse. Das verändert sich anschließend. Ich gehe davon aus, dass der Koranunterricht in der Moschee auch einen Einfluss darauf hat. Die Kinder, die in der 7. Klasse im Gymnasium bei uns starten, gehen zusätzlich jeden Sonntag in den Koranunterricht in der Moschee und wie ich erfahren habe schreiben sie dort auch schriftliche Prüfungen. Es ändert sich in Klasse 8, 9 und 10, sodass man in Klasse 10 eine Verdoppelung von Mädchen hat, die ein „Kinderkopftuch“ tragen. Es ist so, die Mädchen feuern sich gegenseitig an. Es gibt diese Partys und Blumensträuße, die überreicht werden, als hätten sie Geburtstag. Als ich nachgefragt habe, stellte sich heraus, es ist kein Geburtstag, sondern sie feierten, weil ein Mädchen einen „mutigen“ Schritt gegangen ist und sich komplett einkleidet. Dann wird es aufgenommen in die community der Mädchen, die „Kinderkopftuch“ und Abaya tragen.  

TDF: Es findet somit eine Separierung statt: Kinder werden in die eine Gruppe aufgenommen, wenn sie das „Kinderkopftuch“ anlegen und es gibt die andere Gruppe, die kein „Kinderkopftuch“ trägt und somit ausgeschlossen ist. Können Sie uns von weiteren Vorfällen berichten, welche Sie im Schulalttag problematisch empfinden?

Lehrerin: Das Beispiel, was ich gerade brachte, hat kürzlich ein Kollege im Vertretungsunterricht erlebt. Ein Kind meinte es müsse dringend zur Toilette, um das Kopftuch zu richten, weil eine winzige Haarsträhne zu sehen sei. Hieraus hat sich ein Streitgespräch ergeben. Der Lehrer meinte, sie könne dies in der Pause machen und es keinen Grund gebe den Unterricht zu verlassen. Daraufhin sind die Jungs auf die Diskussion angesprungen und sagten, dass der Lehrer darauf kein Recht hätte dem Mädchen den Toilettengang zu verbieten, worauf dann weitere Vorwürfe folgten wie, dass der Lehrer keinen Glauben habe.

TDF: Das finde ich sehr interessant. In Gesprächen mit Frauen, die als Schülerin, ein „Kinderkopftuch“ getragen haben sowie aus Gesprächen mit SozialpädagogInnen und Lehrkräften wissen wir, dass einige Kinder Schwierigkeiten haben, fokussiert im Unterricht zu sein. Ihre Angst nicht „regelkonform“ das „Kinderkopftuch“ zu tragen, ist auch während des Unterrichts präsent. Dennoch hören wir immer wieder Stimmen, die sich dies nicht vorstellen können. Es ist für sie nicht vorstellbar, dass ein „Kinderkopftuch“ so gravierende Auswirkungen haben kann. Ihrer Schilderung entnehme ich, dass es durchaus für Kinder relevant ist, ob sie das „Kinderkopftuch“ im Unterricht „regelkonform“ tragen.

Lehrerein: Ja, ich stimme zu, dass es Kinder im Unterricht bewegt.

TDF:  Sehen Sie in einem Verbot des „Kinderkopftuches in öffentlichen Bildungseinrichtungen einen Vorteil für die gleichberechtigte freie Entwicklung von Mädchen?

Lehrerin: Auf jeden Fall. Es ist wirklich hilfreich, wenn es klar ist das keiner gezwungen ist und niemand Angst haben muss, wenn kein „Kinderkopftuch“ getragen wird. Dass man auch nicht angegriffen oder vergewaltigt wird oder sonst etwas Schlimmes passiert.

TDF:  Vielen Dank für Ihre Antwort. Können Sie uns bitte erläutern, warum für Sie Themen in vielen Unterrichtsfächern schwerer vermittelbar werden, da religiöse Barrieren eine Reflektion verhindern. Können Sie uns vielleicht ein konkretes Beispiel nennen?

Lehrerin: Es hat vor allen Dingen mit den Abbildungen zu tun, wir haben darüber auch im Kollegium mit Kunstlehrern gesprochen, sobald nackte Figuren zu sehen sind, halten sich die Mädchen die Augen zu und sagen sie dürften das nicht anschauen. Die Jungs erklärten gleich, dass dies stimme, sie [die Mädchen] dürften das nicht anschauen.

