angesichts der rechtswidrigen Auflösung von frauenrechtlichen und feministischen Organisationen in Nicaragua
Wie auf unserer Website bereits mehrfach berichtet, ist die Lage der organisierten Zivilgesellschaft, allen voran der Organisationen, die sich für eine Verbesserung der Rechte von Frauen und Mädchen einsetzen, durch die Repression der Regierung Daniel Ortegas in Nicaragua alarmierend.
Frauenrechtsorganisationen wie auch der TDF-Partnerorganisation Asociación Proyecto MIRIAM wird der Einsatz für Gleichberechtigung und Gewaltschutz von Frauen durch die Anwendung repressiver Gesetze und unverhältnismäßig hohe bürokratische Hürden erheblich erschwert bis verunmöglicht.
Aus aktuellem Anlass teilen wir hiermit den Aufruf der Mesoamerikanischen Initiative für Menschenrechtsverteidigerinnen (Iniciativa Mesoamericana de Mujeres Defensoras de Derechos Humanos) zur höchst besorgniserregenden Situation nicaraguanischer Frauenrechtsorganisationen und -Verteidigerinnen. Wir stehen hinter der unverzichtbar wichtigen Arbeit dieser Organisationen und Aktivistinnen und zeigen uns solidarisch mit ihrem Ringen um uneingeschränktes zivilgesellschaftliches Handeln! TDF hat den Aufruf im Folgenden vollständig ins Deutsche übersetzt:
- „Seit 2018 wurden mindestens 26 feministische Organisationen oder Organisationen, die für Frauenrechte arbeiten oder sie unterstützen, rechtswidrig durch die amtierende Regierung Daniel Ortegas geschlossen.
- Wir stehen zusammen in internationaler feministischer Solidarität und rufen die Welt auf, Daniel Ortega als den zu sehen, der er wirklich ist: als unbestrafter Vergewaltiger, Frauenfeind, korrupter Mensch und kapitalistischer Macho, der sich durch despotische Machtausübung bereichert hat.
In Nicaragua ist es immer gefährlicher, eine Frau zu sein, eine Feministin zu sein, zivilgesellschaftlich organisiert zu sein.
Seit 2018 wurden mindestens 26 feministische Organisationen oder Organisationen, die sich für die Rechte von Frauen einsetzen, von der Regierung rechtswidrig verboten. Diese Organisationen arbeiten im ganzen Land, in städtischen Gebieten, in bäuerlichen Regionen, in indigenen und afro-lateinamerikanischen Gemeinschaften und Territorien. Einige von ihnen arbeiten seit Jahrzehnten daran, sexistische Gewalt anzuprangern und zu verhindern, Gerechtigkeit für Femizide zu fordern, die Arbeitsrechte von Frauen zu verteidigen, geschlechtsspezifische Aufklärung und Informationsvermittlung zu betreiben, sexuelle und reproduktive Rechte zu fördern, neben vielen weiteren Beiträgen zur Stärkung der Menschenrechte nicaraguanischer Frauen.
Nun wurde diesen Organisationen unrechtmäßig der Rechtsstatus entzogen, wodurch sie keinen Zugang mehr zu den für ihre Arbeit erforderlichen Ressourcen haben. Ihre Büros wurden von der Regierung aufgelöst sowie ihr Besitz und Vermögen konfisziert. Viele ihrer Mitglieder wurden und werden krimineller Machenschaften beschuldigt und sind Verleumdungskampagnen und ständigen Schikanen ausgesetzt, sodass einige von ihnen sogar gezwungen waren, ins Exil zu gehen.
In den meisten Fällen wurden die Organisationen durch willkürliche Verfahren geschlossen. Die Aufsichtsbehörden haben alle möglichen Hindernisse geschaffen oder sich direkt geweigert, die gesetzlich vorgeschriebenen Verwaltungsunterlagen entgegenzunehmen, obwohl die Organisationen alle Anforderungen frist- und formgerecht erfüllt haben. Viele andere Organisationen sind de facto „administrativ stillgelegt“ worden, ohne Zugang zu finanziellen Mitteln und ohne die Möglichkeit, Aktivitäten durchzuführen, da diese willkürlichen Verfahren und Anforderungen unterliegen.
All dies geschieht in einem Land, in dem im Jahr 2021 mindestens 71 Frauen Opfer eines Femizids wurden.
In einem Land, in dem im selben Jahr offiziellen Zahlen zufolge mehr als 8.000 Frauen angaben, von häuslicher Gewalt betroffen gewesen zu sein, und fast 5.000 Frauen berichteten, sexueller Gewalt ausgesetzt gewesen zu sein.
In einem Land, in dem viele Betroffene von sexistischer Gewalt ihre Fälle nicht anzeigen, weil sie wissen, dass die keine Gerechtigkeit erfahren werden, und befürchten, von staatlichen Verantwortungsträgern re-viktimisiert zu werden.
In einem Land, in dem tausende von Frauen unter ausbeuterischen Bedingungen und in extremer Unsicherheit in Produktionsstätten transnationaler Konzerne arbeiten.
In einem Land, in dem schwere Menschenrechtsverletzungen und die tiefe soziale und politische Krise seit April 2018 zugenommen haben; eine Krise, die mit der brutalen Unterdrückung der friedlichen Massenproteste gegen die neoliberale Sozialreform durch die Regierung Ortegas ausgebrochen war, hunderte von Menschen das Leben kostete und Tausende ins Exil trieb.
