• 15.12.2023

Offener Brief: Für ein gemeinsames Lernen im Ethikunterricht und gegen die Einführung von Religion als ordentliches Lehrfach an öffentlichen Berliner Schulen

Der Offene Brief als PDF

Berlin, 15.12.2023

Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister Wegner,
sehr geehrte Frau Senatorin Günther-Wünsch,

Berlin hat als Hauptstadt und Regierungssitz von Landes- und Bundesregierung enorme Strahlkraft und steht zeitgleich vor enormen Herausforderungen. In Ihrem Koalitionsvertrag haben Sie festgehalten, Religionsunterricht soll als ordentliches Lehrfach an öffentlichen Schulen eingeführt werden. Wir von TERRE DES FEMMES, Deutschlands größte, säkulare und unabhängige Frauenrechtsorganisation, plädieren für eine Beibehaltung der bestehenden Lehrsituation. Das bedeutet, Religionsunterricht als freiwilliges Zusatzfach sowie der verpflichtende Ethikunterricht, sollen in ihrer jetzigen Form bestehen bleiben. Wir begrüßen, dass die Beibehaltung des verpflichtenden Ethikunterrichts in seiner jetzigen Form im Koalitionsvertrag steht. Unsere Argumente gegen Religion als ordentliches Lehrfach möchten wir Ihnen im Folgenden darlegen.

In unserem 2020 verabschiedeten Positionspapier fordern wir bundesweit die Einführung eines integrativen, wertevermittelnden Fachs „Ethik“ an allen öffentlichen Schulen anstelle eines konfessionell gebundenen Religionsunterrichtes. SchülerInnen sollen gemeinsam diskutieren und voneinander lernen können. Konfessioneller Religionsunterricht separiert die SchülerInnen. Aktuell werden acht verschiedene Religionen/ Weltanschauungen in Berlin unterrichtet. Wir befürworten, dass Ethikunterricht Religionskunde beinhaltet. Religion kann eine individuelle Werte-Orientierung geben. Das Fach Ethik bietet darüber hinaus eine sachlich neutrale Wissensvermittlung über die verschiedenen Religionen und Weltanschauungen. Das Gemeinsame und die Unterschiede werden zusammen herausgefunden und besprochen. Der konfessionelle Religionsunterricht ist, laut Bundesverfassungsgericht, ein religiöser Bekenntnisunterricht, der Glaubenssätze als „bestehende Wahrheit“ vermitteln soll (BVerfG, 74, 244-256, 1 BvR 47/84). In Ihrer Pressemitteilung vom 31.10.2023 betonen Sie, Herr Wegner, das Potenzial von Religion für den Zusammenhalt in der Stadtgesellschaft. Es lässt sich aber auch konstatieren, dass gerade die monotheistischen Religionen wie Christentum, Judentum und Islam, einen Absolutheitsanspruch vertreten. Allen monotheistischen Religionen ist die Unterscheidung zwischen Gläubigen und sogenannten Ungläubigen sowie eine grundlegende Anspruchshaltung auf Missionierung gemein. Als strikt säkulare Frauenrechtsorganisation kritisieren wir, dass Frauen religionsübergreifend nicht als ebenbürtig zu Männern verstanden werden - sie sind zwar gleich an Würde aber nicht gleich an Rechten. Weder in der katholischen Kirche noch bei der überwiegenden Mehrheit der islamischen Glaubensgemeinschaften können Frauen Führungspositionen erreichen, ähnlich in vielen orthodoxen jüdischen Gemeinden. Diese offenkundige Ungleichbehandlung trägt zu einer Trennung zwischen den Geschlechtern bei und widerspricht Art. 3 Grundgesetz.

In den besonders prägenden Jugendjahren – gerade in der Schule als Ort der Integration – gilt es, die Fähigkeit zur kritischen Auseinandersetzung mit den eigenen, subjektiv für gültig erachteten Wertvorstellungen zu entwickeln sowie den Dialog mit Andersdenkenden zu üben. Dies sehen wir in einem integrativen, wertevermittelnden Pflichtfach Ethik am besten umgesetzt. Ein weiteres Argument, was unseres Erachtens gegen die Einführung eines verpflichtenden Religionsunterrichtes spricht, sind die ohnehin rückläufigen Entwicklungen von SchülerInnen, die das freiwillige Angebot des Religions- oder Weltanschauungsunterrichtes nutzen (Fowid 2023). Die Mehrheit der SchülerInnen nimmt das freiwillige Angebot nicht an. Wir lehnen die Einführung eines verpflichtenden Religionsunterrichts entschieden ab und stehen diesbezüglich mit weiteren säkulären Verbänden, Organisationen und Parteien in Kontakt.

Zahlreiche Fragen sind für uns ungeklärt und und tragen zu unserer Besorgnis bei.  Woher sollen zusätzliche Millionen für einen verpflichtenden Religionsunterricht kommen? Wollen wir einen verpflichtenden Religionsunterricht für muslimische SchülerInnen Religionsgemeinschaften überlassen, die aus dem Ausland finanziert werden und welche die islamistischen Hamas als Freiheitskämpfer bezeichnen und somit den Terror gegen Kinder, Frauen und Männer in Israel relativieren? Ali Erbas, der Vorsitzende der türkischen Religionsbehörde Diyanet, hatte die Terrororganisation Hamas jüngst als „Befreiungsorganisation" bezeichnet und der israelischen Armee einen „beispiellosen Völkermord" vorgeworfen. Die DITIB steht unter der Kontrolle und Aufsicht dieser Behörde. Wie kann Schule ein neutraler geschützter Ort bleiben, wenn Fächer zur Trennung beitragen? Wir möchten Sie bitten die aktuellen Entwicklungen mit in Ihre Überlegungen einzubeziehen.

Insbesondere in diesen schwierigen und herausfordernden Zeiten mit multiplen Krisen, die unter anderem durch religiöse Konflikte ausgelöst wurden, müssen Sie Sorge tragen, dass Schulen und Klassenräume Orte der Integration und geschützte Räume sind, insbesondere für Kinder und Jugendliche. Orte, in denen gemeinsam gelernt und diskutiert wird - niemand separiert wird. 

Für einen Austausch mit Ihnen stehen wir gerne bereit.

Mit freundlichen Grüßen

Christa Stolle
Bundesgeschäftsführerin

 

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