Letztes Jahr in einer 10. Klasse ging es um Sokrates. Dazu gibt es im Schulbuch ein Bild von einem Mann, der auf einem Stein sitzt und nachdenkt, wobei er nur ein Tuch um die Hüfte trägt, mit der Akropolis im Hintergrund. Ein sehr bekanntes Bild. Daraufhin hielt sich ein Mädchen tatsächlich die Augen fest mit beiden Händen zu und meinte sie dürfe sich das nicht anschauen. Ihr Sitznachbar war ein Junge afghanischer Abstammung und das Mädchen türkischer Abstammung. Die beiden haben in meinem Unterricht eine Liebesbeziehung entwickelt, was aber keiner mitkriegen durfte. Irgendwann hat sie angefangen das „Kinderkopftuch“ zu tragen, um seinen Vorstellungen zu entsprechen. Auf jeden Fall gipfelte es dann darin, dass sie sich an dieser Stelle die Augen bedeckt hat und sagte das würde nicht gehen.

Wir hatten auch noch eine andere Situation, wo Schüler des Leistungskurses Kunst im Schul-Foyer Skulpturen ausgestellt haben. Ein Schüler hatte eine menschengroße Skulptur geschaffen in Anlehnung an die Venusgöttin. Die Brüste wurden abgebildet. Jedoch wurde interveniert und gesagt sowas könne auf gar keinen Fall im Foyer der Schule ausgestellt werden, weil man die Gefühle der muslimischen SchülerInnen nicht berücksichtigen würde. Die Kunstlehrerin wurde daraufhin gebeten die Skulptur zu verhüllen. Es wurde ein dünnes Stofftuch um die Brust gelegt, wodurch die Skulptur etwas verhüllt wurde.

TDF: Die terroristischen Angriffe der Hamas auf Israel am 7. Oktober, haben sich auch auf deutsche Klassenzimmer ausgewirkt. Wir haben Zahlen in einer schriftlichen Anfrage beim Berliner Abgeordnetenhaus gefunden. 80% der jüdischen SchülerInnen haben aus Angst vor antisemitischen Übergriffen nicht mehr regelmäßig am Schulunterricht teilgenommen, Es gab auch an Berliner Schulen die Befürwortung der Angriffe auf Israel und damit der sexualisierten Gewalt an Frauen und Kindern in Israel. Erleben Sie in Ihrer Schule, Klasse oder auf dem Pausenhof diese Auswirkungen des Terrors?

Lehrerin: Ja, es ist eine sehr emotionale Reaktion unter den Schülern, die sich solidarisieren mit den muslimischen Menschen, die im Gazastreifen leben. Wir hatten auch Schmierereien auf den Toiletten und Solidaritätsbekundungen für die Hamas. Wir hatten schwierige Diskussionen in den Klassen und nicht alle Lehrkräfte fühlten sich in der Lage diese Gespräche zu führen, weil sie auch Angst hatten, es eskaliere und sei nicht mehr in den Griff zu bekommen, eben weil es superemotional ist. Wir hatten ebenfalls Lehrer, die gesagt haben, obwohl sie Politik oder Geschichte unterrichten, könnten sie das nicht in Klasse 7 machen, weil der Nahost-Konflikt erst in Klasse 9 behandelt wird und sie nicht wissen, wie sie es runterbrechen können auf das Niveau von Klasse 7. Also ich war vollkommen fassungslos, als ich das gehört habe, und ich finde es muss unbedingt bei der Ausbildung der Lehrkräfte was passieren. Meines Erachtens müssten alle Lehrer ein Modul machen zum Thema Demokratie und Antisemitismus. Dass ein Geschichtslehrer sagt, er könne das nicht in Klasse 7 unterrichten, kann doch nicht sein. Ich habe daraufhin versucht das Thema im Ethikunterricht zu behandeln. Wir haben uns gegenseitig beraten und überlegt was da am besten zu machen ist, aber es war sehr schwierig.

TDF: Fühlen Sie sich als Lehrkraft mit diesen Konflikten und Fragen allein gelassen? Würden Sie sich mehr Fortbildungen, mehr Projekttage oder dergleichen wünschen?

