Was bringt Frauen dazu, rechts zu wählen?

Juni 2020. In Sao Paulo demonstrieren die Menschen gegen ihren Präsidenten Jair Bolsonaro. Mit dem Slogan „Fora Bozo" verlangen sie, dass er sein Amt aufgibt. Das abfällige Wort „Bozo" bezeichnet eine dumme oder inkompetente Person. (Marília Castelli/Unsplash)

Einblicke in die Studienreihe „Triumph der Frauen? The Female Face of the Far Right in Europe“ der Friedrich-Ebert-Stiftung

In den letzten Jahren erfreuen sich rechte Parteien in vielen Ländern immer größerer Popularität. Trotz offen antifeministischer Tendenzen und teils frauenfeindlicher Rhetorik à la Donald Trump, Ex-Präsident der USA, wächst auch die Zustimmung mancher Frauen. Wie ist das möglich, mögen sich gerade andere Frauen fragen, wo die wenigsten rechten Parteien diese Tendenzen kaschieren. Manche nutzen sie vielmehr als ihr Aushängeschild.

Der sogenannte „Radical Right Gender Gap“ beschreibt das Phänomen, dass rechte Politik mit signifikanter Mehrheit von Männern geführt, unterstützt und befürwortet wird. Doch die neuen rechten Bewegungen schließen diese Lücke allmählich. In Ungarn und Polen sind mittlerweile sogar die Männer in einer leicht unterrepräsentierten Position. Die jüngste Studienreihe der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) betrachtet die aktuellen politischen und sozialen Entwicklungen mehrerer Länder und dabei insbesondere das Erstarken rechter Parteien. Sie geht der Frage nach, welche Argumente oder „Anreize“ Frauen dazu bringen, rechte Parteien zu wählen. Die erste Ausgabe erschien 2018 mit Analysen zu Deutschland, Frankreich, Griechenland, Polen, Schweden und Ungarn. Der zweite Band entstand während der Corona-Pandemie und wurde auch um außereuropäische Beispiele wie Brasilien und die USA erweitert.

Fest steht laut der FES, dass sich die Wahl rechter Parteien durch Frauen nicht ausschließlich durch fehlendes Bewusstsein gegenüber eigenen Erfahrungen von Diskriminierung und Unterdrückung (als Angehörige des weiblichen Geschlechts) oder die Priorisierung rassistischer Motive erklären lässt. Vielmehr sind v.a. ökonomische Gründe von Bedeutung: Frauen haben immer noch erschwerten Zugang zum Arbeitsmarkt und erhalten geringere Löhne als Männer. Wenn es rechten Parteien gelänge, diesbezüglich Verbesserungen zu schaffen, quittierten etliche Frauen dies mit ihrem Votum. In Polen konnte die Armut der Bevölkerung etwa durch das Programm „Rodzina 500+“ der Regierung unter Andrzej Duda reduziert werden. Es handelte sich dabei um keine rein populistische Strategie, sondern um eine realpolitische Maßnahme, die Duda trotz seiner starken anti-feministischen und Anti-LBGTQI*-Haltung zur Wiederwahl im Sommer 2020 verhalf.

Des Weiteren begünstigen die bestehende Ost-West-Ungleichheit und deren wirtschaftliche Konsequenzen einen Hang zu Rechtspopulismus. Beispielsweise schloss Deutschland während der Pandemie sämtliche Grenzen, bildete aber gleichzeitig bilaterale Allianzen mit einigen osteuropäischen Ländern, um Pflegepersonal und ErntehelferInnen die Einreise zu ermöglichen. In den meisten Fällen handelte es sich um sehr schlecht bezahlte Arbeit. Die Menschen nahmen das Angebot trotzdem an, da sie damit teils mehr verdienten als in ihrem Heimatland. In der Folge fehlte es in den betroffenen Ländern an Pflegepersonal. Pflegetätigkeiten übernehmen in der großen Mehrzahl Frauen und so waren sie es auch, die dem heimischen Arbeitsmarkt fehlten. Ein Teufelskreis, den rechte Parteien in Osteuropa wahrnahmen und mit der gezielten Ansprache von Frauen zu durchbrechen versuchten. Gleichzeitig wurde der Umstand, dass Deutschland viele ausländische Fachkräfte anwarb, als vermeintliche Bedrohung für (bio)deutsche Arbeitnehmende dargestellt und von rechten Parteien für gezielte Anti-Migrations-Propaganda missbraucht.

