Am 23. November 2017 trafen sich die CHANGE Plus Partnerorganisationen, CHANGE Agents und Champions sowie FGM-AktivistInnen, Community Mitglieder, politische EntscheidungsträgerInnen, unterschiedliches Fachpersonal und WissenschaflterInnen zur abschließenden Konferenz des von der EU ko-finanzierten CHANGE Plus Projektes, um die zweijährige Zusammenarbeit zu reflektieren. Die Teilnehmenden tauschten Erfahrungen aus, präsentierten und evaluierten Ergebnisse und diskutierten Strategien zur Abschaffung von weiblicher Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation – FGM).
Die von der Projektkoordinatorin Charlotte Weil organisierte Konferenz startete mit drei Begrüßungsreden. Laila Wold hieß die TeilnehmerInnen im Namen des Informationsbüros des Europäischen Parlaments in Deutschland herzlich Willkommen. Godula Kosack, Vorstandsfrau von TERRE DES FEMMES, führte thematisch in das Thema weibliche Genitalverstümmelung ein und übergab schließlich Rakieta Sawadogo Poyga, Schirmherrin des CHANGE Plus Projektes und Gründerin der Organisation Association Bangr-Nooma (ABN) das Wort. Extra angereist aus Burkina Faso erzählte sie von ihren langjährigen Erfahrungen in der Arbeit im Kampf gegen Weibliche Genitalverstümmelung.
Anne van Nistelrooij, Referentin der Gender Equality Unit der GD Justiz der Europäischen Kommission, stellte die Strategie der Europäischen Union in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit und Gleichstellung vor. Dabei ist die Bekämpfung von geschlechtsspezifischer Gewalt und der Schutz bzw. die Unterstützung von Betroffenen eine ihrer fünf Prioritäten. Im Bezug auf die Abschaffung weiblicher Genitalverstümmelung als eine Form geschlechtsspezifischer Gewalt arbeiten europäische Institute und Organisationen zu spezifischen Schwerpunkten:
- Wissensgenerierung
- Prävention
- Strafverfolgung
- Internationaler Schutz
- Weltweite Bekämpfung von FGM
Das CHANGE Plus Projekt verfolgt mit dem Ziel, einen Einstellungs- und Verhaltenswandel innerhalb der betroffenen Communties zu bewirken, einen präventiven Ansatz.
Fotos: © Martin Funck
Anne van Nistelrooij erläuterte darüber hinaus den Bewerbungsprozess für Projektfinanzierungen über das Rights, Equality and Citizenship Programm, gab wichtige Hinweise und motivierte zur Antragstellung.
In der darauffolgenden Rede stellte Charlotte Weil von TERRE DES FEMMES die Methodik des CHANGE Plus Projekts und dessen Zielsetzung sowie die involvierten Organisationen und Personen und die Projektaktivitäten vor. Dabei betonte sie unter anderem die Relevanz des Empowerments von MultiplikatorInnen, CHANGE Agents und Champions, um sowohl in ihren Communities als auch auf politischer Ebene aktiv zu sein. Neben der Aufklärungsarbeit in Diaspora-Communities initiierten die MultiplikatorInnen Austausch und Dialog mit Stakeholdern und PolitikerInnen. Ein bedeutendes Highlight stellte dabei das Lobbying Meeting im Europäischen Parlament am 26. September 2017 dar.
Anke Gittenaer, tätig am Europäischen Institut von Gleichstellungsfragen (EIGE) und spezialisiert auf weibliche Genitalverstümmelung, präsentierte die Arbeit des Instituts und den aktuellen Informationsstand zu FGM. Im Jahr 2017 setzte das Institut die vor zwei Jahren gestartete Studie zur Erfassung einer FGM-Prävalenzrate in europäischen Ländern fort. Diese sollen helfen politische Maßnahmen zu evaluieren und zu verbessern. Gezielte präventive Handlungsweisen führen wiederum zu einer geringeren Risikorate. Dabei bedient sich das Institut einer dualen Methodologie. Durch Fokusgruppengespräche sind zusätzlich zum quantitativen Datenmaterial qualitative Elemente in die Studie involviert.
Zukünftig bestehen Herausforderungen sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene. Darunter fallen unter anderem die Auswertung geschlechtsspezifischer Asylverfahren und eine Instanz, die FGM-bezogene Strafprozesse überprüft.
Das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen plant im Frühjahr 2018 den Bericht der Studie zu veröffentlichen.