Lehrerin: Es gibt schon eine Menge Angebote dazu, es müsste einfach viel mehr von allen genutzt werden und es müsste Standard sein. Sodass auch der Mathelehrer und der Sportlehrer und auch der Musiklehrer daran teilnehmen.

In einer 8. Klasse sollten die Schüler im Musikunterricht zum Beispiel Lieder komponieren und einen Text dazu verfassen.  Ein Schüler hat mir danach stolz sein Lied mit dem Titel „7. Oktober" gezeigt und wollte meine Meinung dazu hören. Daraufhin habe ich gesagt, dass man das so nicht stehen lassen könne und es nicht eindeutig sei, was sie damit meinen würden. Die haben gedacht sie können den Musiklehrer an der Nase herumführen.

TDF: Wenn Sie drei Wünsche an die Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch richten könnten, was wären Ihre drei Wünsche?

Lehrerin: Klare Regeln im Umgang mit diesen Erscheinungen. Zum Beispiel, aktuell mit dem Gebet. Das Gebet dürfen wir nicht verbieten, also findet es in der Schule statt. Jede Schule muss sich jetzt selbst überlegen wie dort gebetet wird. Wir haben dann gesagt wir müssen eine Aufsicht machen fürs Gebet und haben dann ein organisatorisches Problem. Dann hieß es auch das müsse gelöst werden, weil wir auf jeden Fall das Beten erlauben müssen.  Jetzt haben wir das Beten im Flur. Dann kommen die religiösen Feste, feiern wir jetzt das Fastenbrechen oder feiern wir jetzt Ramadan welche religiösen Feste ziehen wir in Betracht? Dürfen wir jetzt Nikolaus feiern oder nicht? Also solche Diskussionen brechen da auf, wir brauchen klare Regeln. Klassenfahrten im Ramadan sind zum Beispiel eine Herausforderung. Meine Kollegen waren in London in einem Hotel und nachts sind die Leute zum Essen unterwegs und tagsüber sind sie fast umgefallen.

Ich denke von den Fortbildungsangeboten gibt es schon genug. Aber ich denke, dass es problematisch ist, dass jede Schule irgendwie für sich was finden muss. Es folgen viele Kontroverse und Diskussionen und inzwischen haben wir natürlich auch muslimische Lehrkräfte, welche immer sagen man könne es doch nicht verbieten und es sei doch Religionsfreiheit und dann muss man irgendwelche Kompromisse finden und es muss geregelt werden.

Präventionsarbeit - auch zum Nahost-Konflikt - muss an den Oberschulen bereits ab Klasse 7 beginnen. Die meisten Projekte, die Schulen zur Unterstützung an Land ziehen können, sind erst ab Klasse 9 möglich und bis dahin ist die Indoktrination durch die sozialen Netzwerke wie Tiktok, Instagram, auch durch Al Jazeera[5], so weit fortgeschritten, dass unsere Bemühungen eher eine Sisyphos-Arbeit sind

Auch die Aufklärung der Eltern über die Gefahren des Salafismus muss verbessert werden, das kann nicht auch noch von den Lehrkräften verlangt werden.

Es wäre auch schön wertgeschätzt zu werden oder zu hören, dass es eine unglaubliche Herausforderung ist. Es ist nicht nur der aktuelle Nahost-Konflikt. Auch die Konflikte rund um Samuel Paty[6] und Charlie Hebdo[7]. Es fing mit Charlie Hebdo an. Ich unterrichte damals eine 11. Klasse und es eine Schweigeminute, wobei es den ersten Widerstand gab. Es hieße dann, „machen wir nicht“ oder „wir schweigen nicht“ also dieser aggressive Ton wie „ihr sagt uns, dass wir hier jetzt schweigen sollen? Wir sind ja Opfer“ und „woanders sterben auch Menschen, für die macht ihr keine Schweigeminute“. Ich meine diesen aggressiven Ton, das hat sich einfach verändert und das ist auch die Sache mit dem „Kinderkopftuch“. Ich empfinde das Verhalten der Schüler als überheblich und mit einer Anspruchshaltung verbunden. Diese Schüler vermitteln „wir machen das so und es gibt nur diese Art und das ist die richtige“. Das hat sich unglaublich verschärft.

