TERRE DES FEMMES organisierte Podiumsdiskussion zu weiblicher Genitalverstümmelung in Asien

TeilnehmerInnen der Podiumsdiskussion. Foto: © Stefan SchrittTeilnehmerInnen der Podiumsdiskussion. Foto: © Stefan SchrittAnlässlich des „Worldwide Day of Genital Autonomy“ richtete TERRE DES FEMMES am Sonntag, 6. Mai 2018 eine Podiumsdiskussion mit dem Titel „Medikalisierte weibliche Genitalverstümmelung: ein Tabu nicht nur in Asien“ aus. Der Gedenktag des „Kölner Urteils“, der jedes Jahr in Köln mit Demonstration, Kundgebung und weiteren Veranstaltungen viele AktivistInnen nach Köln führt, hatte den Schwerpunkt 2018 auf das Thema der weiblichen Genitalverstümmelung in Asien gelegt. Im „Kleinen Forum“ der Alten Feuerwache diskutierten an diesem Vormittag Dr. Necla Kelek (TERRE DES FEMMES-Vorstandsfrau), Dr. med. Christoph Zerm (Gynäkologe und ehem. Vorsitzender des Vereins FIDE e.V.), Hannah Wettig (Leiterin der StopFGM-Kampagne von WADI e.V.) sowie Yuliati Umrah (Menschenrechtsaktivistin aus Indonesien und Gründerin der Hilfsorganisation Arek Lintang). TERRE DES FEMMES-Mitfrau Gislinde Nauy führte als Moderatorin durch das Gespräch.

Nach einer kurzen Einführung in die Thematik der FGM in Asien durch Necla Kelek, berichteten die Aktivistinnen von den Erfahrungen ihrer Vor-Ort-Expertise. Zwar ist inzwischen bekannt, dass weibliche Genitalverstümmelung in Asien weit verbreitet ist – viele Fakten liegen jedoch weiterhin im Verborgenen und sind nur sehr schwer zugänglich. So kann man sagen, dass im asiatischen Raum eher die Typen I und IV (lt. WHO-Definition) praktiziert werden, dies kann jedoch nur als grobe Beschreibung herhalten. Tatsächlich ist in den meisten Fällen gar nicht mehr nachvollziehbar, in welcher Form beschnitten wurde. Durch mangelnde medizinische Betreuung und zahlreiche Komplikationen direkt im Anschluss an den Eingriff und danach, ist das Gewebe am Genital durch Vernarbung oft soweit entstellt, dass beispielsweise ein als Einschnitt vorgesehener Eingriff bereits optisch als Infibulation erscheinen kann. Die Typisierungen, die die WHO vornimmt sind auch hier wieder nur als Richtlinie zu verstehen. Während Hannah Wettig von einer absoluten Tabuisierung des Themas in den von ihr bereisten Ländern sprach, gab Yuliati Umrah an, dass FGM in Indonesien für die betroffenen Mädchen als großes Fest mit vielen Geschenken gefeiert werde und man offen und stolz darüber spreche.

Foto: © Stefan SchrittFoto: © Stefan SchrittDer Gynäkologe Dr. med. Christoph Zerm sprach zunächst über die Folgen von FGM und betonte dabei, dass jenseits aller körperlichen Schmerzen bis hin zu Spätfolgen bei Geschlechtsverkehr und Geburt, immer auch eine seelische Verletzung die Folge von FGM sei. Es werde jedes Mal in die genitale Selbstbestimmung eingegriffen und ein Mensch ohne Einwilligung einer Tortur ausgeliefert. Mit Bezug auf den Gedenktag für den darauffolgenden „Worldwide Day of Genital Autonomy“ schloss er hierbei die Praktik der MGM (Male Genital Mutilation) auch mit ein. Zur sog. „Medikalisierung“ übte er Kritik an einer Ärzteschaft, die eine medizinisch nicht indizierte Operation an einwilligungsunfähigen Menschen stütze, indem sie sie steril im Krankenhaus ausführten statt sie zu bekämpfen. Diese Medikalisierung sei aus ärztlicher Sicht unethisch und darüber hinaus nicht hilfreich im Kampf gegen FGM.

Tatsächlich hatten die Aktivistinnen auch zu berichten, dass die Zahlen der FGM-Durchführungen mit der Medikalisierung anstiegen. Eltern, die ihren Töchtern die Prozedur unter unhygienischen Bedingungen ersparen wollten und daher nicht beschnitten hätten, nähmen das Angebot einer Operation im Krankenhaus zustimmend an.

Streitpunkt waren bei der Diskussion die Ursachen von FGM. Ob die Verbreitung des Islamismus entscheidender Faktor sei oder aber die tiefe Verwurzelung in der jeweiligen Tradition und im Brauchtum es so schwer machen, FGM abzuschaffen, wurde von den ReferentInnen unterschiedlich eingeschätzt.

Konsens herrschte jedoch darüber, dass zur Abschaffung von FGM (ebenso wie MGM), das Zusammenwirken mehrere Strategien und Kräfte notwendig sei. Es brauche die Politik, zur Erlassung von Verbots-Gesetzen (Bewusstwerdung und Abschreckung), Aufklärung der betroffenen Gruppen (auch über deren religiöse Führungspersönlichkeiten), ÄrztInnen zur Aufklärung aller PatientInnen bzw. Eltern und nicht zuletzt die Medien, um Menschen möglichst flächendeckend über Genitalverstümmelung und deren Folgen aufklären zu können.

Dr. Necla Kelek und Gislinde Nauy erläuterten mit Bezug auf das neue TDF-Positionspapier zur „Jungenbeschneidung“ die Position des Vereins zu FGM und MGM: TDF hält an der Null-Toleranzhaltung gegenüber FGM fest – unabhängig vom Typ des praktizierten Eingriffs und der Art der Durchführung. Egal ob medikalisiert oder „entschärft“ durchgeführt, FGM bleibt in jedem Fall eine Menschenrechtsverletzung. Jegliche Diskussion darüber, ob es eine akzeptierbare Form von FGM geben könnte, lehnt der Verein ab. Und genau deshalb werde analog dazu auch nicht darüber diskutiert, ob es evtl. möglich sein könnte, die Verletzung eines Jungen gegenüber der Verletzung eines Mädchens zu tolerieren.

Abschließend diskutierte das Publikum sehr engagiert mit. Es waren etwa 25 Interessierte zusammengekommen – für die meisten schien es nicht die erste Begegnung mit dem Thema zu sein.

Die Veranstaltung wurde als Live-Stream auf der facebook-Seite „Worldwide Day of Genital Autonomy“ gezeigt und ist dort auch weiterhin abrufbar.

 

Wir danken an dieser Stelle herzlich allen PodiumsteilnehmerInnen und der Moderatorin für die gelungene Diskussion sowie Herrn Stefan Schritt für die ausgezeichnete technische Unterstützung und Dokumentation der Veranstaltung und für die Übertragung des Livestreams auf der WWDOGA-facebook-Seite.