Nach den Präsentationen fand ein Panel mit Projektmitarbeiterinnen, CHANGE Agents und Champions statt, in dem diese von ihren Erfahrungen und Eindrücken aus der Arbeit zu berichten. Ussumane Mandjam (CHANGE Agent bei APF, Lissabon) gab Ratschläge, wie praktizierende Communities besser erreicht werden können. Dabei betrachtet er es als wichtig über Kenntnisse der jeweiligen lokalen Sprachen und einen ganzheitlichen Blick auf die Hintergründe und Praktik von FGM zu verfügen. Laut der Projektkoordinatorin Gwladys Awo aus Hamburg fehlt es Behörden und Beratungsstellen häufig an Sensibilität. So können Rassismuserfahrungen Communitymitglieder daran hindern eine Vertrauensbeziehung aufbauen zu können. Neben ihrer persönlichen Motivation am Projekt aktiv mitzuarbeiten, berichteten die PodiumsteilnehmerInnen über Herausforderungen in ihrer Arbeit. So erzählte CHANGE Champion Hawa Bashir von der Organisation FSAN (Amsterdam) von dem Bedürfnis der sudanesischen Community über für sie prioritäre Themen zu sprechen. Dazu zählen zum Beispiel finanzielle Sorgen der Frauen. Dies bestätigte Sokhna Fall Ba, Communitiy Manager bei Equipop (Paris), und betonte zudem das Engagement der CHANGE Agents und Champions, die für ihre zeitintensive Arbeit nur sehr wenig bzw. teilweise keine Vergütung erhielten.
Fatumata Kromah, CHANGE Champion bei Plan in Hamburg, präsentierte anschließend den im Rahmen des CHANGE Plus Projekts entstandenen Kurzfilm `Amina´. Dieser wurde in Zusammenarbeit mit dem Filmproduzenten Andrea Ianetta produziert.
Nach der Mittagspause verteilten sich die Teilnehmenden auf fünf Roundtables, die jeweils von ExpertInnen moderiert und thematisch eingeleitet wurden. Die Arbeitsgruppen boten eine Plattform, um miteinander in Austausch zu treten. Gemeinsam arbeiteten die Teilnehmenden zu Leitfragen, die anschließend im Plenum vorgestellt wurden.
Stéphanie Florquin von der Organisation GAMS in Belgien führt den ersten Roundtable „Zur Rolle der Männer im Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung“ mit einem Beitrag aus der von ihr im Rahmen des Projekts „Men speak out“ durchgeführten Studie ein. In der anschließenden Diskussion waren sich die Teilnehmenden einig: Damit FGM nicht nur als frauenspezifisches Problem angesehen wird, müssen Männer miteinbezogen werden. Durch Aufklärungsarbeit kann einem Wissensmangel über die Praktik und ihre Konsequenzen entgegnet werden. Dabei spielt der Gebrauch von unterschiedlichen Kommunikationsweisen, wie zum Beispiel Kunst und Musik, eine wichtige Rolle. Die jüngere Generation kann über soziale Netzwerke erreicht werden. Die Mitverantwortung der Männer lässt sich unter anderem durch die Beweggründe der Praktik FGM erklären. So gelten in bestimmten Communities Jungfräulichkeit und die Beschneidung der Frau als Voraussetzungen für die Heirat. Durch diese soziale Norm erhalten auch Männer die Praktik aufrecht.
Die Arbeitsgruppe stellte sich weiterhin die Frage, wie Männer involviert werden können, ohne Führungsrollen zu übernehmen. In patriarchal strukturierten Gesellschaften muss dies besonders in Erwägung gezogen werden, insbesondere weil Männer häufig über die Entscheidungsmacht verfügen.
Den zweiten Roundtable „Strategien, um Mädchen und junge Frauen zu empowern“ moderierte Mah Tenin Doumbouya, CHANGE Agent aus Hamburg. Durch das Theaterprojekt GamBoosa (Lessan e.V.) versucht sie jungen Menschen ein Sprachrohr durch künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten zu bieten. Die Jugendlichen konzipieren eigene Theaterstücke und können dadurch komplexe und sensible Themen wie weibliche Genitalverstümmelung aufarbeiten. Für die Kinder und Jugendlichen ist es zudem wichtig Vorbilder zu haben, die vor ähnlichen gesellschaftlichen Herausforderungen standen, dennoch aber ihren Platz in der Gesellschaft finden konnten. Durch identitätsstärkende Projekte können besonders Mädchen empowert werden, sich gegen Praktiken wie FGM stark zu machen. Mah Tenin Doumbouya bemüht sich darüberhinaus einen Austausch der Generationen anzustoßen.