In einem Land, in dem 13 Menschenrechtsverteidigerinnen im Gefängnis sitzen und Haftstrafen zwischen 8 und 18 Jahren abbüßen, weil sie sich für die Demokratisierung ihres Landes eingesetzt haben.
In einem Land, in dem Schwangerschaftsabbrüche unter allen Umständen kriminalisiert werden und Frauen gezwungen sind, heimliche Abtreibungen vorzunehmen, die ihr Leben gefährden.
In einem Land, in dem der Staat Gesetze, politische Maßnahmen und Institutionen abschafft, die die Rechte von Frauen garantierten und Gleichberechtigung förderten – einst historische Siege, die durch die Arbeit und den Kampf nicaraguanischer Feministinnen errungen wurden.
In diesem Zusammenhang ist die Schließung von Organisationen ein schwerer Schlag für alle Frauen im Land, denn er lässt sie noch verwundbarer zurück und setzt sie noch stärker geschlechtsspezifischer Gewalt und der Verletzung ihrer Grundrechte aus.
Feministinnen auf der ganzen Welt wissen, dass Daniel Ortegas Angriffe auf nicaraguanische Feministinnen lange vor der Krise 2018 begonnen haben: Sie reichen bis in das Jahr 1998 zurück, als bekannt wurde, dass der Präsident seine Stieftochter Zoilamérica Narvaez Murillo sexuell missbraucht hatte, und nicaraguanische Feministinnen diesen Fall öffentlich anprangerten und Zoilamérica unterstützten.
Nicht zu vergessen ist auch der Schulterschluss von Daniel Ortega mit der katholischen Obrigkeit, der 2006 zur Kriminalisierung von Abtreibung unter allen Umständen in Nicaragua führte. Dieser Pakt sowie derjenige, den er mit dem neoliberalen und korrupten ehemaligen Präsidenten Arnoldo Alemán geschlossen hatte, ermöglichten Ortega die Rückkehr an die Macht. So kam es zum Verrat an der sandinistischen Geschichte und den Werten und Hoffnungen, für die viele nicaraguanische Schwestern während der Revolution und beim Aufbau eines gerechteren, freieren und egalitären Landes gekämpft hatten.
Wir stehen zusammen in internationaler feministischer Solidarität und rufen die Welt auf, Daniel Ortega als das zu sehen, was er wirklich ist: als unbestrafter Vergewaltiger, Frauenfeind, korrupter Mensch und kapitalistischer Macho, der sich durch despotische Machtausübung bereichert hat.
Wir verbünden uns mit unseren Schwestern, deren Organisationen verboten worden sind und die sich trotz aller Hindernisse und Anfeindungen, mit denen sie tagtäglich konfrontiert sind, weiter organisieren und ihre Anstrengungen zur Geltendmachung und Verbesserung der Rechte von nicaraguanischen Frauen nicht unterlassen.
Sie sollen wissen, dass Feministinnen aus Lateinamerika und der ganzen Welt an ihrer Seite stehen, dass wir sie nicht allein lassen werden, und dass wir wissen, dass alles, was sie über Jahrzehnte hinweg aufgebaut haben, jede feindselige, korrupte und repressive Regierung überleben wird. Denn das ist der Nährboden für eine Zukunft, die wir gemeinsam erträumen und in der wir früher oder später alle frei, in Vielfalt und gleichberechtigt leben werden.
Feministische Organisationen, die Frauenrechte unterstützen oder frauenrechtlich arbeiten, die seit April 2018 von der Regierung Daniel Ortegas rechtswidrig verboten wurden:
- Asociación Centro de Capacitación de la Mujer Obrera
- Asociación Colectivo de Mujeres de Matagalpa
- Asociación Comisión Permanente de Derechos Humanos (CPDH)
- Asociación de Mujeres de Jalapa contra la Violencia Oyanka
- Asociación de Mujeres Trabajadoras y Desempleadas María Elena Cuadra (MEC)
- Asociación para la Sobrevivencia y el Desarrollo Local (ASODEL)
- Asociación Red de Empresarias de Nicaragua (REN)
- Centro de Derechos Constitucionales (CDC)
- Centro por la Justicia y Derechos Humanos de la Costa Atlántica de Nicaragua. (CEJUDHCAN)
- Centro de Información y Servicios de Asesoría en Salud (CISAS)
- Centro de Investigación de la Comunicación (CINCO)
- Centro Nicaragüense de Derechos Humanos (CENIDH)
- Colectivo 8 de Marzo.
- Diakonia
- Federación Coordinadora Nicaragüense de Organismos No Gubernamentales que Trabajan con la Niñez y la Adolescencia (CODENI)
- Fundación Centro de Comunicación y Educación CANTERA
- Fundación Entre Volcanes
- Fundación Luisa Mercado (FUNLUM)
- Fundación OXFAM Ibis
- Fundación OXFAM Intermon
- Fundación para el Desarrollo Integral de la Mujer Indígena de Sutiaba
- Fundación para la Promoción y Desarrollo de las Mujeres y la Niñez (FUNDEMUNI)
- Fundación Popol Na para la Promoción y el Desarrollo Municipal
- Fundación Xochiquetzal
- Instituto de Liderazgo de las Segovias, ILLS
- Trocaire”
Quelle:
Stand: 06/2022