Ein strategisches Mittel zur Sicherung von WählerInnen-Stimmen, das alle untersuchten rechten Strömungen verwenden, ist die Grenzziehung zwischen „uns“ und „den Anderen“, im Sinne einer vermeintlich homogenen Bevölkerung auf der einen Seite und der Regierung, MigrantInnen oder anderen erklärten „Feinden“ wie etwa FeministInnen auf der anderen. In den USA ist diese Herangehensweise besonders ausgeprägt aufgrund der bereits existierenden Kluft zwischen AnhängerInnen der demokratischen und republikanischen Parteien, den einzigen großen Fronten bei Wahlen. Selten wählen die Menschen außerhalb ihrer Partei. Hinzu kommen die Interessen weißer Frauen, ihr „White Privilege“ zu wahren. Sie sind zwar patriarchalen Strukturen ausgesetzt und erfahren dadurch Nachteile, genießen aber trotzdem im Vergleich zu Schwarzen Frauen, Frauen anderer ethnischer Herkunft oder weiteren Minoritäten Privilegien, die sie aufrechterhalten wollen.

In Brasilien waren vor allem religiöse Strömungen verantwortlich für die Erstarkung der neuen extremen Rechten. Die wichtigsten Kirchen des Landes stärkten dem amtierenden Präsidenten Jair Bolsonaro während des Wahlkampfes den Rücken. Bolsonaro verbreitet auch heute noch vielfach Verschwörungstheorien und ist unter anderem der Meinung, dass FeministIinnen aus dem Ausland finanziert würden, um Chaos in Brasilien zu verbreiten und das Land so zu schwächen. Konservative Ansichten, wie die Vorstellung der perfekten, heterosexuellen Kleinfamilie samt traditioneller Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen, so die Staatspropaganda, brächten dagegen Ruhe und Stabilität. Radikale Evangelikale finden dies unterstützenswert und nutzen ihren Einfluss auf die Bevölkerung, um WählerInnen für Bolsonaro zu gewinnen. Da sich die Regierung bereits seit längerem aus ärmeren Vierteln oder Vierteln mit einer hohen Kriminalitätsrate zurückgezogen hat, sind dort nun die Kirchen erster Anlaufpunkt für die Menschen. Viele Menschen erhalten so Zugang zu Lebensmitteln, Bildung und Freizeitaktivitäten und erfahren ein Gefühl der Gemeinschaft und Zugehörigkeit. Auch dies sorgt dafür, dass mehr Frauen zu Anhängerinnen der neuen extremen Rechte in Brasilien werden.

BrexitFrauen werden immer aktiver in neuen rechten Bewegungen. KritikerInnen befürchten in Großbritannien einen Rückschritt in Sachen Gleichberechtigung. Wie genau sich der Brexit auf die Situation der Frauen auswirkt, bleibt noch abzuwarten. (Dylan Bueltel/Pexels)Welche Auswirkungen der Brexit auf Frauen im Vereinigten Königreich haben könnte, war Vielen vorher wahrscheinlich nicht bewusst. Das liegt vor allem daran, dass die Debatte fast ausschließlich von Männern geführt wurde und Themen wie Gleichberechtigung und der Schutz der Frauenrechte, welche zuvor durch EU-Recht und konkrete Abkommen geregelt waren, keine Rolle spielten. Ein wesentlicher Grund für Frauen, den Brexit zu unterstützen, war die versprochene bessere Finanzierung des staatlichen Gesundheitswesens mit den Geldern, die zuvor für die EU verausgabt worden waren. Dabei dachten viele Frauen nicht nur an ihren eigenen Job, denn ein Großteil der im Gesundheitssektor Tätigen sind weiblich, sondern auch an ihre Familien, die es zu beschützen und versorgen galt.

Die verschiedenen Beispiele verdeutlichen, dass sich Frauen in der Mehrzahl vor allem aus wirtschaftlichen Gründen rechten Parteien zuwenden. Zudem äußern sich viele RechtspopulistInnen durchaus „feministisch“, jedoch nur, um damit rassistische oder flüchtlingsfeindliche Meinungen zu verbreiten. Während einige Parteien lediglich strategisch agieren, wie etwa Katalin Novák in Ungarn, die Frauen als Heldinnen der erfolgreichen Bewältigung familiärer Pflichten und außerhäuslicher Arbeit feiert, nehmen sich andere Parteien tatsächlich der Bedürfnisse und Sorgen potentieller Wählerinnen an und leisten, zumindest oberflächlich, einen Beitrag zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Frauen.

Die Studienreihe „Triumph der Frauen“ beleuchtet die verschiedenen Entwicklungen und Charakteristika der jeweiligen Länder und Parteien und ermöglicht so ein besseres Verständnis der neuen rechten Bewegungen. Des Weiteren stellt sie Gegenbewegungen der Zivilgesellschaft und Handlungsmöglichkeiten anderer politischer Parteien vor, die dem Rechtsruck entgegenwirken und damit einen unverzichtbaren Schritt in Richtung Geschlechtergleichheit gehen.

Stand: 07/2021

Alle erwähnten Länderstudien und weitere Informationen finden Sie unter: https://www.fes.de/themenportal-gender-jugend/gender/triumph-der-frauen-ii.