Zakari Musiru, Imam des muslimischen Vereins Tawba, und Mohamed Maiga, CHANGE Agent aus Hamburg, gaben ihr Wissen innerhalb des dritten Roundtables „FGM im Kontext von Kultur, Religion und Tradition“ weiter. Aus der Perspektive eines islamischen Gelehrten, erklärte Zakari Musiru entgegen der häufigen Annahme, FGM ließe sich auf den Islam zurückzuführen, dass weder im Koran noch in den Hadithen, Textstellen zu finden sind, welche die Praxis legitimieren. Somit lässt sich FGM einer kulturellen, anstatt wie so oft angenommen, der religiösen Sphäre zuordnen. Die TeilnehmerInnen stellten gemeinsam fest, dass das verbindende Element aller betroffenen Kulturräume vielmehr die patriarchale Gesellschaftsordnung darstellt. Ihr Hauptziel ist es, Kontrolle und Macht über die weibliche Sexualität auszuüben. Die männliche Ehre definiert sich dabei über die Körper der Frauen und ihre Moralität. Mohamed Maiga wies darauf hin, dass MigrantInnen häufig als „Nichtzugehörige“ von der Mehrheitsgesellschaft gelesen werden. Traditionelle Praktiken aus den Herkunftsländern können demgegenüber identitätsstiftende Effekte haben.
Der vierte Roundtable „Brücken bauen“ wurde von Valentina Fanelli, Projektkoordinatorin bei der CHANGE Plus Partnerorganisation AIDOS in Italien moderiert. Zusätzliche Beiträge leisteten Fatoumata Ibrahima Samaké von Plan International in Mali, assoziierter Partner im CHANGE Plus Projekt, und Chiara Cosentino vom End FGM EU Netzwerk. Brücken bauen bedeutet Synergien zu ermöglichen. Dies schließt nicht nur länder- und kontinentübergreifende Zusammenarbeit mit ein, sondern auch Kooperationen unterschiedlicher Fachbereiche und Professionen. MigrantInnen in europäischen Ländern verfügen häufig über mehr Handlungsmacht. So können zum Beispiel die ausgebildeten CHANGE Agents ihr Wissen in ihren Herkunftsländern verbreiten. Dabei wird eine sensible Herangehensweise benötigt, um die dort lebenden Menschen nicht zu bevormunden. Argumente, die über die physischen und psychischen Folgen von FGM aufklären, können eine gute Basis dafür darstellen. Europäische und afrikanische Organisationen müssen sich besser vernetzen. Der Mangel an finanziellen Ressourcen stellt eine große Hürde dar. Von den Regierungen kann hier mehr Unterstützung erwartet werden.
Den letzten Roundtable „Evaluation der Behaviour Change Activities“ moderierte Prof. Hazel Barrett aus England, die für die Evaluation des CHANGE Plus Projektes zuständig ist. Die Messung von Verhaltens- und Einstellungsänderungen stellte sich aufgrund fehlender standardisierter Verfahren als eine Herausforderung dar. Prof. Hazel Barrett kombinierte qualitatives und quantitatives Datenmaterial. Dabei untersuchte sie nicht nur den Wandel der Individuen, sondern auch der sozialen Norm innerhalb der Community. In einem abschließenden Evaluationsbericht wird sie die gewonnen Ergebnisse des CHANGE Plus Projektes festhalten. In ihm sollen bewährte Verfahrensweisen und Methoden herausgearbeitet werden. Die Evaluation gilt als Beweismittel für die Wirksamkeit des Projektes. Dies ist besonders zum Gewinnen von politischen EntscheidungsträgerInnen im Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung von Bedeutung. Allgemein sollte jedoch nicht vergessen werden, dass Verhaltens- und Einstellungsänderungen ein Kontinuum sind, für das zwei Jahre Arbeit nicht ausreichen.
An die Kaffeepause anschließend wurden die Ergebnisse der Roundtables im Plenum zusammengetragen. Maja Wegener, Abteilungsleiterin bei TERRE DES FEMMES, dankte allen Involvierten der Konferenz und überließ Dieynaba Ball, CHANGE Agent aus Frankreich die abschließenden Worte. Rückblickend auf die vergangenen zwei Jahre des Projektes, rief Dieynaba Ball zu einer weiteren Zusammenarbeit im Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung auf.
Der Konferenztag endete mit einem Konzert von Sister Fa & Band. Frontsängerin Fatou Mandiang Diatta kämpft seit vielen Jahren in Deutschland und ihrem Herkunftsland Senegal gegen weibliche Genitalverstümmelung und verarbeitet dies auch in ihrer Musik.
Wir danken an dieser Stelle der Europäischen Union für die Ko-Finanzierung des Projekts CHANGE Plus, dem Europäischen Haus als Gastgeber der Veranstaltung sowie allen SprecherInnen und TeilnehmerInnen für die erfolgreiche Gestaltung der Konferenz.
Präsentationan als PDF-Download:
- The risk of female genital mutilation in the EU: increasing knowledge
Anke Gittenaer (EIGE) - Protecting Girls! Together against Female Genital Mutilation
Anne van Nistelrooij (Directorate General for Justice and Consumers – Gender equality unit) European Commission - Promoting Behaviour Change Towards the Abandonment of Female Genital Mutilation (FGM) in Practising Communities across the EU
Charlotte Weil (TERRE DES FEMMES)
Stand: 12/2017