Auswirkungen des NATO-Truppenabzugs auf die Frauen in Afghanistan

Der NATO-Truppenabzug ist beschlossene Sache. Wird Afghanistan den Friedens- und Demokratisierungsprozess vollenden können oder droht erneut Gewalt von den Taliban? (pixabay/Wikilmages)

Im Februar 2020 unterzeichnete der damalige Präsident der USA, Donald Trump, ein Friedensabkommen mit den militant-islamistischen Taliban und versicherte einen stufenweisen Abzug der US-Truppen aus Afghanistan. Trotz teilweiser Missachtung des Vertrags seitens der Taliban gab Trumps Nachfolger Joe Biden Mitte April 2021 bekannt, dass dies bis zum 11. September 2021 (ein bewusst ausgewähltes, symbolträchtiges Datum) vollzogen sein würde. Die anderen NATO-Staaten folgten der Entscheidung der USA, sodass die etwa 10.000 SoldatInnen starke NATO-Truppe, darunter 1.100 aus der deutschen Bundeswehr, ab dem 1. Mai 2021 mit dem Rückzug beginnen wird.

 

 

Der Einsatz der NATO-Truppen in Afghanistan dauerte insgesamt zwanzig Jahre. Während dieser Zeit wurden bedeutende Veränderungen im Land möglich. Es setzte sich unter anderem ein Demokratisierungsprozess in Gang, der auch die Erweiterung der Pressefreiheit und der Frauenrechte beinhaltete. Mehrere BeobachterInnen befürchten, dass die Taliban mit Waffengewalt zu ihrer ehemaligen Vormachtstellung zurückkehren wollen, um anschließend die positiven Entwicklungen zunichte zu machen. Durch gezielte Anschläge töteten sie dieses Jahr bereits über 570 Zivilpersonen, überwiegend Frauen und Kinder.

Aqelah Nazari-Hossain Dad, gebürtige Afghanin und ehrenamtliche Projektkoordinatorin für das TDF-Partnerprojekt mit der frauenrechtlichen NRO Neswan Social Association in Afghanistan, nimmt Stellung zu den aktuellen Entwicklungen:

Bild2Werden Frauen nicht in die Verhandlungen integriert, könnten Selbstbestimmung und Gewaltfreiheit für sie Utopie bleiben. (pixabay/ArmyAmber) „Der Rückzug der NATO-Truppen wirft viele Fragen auf und erregt insbesondere bei den afghanischen Frauen Besorgnis. Die Taliban sind mittlerweile bis in die großen Städte vorgedrungen und besitzen dort viel Macht. Sie sitzen am Verhandlungstisch mit dem Ziel, Frieden zu erwirken, und die AfghanInnen hoffen natürlich, dass die Taliban dem Krieg ein Ende setzen wollen und das politische System der Republik Afghanistan akzeptieren. Doch leider gibt es Grund zur Annahme, dass sie sich nicht geändert haben und eine Rückkehr zur Taliban-Herrschaft droht. Im Internet kursierende Videos zeigen, wie die Taliban in den Städten regieren, wie Frauen in der Öffentlichkeit geschlagen und ausgepeitscht werden. Die NATO-Truppen müssen in Afghanistan bleiben, bis ein dauerhafter Frieden gewährleistet ist und die Menschenrechte geachtet werden.

Unsere Frauenvereinigung (Anm. der Redaktion: Neswan Social Association) wird ihre Tätigkeit so lang wie möglich fortsetzen. Die Präsenz der Taliban wird sich in der Provinz und Stadt Herat besonders negativ auswirken, da religiöse Bewegungen dort schon zuvor von Geschlossenheit und starkem Traditionalismus geprägt waren. Es wird nicht leicht werden für uns Frauen, doch wir werden unsere Aktivitäten soweit es geht fortführen und für die nächsten Jahre planen.

Möglicherweise wird die Neswan Social Association in Sharak nicht direkt von dem Truppenabzug beeinflusst, da dieses Gebiet nie ein Kriegsschauplatz war. Dennoch hat die Situation Auswirkungen auf der psychischen Ebene. Neswan könnte, genau wie andere Organisationen und Frauenräte, in Bezug auf die Sensibilisierung der Gesellschaft für die Emanzipationsbewegung vor großen Herausforderungen stehen, wenn wir künftig noch mehr von religiösen Extremisten in der Provinz Herat unter Druck gesetzt werden. Darüber hinaus mobilisieren die Extremisten die Männer gegen Frauenrechte und kontrollieren Medien, soziale Netzwerke und andere Kommunikationsmittel, um den Frauen so das Leben zu erschweren. Neswan wird die geplanten Aktivitäten auch unter dem Druck fortsetzen, weil wir glauben, dass wir Frauen stärker werden und jetzt nicht aufgeben können.

Der NATO-Truppenabzug stellt uns auf eine große Bewährungsprobe und es wird sich zeigen, ob wir weiterhin unabhängig handeln können. Wenn wir versagen, werden vor allem die Frauen die Leittragenden dieser Entscheidung sein.“

Unterstützen Sie die mutigen Frauen der Neswan Social Association in Afghanistan! Jeder Euro hilft und signalisiert den Frauen, dass sie in dieser riskanten Phase und v.a. bei der Abwehr extremistischer Bedrohungen nicht alleine sind!

Datum: 04/2021