• 23.02.2024

Verrichtungsboxen in Berlin: Menschenunwürdige Zustände trotz Wissen der Bundesregierung und des Berliner Senats

In den versteckten Ecken von Berlin stapeln sich benutzte Spritzen, Feuchttücher und Kondome, hinter Büschen und auf Kinderspielplätzen. Es scheint, als gäbe es keine Lösung, die allen Betroffenen gerecht wird. Ein Hoffnungsschimmer sollte der Runde Tisch „Sexarbeit“ sein, der sich über ein Jahr hinweg regelmäßig traf. An diesem Diskussionsforum nahmen VertreterInnen der Berliner Senatsverwaltungen und Bezirksämter, der Polizei, Beratungsstellen, SozialarbeiterInnen, BordellbetreiberInnen, Prostituierte teil. Der politische Auftrag des Runden Tischs 2018 war klar formuliert: Die Rechte, Arbeitsbedingungen, Gesundheit und Sicherheit von Prostituierten in Berlin sollten verbessert werden. Die Antwort des Runden Tisches rief 2018 die Aufstellung von vier Verrichtungsboxen hervor.

Eine 1,5m2 große Box für Notdurft und Sex.

Auf der Kurfürstenstraße in Berlin sind die sogenannten Verrichtungsboxen längst kein verstecktes Geheimnis mehr und auch in den Medien wurde bereits umfangreich darüber diskutiert. In einer Kleinen Anfragewurden die hygienischen Verhältnisse, Abläufe und insgesamt menschenunwürdige Bedingungen, unter denen Prostituierte dort arbeiten, an die Bundesregierung herangetragen. Die Antwort bleibt enttäuschend vage und verweist lediglich auf das Bundeslagebild "Menschenhandel und Ausbeutung 2021", dort würde es Auskünfte zur aktuellen Situation geben. Bereits an dieser Stelle stellt sich die Frage, warum die Bundesregierung auf das Bundeslagebild Menschenhandel verweist, wo nach Prostituierten und nicht nach Betroffenen von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung gefragt wurde, wo ansonsten penibel darauf geachtet wird, Zwangsprostitution als eine Form von Menschenhandel und selbstbestimmte „Sexarbeit“ nicht in eine Schublade zu stecken.

Trotz bekannter Missstände gibt die Bundesregierung an, im regelmäßigen Austausch mit den Ländern zu stehen und von den Entwicklungen im Bereich der Straßenprostitution grundlegende Kenntnisse zu haben. Die drängende Frage, ob die Bundesregierung plant, den Straßenstrich aufgrund der menschenunwürdigen Situation, stärker zu regulieren, wird mit einer Verweisung auf die Evaluation des Prostituiertenschutzgesetzes beantwortet (welche Mitte 2025 erwartet wird). Hier sollen die Ziele bewertet und möglicher Regelungsbedarf geprüft werden.

Jedoch redet sich die Bundesregierung in der gleichen Anfrage weiter aus der Verantwortung. Die Förderung von Beratungsstellen, die einen zentralen Beitrag leisten, die Umstände von Prostituierten zu verbessern, liegt im Zuständigkeitsbereich der Länder. Die Bundesregierung gibt vor, keine Kenntnis von der Höhe und Verteilung finanzieller Mittel an Beratungsstellen durch die Länder zu haben. Die Ironie liegt jedoch darin, dass Bundesmodellprojekte vom Bund finanziert werden und somit die Möglichkeit bestünde, Beratungsstellen effektiv zu fördern.

Warum Berlin lieber Geld in Verrichtungsboxen investiert, anstatt in die Unterstützung von Ausstiegsmodellen, ist nicht nachzuvollziehen. Jährlich gibt die Bundesregierung etwa 1 Millionen Euro für die drei Jahre finanzierten Ausstiegsmodellprojekte aus, eine Summe, die geteilt durch die fünf Modellprojekte, welche mit unterschiedlichen Summen gefördert werden, erstaunlicherweise sogar etwas weniger als der Summe entspricht, die der Berliner Senat für die Finanzierung von Verrichtungsboxen bereitstellt.

Finanzierung der Bundesregierung:

  • 3 Millionen Euro für 5 Ausstiegsmodellprojekte für 3 Jahre, macht 1 Millionen Euro pro Jahr für die Finanzierung dieser 5 Projekt
  •  386.000€ erhält das Ausstiegsmodellprojekt in Berlin (128.666€ pro Jahr)

Finanzierung des Berliner Senats:

  • 36.000€ pro Verrichtungsbox pro Jahr
  • 144.000€ für vier Verrichtungsboxen pro Jahr

Dieses Ungleichgewicht scheint dem Berliner Senat ebenso aufgefallen zu sein, weswegen eine Folgefinanzierung des im Sommer auslaufenden Bundesmodellprojektes in Berlin vom Senat finanziell bis Ende 2025 übernommen wird. Eine Entscheidung, die TERRE DES FEMMES sehr begrüßt.
Jedoch ist es damit nicht getan. TDF betont die Notwendigkeit, dass es endlich eines entschiedenen Handelns seitens der Bundesregierung und des Berliner Senats bedarf, um Prostituierte vor Gewalt und Zwangsprostitution zu schützen. Es ist längst überfällig konkrete Maßnahmen zu ergreifen, anstatt passiv auf die Evaluationsergebnisse zu warten, deren Ergebnisse bereits heute bekannt sind. Das Aufstellen von Verrichtungsboxen ist reine Symptombekämpfung, sie machen die Straßenprostitution in der Öffentlichkeit vielleicht unsichtbarer, ändern aber nichts an den Umständen, unter denen Frauen ihren Körper auf der Straße anbieten und verhindern auch keine Gewalt, nur weil im öffentlichen Raum die Tür eines Toilettenhäuschens verschlossen wird und nicht das Auto des Sexkäufers, der Hauseingang der Anwohnerin oder die Videokabinen des nahegelegenen LSD-Erotikmarktes für gekauften Sex genutzt wird. Es braucht ein aktives Eingreifen der Behörden, um die Situation der Prostituierten zu verbessern und ihnen ein Leben ohne Gewalt und Zwang zu ermöglichen. Der Schutz der Menschenrechte und die Wahrung der Menschenwürde muss im Mittelpunkt stehen, während gleichzeitig wirksame Schritte zur Prävention von Zwangsprostitution und Gewalt unternommen werden müssen. Insbesondere die Schaffung zusätzlicher Fachberatungsstellen und Ausstiegsmöglichkeiten muss auf den Weg gebracht werden, um Prostituierten bei Wunsch eine realistische Chance auf eine Alternative zur Prostitution zu ermöglichen.

Stand, 22.02.2024

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