TDF: Meine Sie die Überbetonung der positiven Religionsfreiheit?

Lehrerin: Ja, und auch dieser Anspruchsgedanke. In ihrer Wirklichkeit zählt nur der Islam als einzig wahre Religion, als erste Religion. Alles andere interessiert sie nicht. Die Kinder versuchen mich zu belehren. Sie sagen zu mir: „Sie wissen das vielleicht nicht Frau Lehrerin, aber Jesus war eigentlich Muslim.“ Dann fragte ich wie das sein könne, denn der Islam ist doch viel später entstanden. In der Auffassung der Kinder ist allerdings jeder im Prinzip von Geburt an muslimisch. Wenn man natürlich in diesem Kontext und in dieser community aufwächst und immer nur das hört, dann ist man auch nicht offen für anderes. Das ist wie, als wenn wir alles falsch machen würden und sie alles richtig und, das bekommen sie scheinbar so eingeimpft.

TDF: Ein herzliches Dankeschön für Ihre Bereitschaft und Ihre Zeit mit uns dieses Interview zu führen. Sie ermöglichten uns einen tiefen Einblick in den Schulalltag eines Berliner Gymnasiums und dessen Herausforderungen.


[1] Abaya: Ein fuß- bis bodenlanges, langärmeliges Überkleid, welches über der normalen Alltagskleidung getragen und in der Regel zusammen mit einem Kopftuch kombiniert wird

[2] Habaschiten: Auch unter al-Habasch bekannt. Wurde in den 1980 Jahren zur Zeit des Bürgerkries in Beirut, Libanon, gegründet. Im wissenschaftlichen wie öffentlichen Diskurs ist wenig über sie zu finden. Durch libanesische AuswanderInnen verbreitete sich die muslimische Glaubensrichtung. In Berlin wurde 2010 die Omar-Ibn-Al-Khattab-Moschee vom Islamischen Verein für wohltätige Projekte (IVWP e.V.) eröffnet. Der IVWP wird den Habaschiten zugerechnet.

[3] Hijab: Arabisches Wort für Kopftuch bzw. „Kinderkopftuch“

[4] Hadsch: Ist eine Pilgerfahrt im Zuge des Islamischen Opferfestes (dem höchsten Fest des Islams). Mit dem Opferfest erinnern MuslimInnen an Abraham, der dem Koran zufolge seinen Sohn für Gott opfern wollte. Die Pilgerfährt soll von Gläubigen einmal im Leben absolviert werden und gehört zu den 5 Säulen des Islams.

[5] Al Jazeera: Der Nachrichtensender wurde 1996 vom Königshaus in Katar gegründet. Er hat sowohl arabisch- wie auch englischsprachige Webseiten und Sendungen und gilt als einer der einflussreichsten internationalen Medienkonzernen. An der journalistischen Objektivität gibt es seit  vielen Jahren Zweifeln und Kritik. Insbesondere seit dem 7. Oktober ist die ungefilterte Berichterstattung und mangelnde journalistische Distanz zu den terroristischen Hamas offensichtlich.

[6] Samuel Paty:  Am 16.10.2020 hat ein 18-Jähriger den Geschichtslehrer Samuel Paty in einem Pariser Vorort getötet und dann enthauptet. Die Tat gilt als islamistisch motivierter Mord und löste international Entsetzen aus. Vor der Tat war im Internet gegen Paty gehetzt worden, weil er im Unterricht zum Thema Meinungsfreiheit Karikaturen des Propheten Mohammed gezeigt hatte. Mehrere SchülerInnen haben dem Attentäter geholfen vor der Schule den Lehrer zu identifizieren und sind dafür verurteilt wurden.

[7] Charlie Hebdo: Am 07.01.2015 erfolgte ein islamistisch motivierter Terroranschlag auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo. Insgesamt kamen 12 Personen bei diesem Attentat ums Leben. Am 08.01.2025 tötete ein weiterer Attentäter eine Polizistin und tötete vier Menschen in einem Supermarkt für koschere Lebensmittel in Paris. Der Attentäter meinte sein Anschlag stehe in Verbindung mit dem Anschlag auf Charlie Hebdo.  

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